Ausschnitt aus dem Buch "EIN QUANTUM BOND" (2020; NEUAUFLAGE): Kapitel "James Bond 007: Spectre" [Schlusskapitel]

 

James Bond 007: Spectre (2015)

 (Originaltitel: Spectre; Regie: Sam Mendes)

 

 

 „Spectre“ has a name: Bored, James Bored

 

 (Titel einer Spectre-Rezension von Lawrence Toppman, erschienen 2012 im Charlotte Observer, einer bedeutenden Zeitung im US-Bundesstaat North Carolina; in gewisser Weise spiegelt der Titel die merkwürdige Tendenz der gesamten US-Filmkritik wider, Sam Mendes‘ Bond-Film Spectre, der mit rund 142 Minuten Laufzeit noch dazu der längste Bond-Film überhaupt ist, als „langweilig“ und „langatmig“ zu bezeichnen)

 

 

 If I risk it all

 Could you break my fall?

 

 How do I live? How do I breathe?

 When you’re not here I’m suffocating

 I want to feel love, run through my blood

 Tell me is this where I give it all up?

 For you I have to risk it all

 ‘Cause the writing’s on the wall

 

 (Ausschnitt aus dem Titelsong zu Spectre, betitelt mit Writing’s on the Wall, gesungen von Sam Smith, geschrieben von Sam Smith und Jimmy Napes; wie schon Adele’sSkyfall“ von 2012, erhielt Smith’s Song, der grundsätzlich eher gemischte Reaktionen hervorrief und sogar von Bond-Titelsong-Ikone Shirley Bassey persönlich bei seinem Erscheinen heftig auf ihrem Twitter-Account kritisiert wurde, sowohl den Golden Globe Award for Best Original Song als auch den Oscar for Best Original Song; Writing’s on the Wall war somit grundsätzlich der fünfte und natürlich bisher letzte Bond-Titelsong, der für einen Oscar nominiert wurde, die anderen vier waren eben Skyfall, For Your Eyes Only von Sheena Easton aus 1981, Nobody Does It Better von Carly Simon aus 1977, also der Titelsong zu Der Spion, der mich liebte, und Live and Let Die von Paul McCartney & Wings aus 1973; der britische Hit-Lieferant Sam Smith war allerdings nicht erste Wahl der Bond-Produzenten gewesen, denn ursprünglich hatte die ebenfalls aus Großbritannien stammende Kult-Rock-Band Radiohead, die seit ihrem bahnbrechenden Album OK Computer von 1997 so etwas wie eine Legende im Musikbusiness ist, den Zuschlag erhalten; Radiohead lieferten den Spectre-Machern zunächst einen Song mit dem Titel Man of War ab, der aber, wenn man so will, bereits aus den Radiohead-Archiven der 90er-Jahre stammte – die Tatsache, dass der Song nicht extra für den Bond-Film geschrieben wurde, führte auch zu dessen Ablehnung; der zweite Titelsong, den Radiohead ablieferten, trug dann den Namen des Films, also „Spectre“ – dieser wurde dann aus dem Grund abgelehnt, dass er nicht in den Film passe, weil er „zu melancholisch“ sei; Sam Smith schrieb seinen ebenfalls eher auf der melancholischen Seite angesiedelten Titelsong Writing’s on the Wall zusammen mit seinem Partner Jimmy Napes dann angeblich innerhalb von nur einer halben Stunde und bereits die Demo-Version des Songs soll bei den Bond-Produzenten sofort auf Begeisterung gestoßen sein; Writing’s on the Wall gehört aber ganz sicher nicht ins Pantheon der Bond-Titelsongs, an dessen Spitze immer noch Werke wie A View To A Kill von Duran Duran oder You Only Live Twice von Nancy Sinatra stehen - der Song ist eher ein „Grower“, also ein Song, den man nicht auf Anhieb gut findet, sondern erst nach mehrmaligem Hören; Writing’s on the Wall punktet aber durch seine eindringlichen Lyrics, die sich im Prinzip um die Liebesgeschichte zwischen „James Bond“ Daniel Craig und „Madeleine Swann“ Léa Seydoux drehen, die ein zentrales Element von Spectre ist; trotz aller Kritik wurde Smith’s Song aber nicht nur gleichsam hoch dekoriert, sondern erreichte auch, als erster James Bond-Titelsong überhaupt, die Nummer 1-Position in den britischen Charts, also etwas, was nicht einmal Adele vergönnt war; dennoch stimmt wahrscheinlich, was Chris DeVille im Online-Musikmagazin Stereogum im Jänner 2016 geschrieben hat, nämlich, dass der abgelehnte Radiohead-Track „Spectre“, der von der Band dann als Gratis-Download auf ihrer Homepage angeboten wurde, im Vergleich zu Writing’s on the Wall, auf jeden Fall „the more masterful of the two tracks“ gewesen wäre)

 

 

 DR. MADELEINE SWANN

 Was machen Sie beruflich?

 

 JAMES BOND

 Tja, nichts, was auf einem Formular besonders gut aussieht.

 

 (aus: Spectre; Dialog während der ersten Begegnung zwischen dem Patienten „James Bond“ Daniel Craig und der Psychiaterin „Dr. Madeleine Swann“ Léa Seydoux in der „Hoffler Klinik“ in Sölden; Auf Seydoux‘s anschließende Frage, warum dies der Fall ist, sagt Craig: „Ich bringe Menschen um.“)

 

 

 MONEYPENNY

 Man nennt das Leben, James. Sollten Sie auch einmal probieren.

 

 (aus: Spectre: Aussage von „Eve Moneypenny“ Naomie Harris, während sie mit Bond telefoniert, der sich gerade, in seinem nagelneuen Aston Martin DB10 sitzend, eine wilde Auto-Verfolgungsjagd mit dem Neben-Bösewicht „Mr. Hinx“ David Bautista durch Rom liefert; Bond hatte zuvor durchs Autotelefon hindurch gemerkt, dass Moneypenny offenbar nicht alleine zu Hause ist, und sie gefragt, wer denn die männliche Stimme im Hintergrund sei)

 

 

 MADELEINE SWANN

 Auf Lügner und Killer. Überall.

 

 (aus: Spectre; Worte, die „Madeleine Swann“ Léa Seydoux, im leicht angetrunkenen Zustand und in der Anwesenheit Bonds, in einem Hotelzimmer in Tanga, Marokko, spricht – dies jedoch, im Original und in der Synchro, auf Französisch, was im Film natürlich untertitelt wird; das Gesagte kann man sowohl auf Bond als auch auf Swann‘s Vater, Mr. White, beziehen)

 

 

 BLOFELD

 Der Mann, mit dem du jetzt sprichst. Der Mann, der in deinem Kopf sitzt, ist Ernst Stavro Blofeld.

 

 (aus: Spectre; „Franz Oberhauser“ Christoph Waltz teilt „007“ Daniel Craig während der Folterszene seinen nunmehrigen Namen mit; in der Originalfassung sagt Waltz: „The man you are talking to now, the man inside your head, is Ernst Stavro Blofeld.“)

 

 

 MADELEINE SWANN

 Du bist ein guter Mensch, James.

 

 (aus: Spectre; Urteil von „James Bond’s Girlfriend“ Madeleine Swann über 007; in der Originalfassung sagt Seydoux: „You’re a good man, James.“)

 

 

Bei der allgemeinen Bewertung von James Bond-Filmen verhält es sich in der Regel nicht unbedingt anders als bei der Bewertung sonstiger filmischer Werke: Manche Filme werden chronisch unterschätzt (zum Beispiel: Ein Quantum Trost, Stirb an einem anderen Tag, Lizenz zum Töten), einige davon irgendwie genau richtig eingeschätzt (zum Beispiel: Moonraker, Der Mann mit dem goldenen Colt, Diamantenfieber), andere wiederum vielleicht sogar ein wenig überschätzt (zum Beispiel: Skyfall, Goldfinger).

Auch der 2015 erschienene und abermals von Sam Mendes inszenierte vierte und bisher letzte Daniel Craig-Bond Spectre gehört zur Kategorie der unterschätzten Werke der Serie. Müsste ich selbst eine Liste meiner persönlichen Favoriten aus der Bond-Serie erstellen, dann würde Spectre sogar zu meinen „Top 5“ gehören, neben dem wunderbaren 007-Einstand Dr. No, dem atmosphärischen Liebesgrüße aus Moskau, dem genialen Blockbuster Feuerball sowie dem kultigen Roger Moore-Debüt Leben und sterben lassen. Und ganz eng an meinen „Top 5“ dran wäre dann noch Marc Forster’s Ein Quantum Trost, ein Werk, das ich dem schwermütigen Skyfall, aber auch Casino Royale, vorziehe, wobei ich mir bewusst bin, dass Letzterer das eigentliche Meisterwerk unter den Daniel Craig-James Bond-Filmen ist und einem wirklich guten Film, so wie das Freunde des Arthouse-Kinos wohl definieren würden, noch am allernächsten kommt.

Dass ich Spectre gut finde, das liegt aber nicht nur an der äußerst coolen Totenkopf-Totenmaske, die Daniel Craig in der grandiosen Vortitel-Sequenz des Films in Mexiko-City trägt, die im Übrigen die beste Vortitel-Sequenz aller bisher erschienenen vier Craig-Bonds ist und noch dazu die ersten fünf Minuten ohne sichtbaren Schnitt auskommt, sondern vor allem daran, dass der Film, der auch „one of the most expensive films ever made“ (Budget: zwischen 245 Millionen US-Dollar – 300 Millionen US-Dollar) ist, in Wahrheit tatsächlich eine „party time for Bond fans“ darstellt, so wie das Pete Travers 2015 im Rolling Stone-Magazin gemeint hat. Und diese „party time for Bond fans“, diese längst wieder überfällige Re-Mystifizierung der Bond-Figur, startet gleich ganz zu Beginn des Films, denn die Pistolenlauf-Sequenz ist endlich wieder ein wirklicher Pistolenlauf-Vorspann und somit an seinem angestammten Platz, soll heißen: „James Bond 007“ Daniel Craig marschiert vor Beginn der Vortitel-Sequenz ins Bild, erscheint somit im Pistolenlauf, schießt, und die Leinwand färbt sich rot!

 

 

Die Handlung von Spectre:

Eine posthum an ihn gerichtete Botschaft seiner ehemaligen Chefin [darauf bezogene Aussage von Bond zu Moneypenny in Spectre: „Sie wollte nicht, dass sie der Tod von der Arbeit abhält“] führt 007 nach Mexiko-City, wo er am „Day of the Dead“ [Anmerkung: Der „Dia de Muertos“ ist ein mexikanischer Feier- und Totengedenk-Tag, der vor allem in Zentral- und Süd-Mexiko intensiv gefeiert wird; die eindrucksvolle Parade zu Beginn von Spectre gab es vor dem Film in Mexiko-City eigentlich nicht – sie wurde aber nach Spectre dort eingeführt!] einen geplanten Bombenanschlag auf ein Stadion verhindert. Bond tötet dabei auch Marco Sciarra, den Anführer der Terroristen, und nimmt seinen Ring an sich, in den ein stilisierter Oktopus graviert ist.

Zurück in London wird Bond von dem neuen „M“, Gareth Mallory, aufgrund seines eigenmächtigen Vorgehens in Mexiko, suspendiert. Mallory ist aber selbst in einen Machtkampf mit Max Denbigh [von Bond als „C“ bezeichnet] verstrickt, dem General-Direktor des neuen „Joint Intelligence Service“, das aus einer Fusion von MI5 und MI6 entstanden ist. „C“ macht sich unter Protektion der britischen Regierung dafür stark, dass andere Länder seinem „Nine Eyes“-Programm folgen, das den Geheimdiensten weitreichende Überwachungsvollmachten erteilt. Außerdem fordert Denbigh die Abschaffung der „00“-Sektion, die er als „überholt“ betrachtet.

Bond missachtet M’s Befehl, in London zu bleiben, und reist nach Rom, wo er bei Sciarra’s Beerdigung auftaucht. Anschließend rettet er Lucia Sciarra, die Witwe des Toten, vor zwei Auftragskillern. Er verführt Sciarra und erfährt von ihr, dass ihr Ehemann Marco Teil einer mächtigen, kriminellen Organisation war, die gerade dabei ist, sich in Rom zu treffen und als deren Symbol offenbar der Oktopus-Ring fungiert. Bond verschafft sich Zugang zu der Konferenz und beobachtet, wie die Organisation auf äußerst brutale Weise einen Nachfolger für Marco Sciarra ermittelt, und dies vor den Augen ihres Anführers „Franz Oberhauser“. Nachdem 007 Oberhauser’s Anordnung, den so genannten „Blassen König“ auszuschalten, gehört hat, wird er enttarnt und von Sciarra’s Nachfolger, Mr. Hinx, im Rahmen einer Autoverfolgungsjagd quer durch Rom gejagt. Eve Moneypenny informiert Bond, dass es sich bei dem „Blassen König“ um den ihm wohlbekannten Mr. White handelt, dem ehemaligen Mitglied von „Quantum“, einer Organisation, die offenbar eine mittlerweile in Ungnade gefallene Unterorganisation zu der von Oberhauser angeführten darstellt. Bond bittet Moneypenny auch darum, Nachforschungen über Oberhauser anzustellen, der, wie sich herausstellt, vor Jahren für tot erklärt wurde.

007 spürt in Altaussee, Österreich, Mr. White auf, wo dieser in einer Hütte [Anmerkung: Die Außenaufnahmen von Mr. White’s Aufenthaltsort zeigen tatsächlich das „Jagdhaus Seewiese“ am Altausseer See] nach einer Thallium-Vergiftung vor sich hinvegetiert. Bevor Mr. White vor Bond’s Augen Selbstmord begeht, bittet er 007 noch, seine Tochter, die Psychiaterin Dr. Madeleine Swann, zu finden und zu beschützen. Madeleine Swann kann ihm nämlich, so White, dabei helfen, Oberhauser aufzuspüren, indem sie Bond zu „L‘Américain“ führt. In der „Hoffler Klinik“ in Sölden [Anmerkung: Als „Hoffler Klinik“ diente das populäre Gourmet-Restaurant „Ice Q“ am Gaislachkogl in Sölden], wo Dr. Swann arbeitet, konfrontiert Bond Swann mit dem Tod ihres Vaters und rettet sie kurz darauf vor Mr. Hinx und dessen Handlangern. Die beiden treffen dann „Q“, der sich ebenfalls vor Ort aufhält, und dieser präsentiert 007 die Tatsache, dass Oberhauser anscheinend schon in früheren Missionen Bonds eine Rolle gespielt hat, denn sowohl Le Chiffre sowie auch Dominic Greene und Raoul Silva scheinen letztendlich Agenten derselben Organisation gewesen zu sein, die sich, wie Swann meint, „SPECTRE“ nennt.

Swann und Bond reisen in die marokkanische Hafenstadt Tanger, wo sich ein Hotel mit dem Namen „L’Américain“ befindet. In diesem stoßen die beiden auf Hinweise, die sie zu dem Aufenthaltsort von Franz Oberhauser bringen können, welcher sich offenbar in der Sahara befindet. In einem Personenzug werden Bond und Swann dann von Mr. Hinx attackiert, der aber, im Rahmen des Kampfes, von Bond aus dem Zug befördert wird. Danach kommt es zu einer Liebesnacht zwischen Bond und Swann. Bei einer Zug-Station werden der Agent und seine Begleiterin dann überraschenderweise abgeholt und zu der SPECTRE-Basis in die Wüste eskortiert. Dort offenbart Oberhauser Bond, dass das „Joint Intelligence Service“ eigentlich von SPECTRE kontrolliert wird und dass dem „Nine Eyes“-Programm von Denbigh durch zahlreiche Terroranschläge auf der ganzen Welt zur Legitimation verholfen werden soll. Im Gegenzug dafür erhält SPECTRE durch „C“ Max Denbigh Zugang zu den Überwachungs-Systemen der Geheimdienste, damit SPECTRE eben auf geplante Aktionen gegen die Organisation reagieren kann. Während Bond von Oberhauser auf einem Stuhl mit Mini-Bohrern, die bestimmte Stellen an Bond’s Kopf anbohren, gefoltert wird, klärt ihn der SPECTRE-Chef über ihre gemeinsame Vergangenheit auf: Nachdem Bond zum Waisenjungen geworden war, wurde Oberhauser’s Vater, Hannes, für einige Zeit so etwas wie ein „Ersatzvater“ für den jungen Bond. Oberhauser hat daraufhin aus Zorn und Eifersucht seinen Vater umgebracht und seinen eigenen Tod vorgetäuscht. Dann eröffnet er 007, dass er jetzt nicht mehr „Franz Oberhauser“ ist, sondern „Ernst Stavro Blofeld“ [Anmerkung: „Blofeld“ soll, so wie Christoph Waltz Daniel Craig mitteilt, sozusagen der „Mädchenname“ der Mutter sein]. Mit Hilfe von Madeleine Swann, die 007’s Armbanduhr in Richtung Blofeld schleudert, die daraufhin explodiert und Blofeld im Gesicht verletzt, kommt Bond frei. Dieser erschießt zahlreiche Blofeld-Handlanger und jagt die gesamte SPECTRE-Basis in die Luft, bevor er mit Swann nach London zurückkehrt, um zu verhindern, dass das „Nine Eyes“-Programm online geht.

In London trifft sich 007 mit „M“, Moneypenny und „Q“, um Denbigh auszuschalten und dessen „Nine Eyes“-Programm zu verhindern. Swann und Bond werden, an unterschiedlichen Orten, von SPECTRE-Handlangern entführt, während „M“, Moneypenny und „Q“ den Plan, Denbigh das Handwerk zu legen, in die Tat umsetzen – „C“ kommt in einem Kampf mit „M“ ums Leben und das „Nine Eyes“-Programm geht nicht online. Bond hingegen wurde zu den Ruinen des ehemaligen MI6-Hauptquartiers gebracht, das einst von Raoul Silva in die Luft gesprengt wurde, und trifft dort auf Blofeld, der immer noch am Leben ist und ihm mitteilt, dass sich Swann irgendwo in dem Gebäude befindet, welches in wenigen Minuten explodieren wird. 007 findet Swann und kann mit ihr auf einem Boot aus dem MI6-Gebäude, das nun endgültig in die Luft fliegt, entkommen. Bond feuert, vom Boot aus, Schüsse auf Blofeld’s Helikopter ab, der dann auf die Westminster Bridge stürzt. Blofeld kriecht aus dem Wrack und Bond taucht mit seiner Schusswaffe vor ihm auf. Er überlässt Blofeld aber „M“ und verlässt die Brücke mit Swann, die in der Nähe auf ihn wartet.

Am nächsten Morgen holt Bond beim MI6 seinen reparierten Aston Martin DB5 ab [Anmerkung: Dieser wurde ja am Ende von Skyfall zerstört] und fährt in diesem dann gemeinsam mit Madeleine Swann weg.

 

 

Sam Mendes ist wieder der erste Regisseur nach John Glen, nach jenem Briten, welcher die James Bond-Figur auf dem Regie-Stuhl quasi allein durch die gesamten 80er-Jahre manövrierte und in diesem Jahrzehnt gleich fünf 007-Abenteuer hintereinander in Szene setzte, der ohne eine dazwischen liegende „Regie-Pause“ in zwei Bond-Filmen unter dem Schriftzug „Directed by“ angeführt wird.

Dabei lehnte es Mendes sogar zunächst ab, nach dem megaerfolgreichen Skyfall gleich einen zweiten Bond-Film zu drehen, fand dann aber doch das Skript und die „James Bond-Zukunftspläne“ der Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson interessant. Broccoli und Wilson hatten zuvor außerdem von einem anderen Regie-Kandidaten, nämlich von dem aus Dänemark stammenden Skandalregisseur Nicolas Winding Refn, der schon einmal in dem Kapitel über Casino Royale im Zusammenhang mit Mads Mikkelsen erwähnt wurde, eine Abfuhr erhalten.

Spectre ist nicht nur ein „Bond-driven Bond film“, wie Sam Mendes in einem Video-Blog zu dem Film meint, also ein Bond-Abenteuer, in dessen Mittelpunkt fast ausschließlich Bond selbst steht, sondern Spectre ist auch ein Werk, das die James Bond-Figur gleichsam zu den Ur-Mythen der Serie zurückführt, nämlich zu Blofeld und zu dessen Organisation S.P.E.C.T.R.E. (zur Erinnerung: SPECTRE ist ein von Ian Fleming genial erdachtes Akronym für Special Executive for Counterintelligence, Terrorism, Revenge and Extortion sowie auch das englische Wort für „Schreckgespenst“).

Dass es zu einem filmischen Comeback des Kraken kam, also des Oktopus-Symbols (Anmerkung: Zum symbolischen Charakter des Kraken und des Oktopus-Rings siehe auch Kapitel 4 – „Feuerball“), das für die SPECTRE-Organisation steht und das in Daniel Kleinman’s virtuoser Titel-Sequenz (beste Titel-Sequenz aller vier Daniel Craig-Bonds!) so eindrucksvoll zur Geltung kommt, dafür ist die endgültige Beilegung des berühmten Rechtsstreits zwischen der Eon Productions Ltd. und dem schottischen Autor und Filmproduzenten Kevin McClory verantwortlich, auf den in den Kapiteln über Feuerball und Sag niemals nie bereits ausführlicher eingegangen wurde.

Da McClory natürlich nicht nur ganz allgemein die Rechte an der Feuerball-Geschichte besaß, sondern eben auch die damit verbundenen Rechte an den in diesem Bond-Roman das erste Mal vorkommenden Figuren wie „Ernst Stavro Blofeld“ oder das erste Mal vorkommenden Bezeichnungen wie „SPECTRE“, musste sich Albert R. Broccoli’s Eon Productions nach Feuerball zehn Jahre lang die Verwendung der Namen und Bezeichnungen von McClory genehmigen und lizensieren lassen. Dies ermöglichte das Erscheinen von Blofeld und SPECTRE in Werken wie Man lebt nur zweimal, Im Geheimdienst Ihrer Majestät und Diamantenfieber. Nachdem die vertraglich festgelegte 10-jährige Zusammenarbeit zwischen Eon und McClory beendet war, flammte der Rechtsstreit aber bekanntlich von Neuem auf, sodass vor dem Mendes-Film von 2015 lediglich im Roger Moore-Bond In tödlicher Mission von 1981 eine „Blofeld-ähnliche“ Figur vorkommt, die aber gesichts- sowie namenlos bleibt und von Moore schließlich samt ihrem Rollstuhl und mittels Helikopter in einen Schornstein „entsorgt“ wird (Anmerkung: Blofeld’s Zustand in In tödlicher Mission, eine Halskrause tragend und im Rollstuhl sitzend, wäre, im Sinne einer Kontinuität, durchaus schlüssig, nachdem „James Bond“ Sean Connery die Blofeld-Figur 1971 am Ende von Diamantenfieber sozusagen schwer verletzt haben muss). Nach McClory’s Tod 2006 einigten sich dessen Erben mit der Danjaq, LCC, die für das Copyright und die Markenrechte der James Bond-Charaktere und Produkte zuständig ist, und die vollen Rechte an „S.P.E.C.T.R.E.“ und den damit verbundenen Charakteren wie Blofeld wanderten zurück an die Broccolis.

Die Aufgabe, ein Drehbuch zu schreiben, das zentrale Story-Elemente aus Casino Royale, Ein Quantum Trost sowie Skyfall (Anmerkungen: Letztendlich musste man auch den Bösewicht Raoul Silva aus Skyfall als „SPECTRE-Associate“ darstellen, denn ansonsten hätte Skyfall eine Art „Solo-Story-Status“ behalten; sogar der CIA-Mann Felix Leiter, der in Casino Royale und Ein Quantum Trost von Die Tribute von Panem-Star Jeffrey Wright dargestellt wurde, wird von Bond in Spectre mal kurz erwähnt) zusammenführt, sodass aus allen Daniel Craig-Bonds eine Art „Saga“ oder zumindest eine „interne Tetralogie“ wird, wurde letztendlich den Bond-erfahrenen Autoren John Logan, Neal Purvis und Robert Wade zuteil, deren Ur-Skript zu Spectre aber dann auch durch die Hände von „script polisher“ Jez Butterworth ging. Butterworth’s Beitrag bestand angeblich vor allem darin, darauf zu achten, dass James Bond im Film nicht nur mit Männern spricht, weil das eben meistens deren Tod bedeutet, denn tatsächlich verhält es sich so: Als Mann auf 007 zu treffen heißt, damit rechnen zu müssen, getötet zu werden!

Natürlich hat dieser etwas problematische „Saga-Aspekt“ von Spectre, der sicherlich etwas Gewolltes hat und auch zu einigen „Überkonstruktionen“ im Film geführt hat, vor allem natürlich, was die (leicht abstrusen) „familiären Verbindungen“ Bonds zu Blofeld betrifft, einiges an Kritik hervorgerufen. Dennoch schließe ich mich da eher Peter Bradshaw an, der in seiner Spectre-Rezension im Guardian den Film als „inventive [dt.: erfinderisch], intelligent and complex“ bezeichnet hat, und nicht Kim Newman von Sight & Sound, der bei dem Mendes-Bond „one of the series‘ thinner plots“ ortete (den Film aber seltsamerweise dann mit fünf von fünf möglichen Sternen bedachte!).

Überhaupt waren die US-Kritiker viel strenger mit Spectre als ihre britischen Kollegen wie Bradshaw oder Newman: Kenneth Turan von der L.A. Times nannte das Werk in seinem Artikel, dieser trug übrigens den wahrlich denkwürdigen Titel „The Spectre of burnout hovers [dt.: schwebt] over latest Bond film“, „uninspiriert“. In der New York Times meinte Star-Kritikerin Manohla Dargis, dass sich in dem Film absolut „nothing surprising“ befinde. Sprichwörtlich den Vogel ab schoss aber Scott Mendelson vom Forbes-Magazin, der Spectre überhaupt als „the worst 007 movie in 30 years“ bezeichnete.

 

 

 

 MADELEINE SWANN

 Sie sollten nicht so starren.

 

 JAMES BOND

 Und Sie sollten nicht so aussehen.

 

 (aus: Spectre; äußerst gelungener „Flirty Text“ zwischen „Madeleine Swann“ Léa Seydoux und „James Bond“ Daniel Craig im Speisewagen eines Zuges)

 

 

 LUCIA SCIARRA

 Sie haben ihn umgebracht, meinen Mann. Oder etwa nicht?

 

 JAMES BOND

 Er war ein Attentäter. Glauben Sie mir, er hat es nicht persönlich genommen.

 

(aus: Spectre; Dialog zwischen der „trauernden Witwe“ Lucia Sciarra, gespielt von Monica Bellucci, und „James Bond“ Daniel Craig, der nach seiner Aussage im Film dann eine Ohrfeige kassiert)

 

Ein absolut gelungener Aspekt an „Bond 24“, also an Spectre, ist seine Atmosphäre oder, wenn man so will, seine atmosphärische Dichte, die durchaus, in den besten Momenten, an frühere Serien-Highlights wie Liebesgrüße aus Moskau und Feuerball erinnert. Großartig ist auch jene Szene, in der Bond, auf dem Begräbnis des von ihm anfangs in Mexiko getöteten SPECTRE-Mannes Marco Sciarra (gespielt von Alessandro Cremona), „Blofeld“ Christoph Waltz und die Witwe des Toten, Lucia Sciarra (Monica Bellucci), beobachtet, denn dieser Moment hat genau jenen 60’s-Retro-Feuerball-Touch, welcher Spectre unter allen Craig-Bonds zusätzlich herausstechen lässt und der im Übrigen dann auch noch einmal in der „SPECTRE-Konferenz“ rund um die Bestellung von Sciarra’s Nachfolger Mr. Hinx (gespielt von David Bautista) voll zur Geltung kommt, denn man fühlt sich dabei unweigerlich an ähnliche „Konferenz-Szenen“ mit Blofeld in Feuerball erinnert. Überhaupt scheinen Mendes und sein aus den Niederlanden stammender Kameramann Hoyte van Hoytema (bekannt auch durch seine Zusammenarbeit mit Regisseur Christopher Nolan in Interstellar von 2014 und Dunkirk von 2017) bei Spectre ein nicht weniger gutes Team gewesen zu sein als Mendes und Roger Deakins bei Skyfall.

Eine weitere gelungene Szene, die für Spectre’s atmosphärische Brillanz steht, ist jene, in der Craig und Seydoux bei der Zug-Station in der Wüste sozusagen darauf warten, was als Nächstes passiert – die beiden wirken darin tatsächlich ein wenig wie John Malkovich und Debra Winger in einem der genialsten und gleichzeitig unterschätztesten Filme der 90er-Jahre, nämlich Himmel über der Wüste (Originaltitel: The Sheltering Sky; literarische Vorlage: Paul Bowles) von Bernardo Bertolucci.

 

 

Der allergrößte Trumpf von Spectre, diesem „Bond-Film-likesten“ Bond mit Craig, ist jedoch eine Überraschung, nämlich, dass Daniel Craig und sein „Haupt-Bond-Girl“ Léa Seydoux, die die Tochter des „Pale Kings“, des „Blassen Königs“, Mr. White spielt (Anmerkung: Dass „Mr. White“, der wiederum von Jesper Christensen gespielt wird, ebenfalls ein Comeback in Spectre hat, ist dem Umstand zu verdanken, dass eine für Ein Quantum Trost gedrehte Szene, in der Mr. White erschossen wird, nie Eingang in den fertigen Film gefunden hat!), Dr. Madeleine Swann, ein außergewöhnlich gutes Leinwandpaar sind, ein besseres und überzeugenderes sogar, als es Craig und Eva Green in Casino Royale waren. Die Liebesgeschichte zwischen den beiden kommt nämlich durchaus glaubwürdig rüber, da eben die Chemie zwischen Craig und der Französin Seydoux, die 2011 schon als Auftragskillerin „Sabine Moreau“ in dem Tom Cruise-Film Mission: Impossible – Phantom Protokoll (Originaltitel: Mission: Impossible – Ghost Protocol; Regie: Brad Bird) einen sehr starken Eindruck hinterlassen hat, eindeutig stimmt. Insofern nimmt man ihnen auch „Flirty Texts“, wie den zu Beginn des Abschnitts angeführten, unbedingt ab.

Im Laufe dieser „Speisewagen-Unterhaltung“ zwischen Swann und 007, die dann irgendwann von dem Neben-Bösewicht „Mr. Hinx“ gecrasht wird, wird aber auch Bond‘s „Lebenswandel“ von Swann in Frage gestellt, die als Tochter von Mr. White sozusagen natürlich weiß, was so ein Leben, wie Bond es führt, bedeuten kann. Da die „Mann & Frau“-Dialoge in Spectre aber weit besser sind als in Casino Royale, kommen Swann’s Bedenken weniger „künstlicher“ und weniger „aufgesetzt“ rüber als seinerzeit Vesper Lynds:

 

 MADELEINE SWANN

 Was, in Anbetracht aller verfügbaren Optionen, bewegt einen Mann dazu, Berufskiller zu werden?

 

 JAMES BOND

 Na ja, das oder Priester werden.

 

 MADELEINE SWANN

Ich meine es ernst. Ist es wirklich das, was Sie wollen? Ein Leben im Schatten. Jagen. Gejagt werden. Immer über die Schulter schauen. Immer allein.

 

 JAMES BOND

 Ich bin nicht allein.

 

 MADELEINE SWANN

 Beantworten Sie die Frage…

 

 JAMES BOND

 Ich bin mir nicht sicher, ob ich je eine Wahl hatte.

 […]

 

 MADELEINE SWANN

 Ich glaube, Sie haben unrecht.

 

 JAMES BOND

 Glauben Sie?

 

MADELEINE SWANN

 Wir haben immer eine Wahl.

 

 (aus: Spectre)

 

Bond trifft am Ende dann tatsächlich eine Wahl – erschießt Blofeld auf der Westminster Bridge nicht, überlässt diesen „M“ (Dench-Nachfolger Ralph Fiennes in einer sehr souveränen Performance – auch wenn da natürlich zwischen „M“ Judi Dench und „James Bond“ Daniel Craig, allein aus der Tatsache heraus, dass „M“ eben eine Frau wahr, mehr „Dynamik“ in der „Agent-Vorgesetzten-Beziehung“ vorhanden war), und verschwindet stattdessen lieber mit seinem „new girlfriend“ Madeleine Swann ins nächtliche London.

Das Neben-Bond-Girl in Spectre, Lucia Sciarra, wird von dem italienischen Leinwandstar Monica Bellucci dargestellt (Filmographie-Highlights: 2003: Matrix Reloaded/Matrix Revolutions von den Wachowski-Geschwistern; 2004: Die Passion Christi von Mel Gibson). Wie bereits in dem Kapitel über Goldfinger erwähnt, hat Bellucci Honor Blackman als „ältestes Bond-Girl“ abgelöst, denn die Schauspielerin war zum Zeitpunkt der Spectre-Dreharbeiten bereits 50 Jahre alt. Bellucci’s Leinwandzeit ist gewiss nur kurz, aber die wenigen Szenen mit Craig gehören durchaus zu den Höhepunkten des gesamten Films, denn zu „Lucia Sciarra“ darf „James Bond“ Daniel Craig auch die berühmte Vorstellungsformel „Bond...James Bond“ sagen, auf deren Aussage „Dann sind Sie offensichtlich verrückt, Mr...“ hin.

Begeistert von dem „Bond-Girl“ Bellucci zeigte sich auch durchwegs die Filmkritik, allen voran Stephen Whitty von den New York Daily News, denn er nannte Bellucci „the first real Bond woman since Diana Rigg“.

 

 

 

 BLOFELD

 Sie werden vermutlich wissen, dass James seine Eltern verloren hat, als er noch sehr klein war.

 Aber wussten Sie auch, dass es mein Vater war, der ihm half, durch diese schwere Zeit zu kommen?

 

 (aus: Spectre; „Blofeld“ Christoph Waltz klärt „James Bond“ Daniel Craig während der Folterszene über ihre, kurze, gemeinsame Kindheitszeit auf; sicherlich ein Beispiel für die leichte „Überkonstruktion“ des Spectre-Plots)

 

BLOFELD

 Es hat sich ein hübsches Muster entwickelt. Du mischst dich in meine Welt ein, ich zerstöre die deine.

 

 (aus: Spectre; „Blofeld“ Christoph Waltz zu „James Bond“ Daniel Craig im SPECTRE-Hauptquartier; in der Originalfassung sagt Waltz: „A nice pattern developed. You interfered in my world, I destroyed yours.“)

 

 M

 Sie kleiner arroganter Bastard!

 

 (aus: Spectre; „M“ Ralph Fiennes zu Neben-Bösewicht „Max Denbigh“ Andrew Scott, nachdem dieser ihn anscheinend endgültig entmachtet hat und die „00“-Sektion der Vergangenheit angehört; in der Originalfassung sagt Fiennes: „You’re a cocky little bastard, aren’t you?“)

 

Nun, vielleicht würden sich einige im Zusammenhang mit Christoph Waltz, und der Inhalt diverser Filmrezensionen beispielsweise auf Amazon-Websites untermauert dies durchaus, tendenziell lieber den Worten anschließen, die „007“ Daniel Craig zu seinem Widersacher Blofeld einmal in Spectre sagt, nämlich „Nichts kann qualvoller sein, als dir zuhören zu müssen“, aber Waltz’s Karriere ist bekanntlich mehr als nur bemerkenswert, denn wenn einer sein halbes Schauspielerleben in den „Niederungen“ (Anmerkung: Natürlich gibt es auch nicht in den USA entstandene Christoph Waltz-Highlights, so wie zum Beispiel den 1997 im Rahmen der Schimanski-TV-Film-Reihe gedrehten und von Hajo Gies inszenierten Film Blutsbrüder, in dem Götz George und Waltz so etwas wie eine gemeinsame „Flucht in Ketten“ hinlegen – absolut sehenswert!) der deutschen und österreichischen Fernsehunterhaltung verbringen muss, bevor er von Quentin Tarantino gecastet wird, in der Folge eine Weltkarriere hinlegt, die noch dazu mit zwei Nebenrollen-Oscars gekrönt wird, dann bekommt das Wort „Traumfabrik“ im Zusammenhang mit Hollywood wieder so richtig Sinn!

Waltz’s spezielle Form des „Overactings“, und das meine ich überhaupt nicht negativ, ist in den Staaten, also in der englischsprachigen Welt, und das beweisen seine zwei Oscar-Statuen (für Inglourious Basterds aus 2009 und Django Unchained aus 2012) wohl eindeutig, auf außergewöhnlich viel Gegenliebe gestoßen, ein Phänomen, das schon in Verbindung mit Klaus Maria Brandauer in den 80er-Jahren bemerkbar war (siehe dazu auch den entsprechenden Abschnitt im Kapitel über Sag niemals nie).

Lotte Lenya (Liebesgrüße aus Moskau), Gert Fröbe (Goldfinger), Curt Jürgens (Der Spion, der mich liebte), Klaus Maria Brandauer (Sag niemals nie), Götz Otto (Der Morgen stirbt nie) – die Bond-Serie hatte bekanntlich immer eine Schwäche für deutschsprachige Charakterdarsteller, wenn es darum ging, die Rollen von Haupt- oder Neben-Bösewichten zu besetzen. Insofern war Christoph Waltz keine ganz unlogische Wahl, den legendären Superschurken und SPECTRE-Chef „Ernst Stavro Blofeld“ zu spielen. Und tatsächlich: Waltz hat es in seiner Blofeld-Darstellung geschafft, in der er sein „Overacting“ zurückgeschraubt hat, das Karikaturartige, das dieser Rolle anhaftet, weitgehend herauszunehmen und einen Blofeld zu präsentieren, der ein „classic psycho-villain“ ist, jemand, hinter dem man das „Psychopathische“, das so eine Rolle auch ausmachen muss, unbedingt spürt. Er kommt deswegen weniger als „Größenwahnsinniger mit weißer Perserkatze“ rüber, so wie viele von Waltz’s Vorgängern in der Rolle (Donald Pleasence, Telly Savalas, Charles Gray, Max von Sydow), sondern eher als äußerst unangenehmer, durchtriebener und sadistischer Boss eines Verbrechersyndikats, das im Begriff ist, seine Tentakel überallhin auszubreiten.

So wie Craig die langwierige „Post-Connery-Depression“ der Film-Serie kuriert hat, so hat Waltz mit seiner „realistischeren“ Blofeld-Darstellung das „Blofeld-Problem“ der Serie gelöst und ist auf jeden Fall der einzig glaubwürdige Blofeld der Bond-Geschichte!

An dieser Stelle sei noch ein weiteres Dialog-Highlight zwischen Blofeld und Bond, also zwischen Waltz und Craig, aus Spectre angeführt, der, was die reine Qualität der Dialoge betrifft, unbedingt mit Skyfall mithalten kann und diesen ab und an sogar übertrifft:

 

 BLOFELD

 Also, James. Wieso bist du gekommen?

 

 JAMES BOND

 Um dich zu töten.

 

 BLOFELD

Ich dachte, du wärst hier, um zu sterben.

 

 JAMES BOND

 Tja, alles eine Frage der Perspektive.

 

 (aus: Spectre)

 

 

Wie bereits mehrmals angedeutet, sind die „familiären Verstrickungen“ in Spectre, die sich bemühen, im Nachhinein allen Craig-Bonds einen übergeordneten Zusammenhang zu geben und einige Bond-Mythen miteinander zu verbinden, etwas abenteuerlich – und am Ende ist man tatsächlich froh, so wie ich in meinem eigenen und bereits im Kapitel über Ein Quantum Trost erwähnten Spectre-Artikel aus 2018 scherzhaft gemeint habe, dass nicht auch noch Darth Vader aus Star Wars daherkommt und plötzlich behauptet, er wäre Bond’s Vater!

Aber der Verdienst des Films ist es auch, dass einem eben solche recht abenteuerlichen Tatsachen, wie etwa, dass ausgerechnet „Mr. White“, der „Blasse König“, der zu Bond in Altaussee sagt, er, Bond, agiere in der ganzen monströsen Geschichte nur wie ein „Flugdrachen in einem Hurricane“, eigentlich posthum so etwas wie der „Schwiegervater von 007“ wird oder dass „Franz Oberhauser“ alias Ernst Stavro Blofeld und Bond sich irgendwie aus Kindheitstagen kennen, nicht weiter stören.

 

 

In Spectre gibt es gleich zwei Neben-Bösewichte, die beide aus den Reihen der SPECTRE-Organisation kommen: Max Denbigh, den Chef des „Joint Intelligence Service“, und den Killer „Mr. Hinx“.

Der korrupte Lobbyist Denbigh, der als „politically well connected“ dargestellt wird (Dialog zwischen Bill Tanner, der wieder von Rory Kinnear gespielt wird, und Bond über Denbigh: Tanner:Typisches Parlamentsprotegé, war mit dem Innenminister in einer Klasse.Bond:Ja...natürlich.“), wird von dem Briten Andrew Scott gespielt, der durch seine Rolle des „Jim Moriarty“ in der bahnbrechenden britischen TV-Serie Sherlock (2010-2017) weltbekannt wurde. Allerdings bietet Scott’s Darstellung des „Überwachungs-Fetischisten“ und direkten „M“-Antipoden Denbigh kaum Überraschungen, denn Scott präsentiert dem Zuschauer mehr oder weniger fast all jene schauspielerischen Manierismen, die seine Moriarty-Bösewicht-Darstellung einst so originär gemacht hat.

Einen eher archetypischen Bond-Bösewicht stellt „Mr. Hinx“ dar, der von dem ehemaligen Wrestling-World-Champion David Bautista gemimt wird, der auch schon an der Seite von Vin Diesel in Riddick (2013; Regie: David Twohy) zu sehen war oder in dem Blockbuster Avengers: Infinity War (Regie: Anthony Russo & Joe Russo) aus 2018. Bautista, der im übrigen US-Bürger ist und kein Brite, hat gemeint, er habe seine (fast stumme) Rolle an die des legendären Goldfinger-Faktotums „Oddjob“ (damals gespielt von Harold Sakata) angelehnt - er erinnert einen, und das vor allem im Mann gegen Mann-Fight im Speisewagen des Personenzuges, mit dem Bond und Swann reisen, aber auch ein wenig an eine wahre Bond-Neben-Bösewicht-Legende, die bisher unerwähnt geblieben ist, nämlich an den „Beißer“ Richard Kiel (im englischen Original „Jaws“ [dt.: Kiefer] genannt - also so, wie auch der Originaltitel von Spielberg’s Der weiße Hai aus 1975 lautet). „Zug-Fights“, oder genauer: Mann gegen Mann-Kämpfe in dahinfahrenden Zügen, haben bekanntlich Bond-Tradition, angefangen von dem wirklich unübertroffenen Fight Connery gegen Robert Shaw in Liebesgrüße aus Moskau bis hin zu dem Kampf Roger Moore gegen den „Beißer“ Richard Kiel in Der Spion, der mich liebte. Und apropos „Beißer“ oder eben „Jaws“: Witzigerweise erinnern einen die (Metall-)Fässer, mit denen es „James Bond“ Daniel Craig gelingt, „Mr. Hinx“ David Bautista aus dem Zug zu befördern (Bond wickelt Hinx das Seil, das die Fässer fixiert, um den Hals – die Fässer fallen aus dem Zug und Hinx wird dadurch irgendwann ebenfalls hinausbefördert), ein wenig an jene Fässer, die „Hai-Jäger“ Robert Shaw dem weißen Hai in dem Spielberg-Film von 1975 mittels Harpune in den Körper jagt, damit dieser endlich „beschwert“ wird und an der Wasseroberfläche bleibt.

 

 

 

 Q

 Ich glaube, ich sagte: „Bringen Sie ihn in einem Stück zurück!“ Nicht: „Bringen Sie ein Stück zurück!“

 

 (aus: Spectre; „Q“ Ben Whishaw macht sich über die Tatsache lustig, dass der Aston Martin DB5 bei seinem „Kampf-Einsatz“ auf dem Landgut „Skyfall“ fast völlig zerstört wurde)

 

Natürlich spielt der klassische (und von der „Q“-Abteilung wieder neu zusammengesetzte) Aston Martin DB5 in der Schlussszene von Spectre eine zentrale Rolle, aber der eigentliche neue Dienstwagen von 007 in dem Film ist der Aston Martin DB10, den Bond relativ schnell im Rahmen der Autoverfolgungsjagd, die er sich mit Mr. Hinx in Rom liefert, im Tiber versenkt, nicht aber ohne sich selbst vorher noch per Schleudersitz aus dem Auto zu befördern und mit einem Fallschirm sicher auf der Straße zu landen. Der Wagen wurde sogar eigens für den Bond-Film produziert und insgesamt existieren davon nur zehn Stück, von denen dann acht bei den Spectre-Dreharbeiten auch tatsächlich Verwendung fanden.

Ein weiteres Gadget, das Bond von „Q“ erhält, ist die Omega Seamaster 300, jene Armbanduhr, die Bond, mit Swann’s Hilfe, im Rahmen der Folterszene zum Explodieren bringt, was Blofeld eine Entstellung im Gesicht beschert. Die Omega Seamaster 300 in Spectre steht sozusagen auch für die 20-jährige Partnerschaft zwischen den Bond-Produzenten und dem Schweizer Uhrenhersteller Omega.

James Bond-Filme sind wahre Meister der Produktplatzierung und auch Spectre ist hier, wie Casino Royale, Ein Quantum Trost und Skyfall, wiederum keine Ausnahme, denn darin kommen tatsächlich 17 populäre „Brands“ vor, von Heineken über Bollinger (ein französisches Champagnerhaus) bis eben Omega.

 

 

Die Weltpremiere von Spectre fand am 26. Oktober 2015 in der „Royal Albert Hall“ in London statt, exakt 50 Jahre nach der Premiere von Feuerball, 30 Jahre nach der Premiere von Im Angesicht des Todes und 20 Jahre nach der Premiere von GoldenEye.

Der Film spielte weltweit um die 880 Millionen US-Dollar ein, was ihn zum zweiterfolgreichsten Bond-Film macht, wenn man inflationsbereinigte Einspielergebnisse vergangener Zeiten einmal außen vor lässt. Spectre war mit diesem Einspielergebnis aber nur der sechsterfolgreichste Film im Jahr 2015, das generell ein Jahr war, in dem sich einige Werke als wahre „Box Office Giganten“ erwiesen hatten, allen voran die drei Milliarden-Hits Star Wars: Das Erwachen der Macht (Originaltitel: Star Wars: The Force Awakens; Regie: J. J. Abrams; Einspielergebnis: rund 2,068 Milliarden US-Dollar), Jurassic World (Regie: Colin Trevorrow; Einspielergebnis: rund 1,67 Milliarden US-Dollar) und Fast & Furious 7 (Originaltitel: Furious 7; Regie: James Wan; Einspielergebnis: rund 1,52 Milliarden US-Dollar – der riesige Erfolg des Films ist bekanntlich vor allem auch der traurigen Tatsache geschuldet, dass der 2013 bei einem Autounfall ums Leben gekommene Paul Walker darin seine letzte Filmrolle spielt!).

 

Daniel Craig ist tatsächlich so etwas wie der legitime Nachfolger des großen Sean Connery – und wenn Craig die Bond-Serie einmal definitiv verlassen wird (diesbezügliche Ankündigungen seinerseits, die allerdings nicht in die Tat umgesetzt wurden, gab es ja schon nach Skyfall und nach Spectre), dann wird er das als veritable „James Bond-Legende“ tun, so wie eben Connery, aber auch Moore oder Brosnan, vor ihm.

Und wenn „James Bond and his Girlfriend Madeleine Swann“ am Ende von Spectre mit dem Aston Martin DB5 davonfahren, „to parts unknown“, dann wäre das sicherlich auch das gelungene Schlussbild der glorreichen Bond-Ära von Craig gewesen, die jetzt aber doch noch, unter der Regie von True Detective I-Regisseur Cary Joji Fukunaga, 2020 in „Bond 25“ eine willkommene Fortsetzung finden wird.

 

 

 

(NEU ÜBERARBEITETE FASSUNG; Ur-Fassung: 27.02.2019)