"Cast Away" (2000; Regie: Robert Zemeckis) oder: Warum Tom Hanks der gekrönte König von Hollywood ist... (TEIL 3 von 3 - HAUPTTEIL)

 

CHUCK NOLAND

 

WAS HERE

 

1500 DAYS

 

ESCAPED TO SEA

 

TELL KELLY FREARS

 

MEMPHIS TN.

 

I LOVE HER

 

(Inschrift, die Tom Hanks in Cast Away auf der Insel hinterlässt, bevor er sich mit seinem Floß davonmacht)

 

 

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich in einem Film einen halbnackten Mann mit langen Haaren und einem langen Bart irgendwo in der Einöde herumlaufen sehe, dann gibt es bei mir sofort Monty Python-Alarm und deren Flying Circus scheint nicht weit zu sein. Auf jeden Fall wittere ich die „Gefahr“ von Komik und, im Nicht-Monty Python-Fall, die Gefahr von unfreiwilliger Komik.

 

Zu Robert Zemeckis‘ Robinsonade Cast Away aus dem Jahr 2000 (Cast Away – Verschollen) habe ich persönlich immer ein schwieriges Verhältnis gehabt, soll heißen: Der Film hat mir nie, weder seinerzeit, bei der ersten Betrachtung im Kino, noch heute, uneingeschränkt gefallen. Ich empfinde den Film, den man auch als Robinson Crusoe-Film ohne Freitag, dafür aber mit einem Volleyball namens Wilson bezeichnen könnte, irgendwie als eine harte (Kokos-)Nuss, mit einer Hauptfigur, Chuck Noland, die man nicht uneingeschränkt mag. Aber dazu später mehr.

 

Grundsätzlich standen die 2000er-Jahre für Hanks zunächst einmal im Zeichen einer Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen ihm und Steven Spielberg, in dessen filmisches Universum der Schauspieler weit besser passt als zum Beispiel ein Tom Cruise, mit dem Spielberg bekanntlich ja die eher prätentiös daherkommenden Science Fiction-Filme Minority Report (2002) und War of the Worlds (2005; Krieg der Welten) gedreht hat.

So wird zum Beispiel Spielbergs „biographical crime film“ Catch Me If You Can (2002) meines Erachtens nur von Tom Hanks gerettet, der mit seinem Charisma und mit seinem hohen Sympathiefaktor diese leicht nervige bonbonfarbene Gaunerkomödie irgendwie aus dem Mittelmaß heraushebt. Wobei aber natürlich die berühmte Szene, in der der FBI-Ermittler „Paul Hanratty“ Tom Hanks den Hochstapler „Frank Abagnale Jr.“ Leonardo DiCaprio in einem französischen Dorf verhaftet, ein echtes Highlight ist, in dem beide Hauptdarsteller zeigen, dass sie zu den ganz Großen ihrer Zunft gehören.

 

Als einen Tiefpunkt der Zusammenarbeit zwischen Spielberg und Hanks, die außerdem noch die Filme Bridge of Spies (2015; Bridge of Spies – Der Unterhändler) und The Post (2017; Die Verlegerin) umfasst, kann man aber getrost die Komödie The Terminal (2004; Terminal) bezeichnen, die man auch irgendwie als misslungenen Versuch Spielbergs anführen könnte, Tom Hanks wieder als Komiker einzusetzen oder zumindest wieder dessen komödiantische Fähigkeiten verstärkt in einem Film zu nutzen. Natürlich hat Spielberg versucht in The Terminal eines seiner Hauptthemen, nämlich das der Heimatlosigkeit und der Verlorenheit in einer fremden Welt, etwas lockerer und luftiger abzuhandeln als etwa in anderen Werken, die er nach Schindler’s List (1993; Schindlers Liste) gedreht hat, aber sowohl Tom Hanks, der den „Krakosier“ (ein fiktives osteuropäisches Land) Viktor Navorski, der auf dem New Yorker Flughafen JFK mit ungültigem Pass hängenbleibt, als auch Catherine Zeta-Jones, die die Flugbegleiterin Amelia Warren spielt, die sich Navorski annimmt, wirken in dieser schwierigen Mixtur aus Komik und Pathos, die The Terminal nun einmal ist, leicht verloren.

 

 

Von einem ganz großen Meisterwerk im Stile des „Paten“ ist auszugehen.

Das war zumindest die Erwartung, die die Zeitschrift Cinema seinerzeit, bevor dort in der Redaktion irgendjemand das Endergebnis gesehen hatte, in den Sam Mendes-„crime film“ Road to Perdition (2002) steckte. Sind Meisterwerke und Jahrhundertfilme wie Francis Ford Coppolas The Godfather (1972; Der Pate) ohnehin von Natur aus schon dünn gesät, so muss man sagen, dass Road to Perdition so überhaupt gar nichts von der Eleganz und Größe von Coppolas Mafiafilm hat. Im Gegenteil, Road to Perdition, dieser Vater und Sohn auf der Flucht vor dem ehemaligen mafiosen Arbeitgeber des Vaters-Film, ist de facto eher ein erstaunlich brutaler Gangsterfilm geworden, dessen eigentümliche Brutalität im Zuschauer zwiespältige Gefühle hinterlässt. Glauben Sie mir, ich bin der Allerletzte, der ein grundsätzliches Problem mit Gewaltdarstellungen in Filmen hat, aber die Gewalt von Road to Perdition, dieses mit Tom Hanks, Paul Newman und Jude Law exzellent besetzten Films, hat mich schon 2002 im Kino seltsam unangenehm berührt. Ein ungewöhnliches Phänomen, über dessen Ursprung ich mir bis heute ehrlich gesagt nicht ganz im Klaren bin :-).  

Kenner des Films Road to Perdition werden jetzt sagen: Da war doch aber auch noch Daniel Craig drinnen! Genau: Das einzig Lustige an Sam Mendes‘ erstem Film nach seinem Oscar-prämierten Meisterwerk American Beauty (1999), dem letzten großen Film der 90er-Jahre, ist die Tatsache, dass der spätere James Bond-Darsteller Daniel Craig darin die Rolle des psychopathischen Sohnes des Gangsterbosses John Rooney (Paul Newman), Connor Rooney, spielt. Mendes und Craig sollten ja in der Folge bei gleich zwei supererfolgreichen Bond-Filmen zusammenarbeiten, nämlich bei Skyfall (2012) und Spectre (2015).

 

Apropos Jahrhundertfilme wie The Godfather.

Cast Away-Regisseur Robert Zemeckis hat auch Forrest Gump (1994) inszeniert, der in der Tat auch so ein Jahrhundertfilm ist und völlig zurecht vom American Film Institute (AFI) auf die Liste der 100 Greatest American Movies of all Time gesetzt wurde, und zwar auf Platz 71, eingeklemmt zwischen William Friedkins The French Connection (1971; French Connection – Brennpunkt Brooklyn) und William Wylers Ben Hur (1959).

Zemeckis, der in gewisser Weise ein Ziehsohn Steven Spielbergs ist, ebenfalls zur absoluten kommerziellen Speerspitze des US-Kinos gehört und Klassiker wie den Michael Douglas- und Kathleen Turner-Film Romancing the Stone (1984; Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten) oder wie die Back to the Future-Trilogie (Zurück in die Zukunft-Trilogie; 1985; 1989; 1990) mit Michael J. Fox oder auch allein schon filmtechnisch Innovatives wie die Ein animierter Riesen-Cartoon-Hase löst gemeinsam mit Bob Hoskins einen Kriminalfall-Fantasy-Komödie Who Framed Roger Rabbit? (1988; Falsches Spiel mit Roger Rabbit) inszeniert hat, schickt in Forrest Gump, diesem Film gewordenen Schelmenroman, einen großartig aufspielenden Tom Hanks durch die Welt- und US-Geschichte. Die Tatsache, dass Forrest Gump als Figur eben eine Art „Idiot“ ist oder eben „nicht die hellste Kerze auf der Torte“, nutzt der Film zu einer Reihe wirklich wunderbarer Gags, wie zum Beispiel dem folgenden, der aus einer der großartigen Vietnam-Szenen von Forrest Gump stammt:

 

 

 

FORREST GUMP

 

(als Stimme aus dem Off, während er gerade irgendwo in Vietnam herummarschiert)

 

Ich habe sehr viel von der Gegend da zu sehen gekriegt.

 

Wir haben immer ganz ganz lange Wanderungen gemacht.

 

Und wir waren dauernd auf der Suche nach einem gewissen Charlie.

 

[Anmerkung: „Charlie“ war der Spitzname des US-Militärs für den Viet Cong]

 

 

Nicht nur das Publikum auf der ganzen Welt liebte Tom Hanks als Forrest Gump, sondern auch die Oscar-Academy, und man könnte sagen, in Abwandlung eines Satzes aus dem Film, den ein Army-Ausbilder Forrest Gump entgegenbrüllt, nämlich „Gottverdammt, Gump! Sie sind ein verfluchtes Genie!“, die Academy wäre der Meinung gewesen: „Gottverdammt, Hanks! Sie sind ein verfluchtes Genie!“. Eine Meinung, die dem Schauspieler bekanntlich den zweiten Hauptrollen-Oscar hintereinander einbrachte.

 

Im Übrigen hat Robert Zemeckis die über acht Monate andauernde Drehpause, die nötig war, damit Tom Hanks für Cast Away wohl eine der eindrucksvollsten Diäten der Filmgeschichte hinlegen konnte (mithalten mit Hanks' Diät-Leistung können da nur Matthew McConaughey in Jean-Marc Vallees Dallas Buyers Club aus 2013 und Christian Bale in Brad Andersons The Machinist/dt.: Der Maschinist aus 2004), dafür genutzt, einen weit besseren Film als Cast Away zu drehen, nämlich das Spannungs-Meisterwerk What Lies Beneath (2000; Schatten der Wahrheit) mit Harrison Ford und Michelle Pfeiffer. What Lies Beneath, dieser Psycho-Horrorthriller, zählt aus meiner Sicht zu den spannendsten Filmen aller Zeiten und ist ein dunkles Film-Juwel, das selbst den guten alten Alfred Hitchcock, und das ist nicht bloß eine Floskel, erfreut hätte. Harrison Ford als Wissenschaftler Dr. Norman Spencer, der ein grausiges Geheimnis mit sich herumträgt, ist darin echt gruslig und auch Michelle Pfeiffer als seine Ehefrau Claire, die ihm auf die Spur kommt, liefert eine der besten Leistungen ihrer Karriere ab.

 

Ein grundsätzliches Problem bei Cast Away sind die ersten zwanzig Film-Minuten, in der uns schlicht und einfach eine überraschend unsympathische Hauptfigur präsentiert wird. Hanks legt Chuck Noland, den leitenden Angestellten des US-Logistikunternehmens FedEx, fast als Parodie auf einen „lästigen Amerikaner“ an, auf jeden Fall aber spielt er einen „Alleswisser“, jenen von der Sorte nämlich, die in der Arbeit der Belegschaft und zu Hause ihren Frauen auf die Nerven gehen. Erwähnen muss man in diesem Zusammenhang aber auch die völlig danebengegangene deutsche Synchronisation des Films, die einem vor allem in diesen besagten ersten zwanzig Filmminuten aufstößt. Ich weiß, der wunderbare Arne Elsholtz (1944-2016) war die Standardsynchronstimme von Tom Hanks und einer der bekanntesten und profiliertesten Synchronsprecher überhaupt, aber seine Stimme ist irgendwie eine „lustige Stimme“, die man nicht immer ganz ernst nimmt. Sie läuft deshalb Gefahr, aus jeder Synchronisation eine „Comedy-Synchro“ zu machen, ein Phänomen, das mir schon in Zusammenhang mit Spielbergs Saving Private Ryan (1998) aufgefallen war, was aber auch im Fall von Cast Away nicht ganz angebracht ist. Andererseits wird Arne Elsholtz‘ Stimme eben extrem stark mit Tom Hanks assoziiert, so wie das vielleicht nur noch die Stimme von Wolfgang Hess (1937-2016) mit Bud Spencer wird. Probieren Sie doch mal Folgendes: Schließen Sie, wenn das Mammut „Manfred/Manny“ in dem süßen Animationsfilm Ice Age (2002; Regie: Chris Wedge & Carlos Saldanha) spricht, doch mal die Augen und Sie werden glauben, dass Tom Hanks spricht :-).

Wie auch immer: Nach einer langen Flugzeug-Absturzszene und Hanks‘ Ankunft auf der Insel tritt sozusagen Ruhe ein. Und diese Ruhe, diese Stille, ist es auch, die den ganzen Film befreit und ihn dann doch sehenswert macht. Nacheinander wird dann alles durchexerziert, was eine Robinsonade ausmacht: Die Suche nach Essen, das damit einhergehende schwierige Aufknacken von Kokosnüssen, der Umgang mit Verletzungen oder Schmerzen (die „Zahnoperations-Szene“ mit dem Schlittschuh aus dem angeschwemmten FedEx-Paket ist legendär!), das Feuermachen, die Versuche von der Insel wegzukommen.

 

Da man aber in einer Filmproduktion, wenn sie denn erfolgreich sein soll :-), die Hauptfigur aber nicht zwei Stunden lang nichts reden lassen kann, hat man natürlich irgendein Gegenüber schaffen müssen. Hat Billy Wilder in The Spirit of St. Louis (1957; Lindbergh – Mein Flug über den Ozean) seinem Hauptdarsteller James Stewart noch eine Fliege mit ins Cockpit gesetzt, dass er jemanden zum Reden hat, so erfüllt natürlich der Volleyball „Wilson“ in Cast Away diesen Zweck.

Hier ein Ausschnitt aus einem „Gespräch“, das „Chuck Noland“ Tom Hanks mit Wilson, dem Volleyball, führt:

 

 

 

CHUCK NOLAND

 

Wie war das?

 

Die Zeit entscheidet, ob wir überleben oder sterben.

 

Und läuft sie uns davon, dann ist das eine Sünde.

 

 

Der Abschied von Wilson, dem Volleyball mit Gesicht, denn Hanks verewigt schließlich seine blutende Hand auf seiner Oberfläche und malt so eine Art Gesicht drauf, ist dann dementsprechend auch einer der Höhepunkte des Films. Diese Abschiedsszene, in der der Ball, nach all dem, was die beiden sozusagen miteinander durchgemacht haben, einfach vom Floß fällt und langsam im Meer davontreibt, was Chuck Noland zum Schreien und in der Folge zum Weinen bringt, ist ungemein traurig und berührend. Sie ist auch rein psychologisch sehr überzeugend und außerdem natürlich von Tom Hanks grandios gespielt.

 

Überhaupt ist Cast Away natürlich eine One-Actor-Show, in der As Good as It Gets (1997; Besser geht’s nicht; Regie: James L. Brooks)-Star Helen Hunt und Chris Noth, der legendäre „Mr. Big“ aus der TV-Serie Sex and the City (1998-2004), der am Ende dann den nunmehrigen Ehemann von „Kelly Frears“ Helen Hunt spielt, nur ein klein wenig mehr als Statisten sind. Die erwartete Robinsonaden-bedingte unfreiwillige Komik bleibt, wenn man die deutsche Synchronisation innerhalb der ersten zwanzig Minuten mal beiseitelässt :-), aber so gut wie aus, was man sicherlich Zemeckis‘ disziplinierter Inszenierung zu verdanken hat.

Und dennoch: Ein großes Problem, das ich zu Beginn angesprochen habe, bleibt für mich im Zusammenhang mit Cast Away stets aufrecht. Ich persönlich mag die Figur des Chuck Noland weder vor noch nach der Insel besonders (grundsätzlich wäre die Schlussszene, in der Noland mit seinem Wagen vor der Wahl steht, in welche Himmelsrichtung er fahren soll, welche Straße er nehmen soll, ja wunderbar, denn wir alle haben, glaube ich, schon solche Momente erlebt, in denen wir eine Richtungs-Entscheidung, die unser weiteres Leben betrifft, haben treffen müssen, aber dieser Chuck Noland ist irgendwie ein sperriger Typ :-)). Nur auf der Insel und in den Szenen mit „Wilson“ ist er eine Figur, die man mag und mit der man mitfiebert.

 

Unterm Strich muss man aber, angesichts der phänomenalen körperlichen Leistung, die Tom Hanks in Zusammenhang mit Cast Away erbringen musste, sagen, dass die Aufschrift auf meiner DVD-Ausgabe des Films völlig recht hat, die meint, Tom Hanks überzeuge darin „mit einer der überragendsten schauspielerischen Leistungen aller Zeiten“.

 

 

(ENDE von TEIL 3; Fassung vom 26.06.2018)