Miami Vice (2006; Regie: Michael Mann): Der Fall Colin Farrell - Zuerst Sonny Crockett, dann ab in die Entzugsklinik...

 

Aus gegebenem Anlass, nämlich dem DVD- und Blu-ray-Release der 2. Staffel der Fernsehserie True Detective, habe ich begonnen mich wieder mit Colin Farrell auseinanderzusetzen, den ich schon in Alexander (2004; Regie: Oliver Stone) oder in In Bruges (2008; Brügge sehen...und sterben?; Regie: Martin McDonagh) ganz phantastisch fand, der aber in den letzten Jahren in Hollywood nicht gerade als Blockbuster-Garant galt. Sowohl das von Len Wiseman inszenierte Remake eines Schwarzenegger-Über-Klassikers aus 1990, nämlich Total Recall (1990; Die totale Erinnerung – Total Recall; Regie: Paul Verhoeven), ging 2012 mit Farrell am Box-Office baden, und das meiner Meinung nach völlig zu Unrecht, denn der Film ist wirklich „gnadenlos unterhaltsam“, als auch Winter‘s Tale (2014; Regie: Akiva Goldsman) mit Co-Star Russel Crowe. Was den zweitgenannten Film betrifft, so enthalte ich mich einer Beurteilung, da ich ihn schlichtweg nicht gesehen habe - allerdings vermute ich da „gnadenlosen Kitschalarm“.

 

Wie auch immer, 2006 war Farrell in Hollywood noch eine heiße Nummer und der Regisseur Michael Mann drehte mit Farrell und Jamie Foxx tatsächlich ein Remake der TV-Serien-Legende Miami Vice (1984-1990), die Michael Mann seinerzeit ja selbst als sogenannter Executive Producer betreut hatte und somit maßgeblich für den bahnbrechenden visuellen Stil der Serie verantwortlich zeichnete, der die von Anthony Yerkovich kreierten Charaktere, wie James „Sonny“ Crockett (Don Johnson), Ricardo „Rico“ Tubbs (Philip Michael Thomas), Stanley Switek (Michael Talbott), Larry Zito (John Diehl) sowie Gina Calabrese (Saundra Santiago) und Trudy Joplin (Olivia Brown), zu absoluten Kultfiguren werden ließ. Auf keinen Fall vergessen darf man aber auch Edward James „The Voice“ Olmos, der Martin Castillo spielt, den Chef der Vice-Einheit. Dessen charismatische englische Originalstimme, von der man sich z. B. auch in der 6. Staffel der TV-Serie Dexter (2011) noch ganz gut überzeugen kann, darf man sich nicht entgehen lassen!

Vor allem aber natürlich Don Johnson, der damals noch „uneingeschränkt phantastisch“ aussah, wurde durch die Rolle des „Sonny“ Crockett weltberühmt und zu einer wahren Stil-Ikone, vor allem, was die damalige Herrenmode betraf. Die bunten Miami-Vice-Outfits, inklusive der Ray Ban-Sonnenbrillen, waren Kult und allgegenwärtig.

Trotz des gnadenlosen „80s-Touch“, der der Serie anhaftet, ist sie auch heute noch überraschenderweise gut zu konsumieren, ohne dass einem etwas „besonders aufstößt“ oder etwas „unfreiwillig komisch daherkommt“, wie das beispielsweise dann doch bei dem TV-Klassiker Magnum, P.I. (1980-1988; Magnum)  oder vor allem bei Serien wie The A-Team (1983-1987; Das A-Team) der Fall ist. 

Aber: Wenn man die 5 Staffeln Miami Vice konsumiert, sollte man sich unbedingt eine englischsprachige Gesamtausgabe besorgen, denn nur in einer solchen sind sämtliche Folgen ungeschnitten(!) zu sehen. Die deutschsprachigen Ausgaben sind fast generell um ein paar Minuten gekürzt, was jetzt in den allermeisten Fällen, rein inhaltlich gesehen, vielleicht nicht „die Welt“ ausmacht, vor allem aber in der letzten Staffel, und da ganz speziell beim Serienfinale, fast schon an Entstellung grenzt, da vieles unausgegoren, seltsam und widersinnig wirkt, was aber in der deutschen Version klar an der absurden „Herumschneiderei“ liegt.

Ganz abgesehen davon, kann ich persönlich geschnittene Versionen von Serien oder Filmen ohnehin nicht leiden - für den „Komplettisten“ ein wahrer Albtraum :-).  

 

Nun, Michael Mann, der Regisseur des 2006er-Miami Vice-Films, kann getrost als einer der besten Hollywoodregisseure bezeichnet werden, denn wer Filme wie Heat (1995) mit Robert De Niro und Al Pacino, Collateral (2004) mit Tom Cruise, The Last of the Mohicans (1992; Der letzte Mohikaner) mit Daniel Day Lewis, Public Enemies (2009) mit Johnny Depp oder The Insider (1999; Insider) mit Pacino und Russel Crowe inszeniert hat, dem kann man wohl schwerlich unterstellen „Mist“ zu drehen.

Sogar den legendären Hannibal „The Cannibal“ Lecter hat Michael Mann als Erster auf die Leinwand gebracht, mit seiner Verfilmung des 1981 erschienenen Thomas Harris-Romans Red Dragon (dt. Titel: Roter Drache). Das meiner Meinung nach bahnbrechende und visuell wie inhaltlich aufregende Werk aus dem Jahre 1986 trug aber damals den Titel Manhunter (als deutscher Titel wurde für den Verleih „Blutmond“ gewählt) und die Rolle des Ermittlers Will Graham spielte William Petersen, der viel später bekanntlich in der Fernsehwelt megaerfolgreich zu Gil Grissom, dem „Mr. CSI: Vegas“, mutierte. Wie auch immer: Der Film Manhunter hatte im ganzen Action-Wirrwarr der 80er keinerlei Chance und floppte leider total, obwohl das Werk weit subtiler daherkommt als etwa der „ewige Geniestreich“ von Jonathan Demme The Silence of the Lambs (1991; Das Schweigen der Lämmer).

 

Aber zurück zu dem Miami Vice-Film von 2006, und dabei eines gleich vorweg: Wer ein „Retro-Erlebnis“ erwartet hatte, das den Geist der Serie atmet oder wieder aufnimmt, wurde eher enttäuscht, denn Michael Mann hat so ziemlich alles vermieden, was einen „Retro-Touch“ gehabt und die alte Serie irgendwie kopiert hätte.

Jan Hammers legendäres „Miami Vice Theme“, das viele Zuseher, einschließlich mich selbst, seinerzeit gleich in eine leicht euphorische Stimmung und in Vorfreude auf die kommende Folge versetzt hat, kann man sich sozusagen abschminken und es kommt nicht mal in einer „modernen Interpretation“ vor (die Mission: Impossible-Reihe mit Cruise ist da, was die Filmmusik betrifft, weit gnädiger :-)). Und Michael Mann geht sogar noch viel weiter, sein Film hat gar keinen Vorspann, sondern kommt gleich zur Sache, mit so etwas wie einer „Kampf-Szene“ in einem Club, die zugegeben etwas an Collateral erinnert. Musikalisch haben im Film eher Moby mit „Anthem“ oder „One of These Mornings“ sowie Mogwai mit „Auto Rock“ oder Nonpoint mit dem Phil Collins-Cover „In the Air Tonight“ das Sagen, eine Tatsache, die dem Ganzen natürlich Modernität verleiht und die ausgefeilten, teilweise atemberaubenden Bilder auf eindrucksvolle Weise unterstützt.

Wie schon bei der Serie, gilt auch für den Film möglicherweise die Formel "Style over Substance", trotzdem wurde der Miami Vice-Film immer wieder, in diversen Auflistungen, zu den besten 10 Actionfilmen der 2000er-Jahre gewählt.

 

Die Geschichte ist kurz erzählt und eigentlich unspektakulär: Crockett und Tubbs heften sich, nachdem sie auf Grund eines Tipps eine beträchtliche Menge Drogen beschlagnahmen und dies geschickt wie einen Raub aussehen lassen, unter ihren Decknamen „Sonny Burnett“ und „Rico Cooper“ und mit einem offiziellen Auftrag des FBIs (in dem, wie könnte es auch anders sein, wieder mal eine undichte Stelle sitzt), an die Fersen eines von Luis Tosar, in seinen wenigen Auftritten, recht unheimlich gespielten kolumbianischen Drogenbarons namens Montoya. Dessen „Mann fürs Grobe“, Yero (John Ortiz), traut jedoch den beiden neuen Geschäftspartnern seines Bosses, denen recht schnell Ladungen mit in die Vereinigten Staaten zu schmuggelnden Drogen anvertraut werden, nicht über den Weg; vor allem ist ihm die sexuelle Beziehung zwischen „Burnett“ und Isabella, die Montoya „in geschäftlichen Dingen“ berät, ein Dorn im Auge. Isabella wird im Übrigen von Chinas weiblichem Superstar schlechthin gespielt: Gong Li.

Letztendlich kulminiert am Ende alles in einer ausgedehnten Schießerei am Hafen, bei der beide Seiten die Masken fallen lassen und die von Michael Mann gewohnt großartig inszeniert ist, jedoch, wohl aus guten Gründen, nicht jene epische Breite der legendären Dauer-Schießerei aus Heat besitzt. Crockett rettet, nachdem Yero durch Tubbs zu Tode gekommen ist, Isabella, indem er die von der verblüffenden Tatsache, nämlich dass „Burnett“ in Wahrheit ein Cop ist, überraschte und wütende Frau aus der Szenerie schleust und sie durch einen Freund mit einem Boot nach Havanna bringen lässt.

Die Abschiedsszene allein ist sehenswert, denn es wird kaum etwas gesprochen, sondern die Blicke von Farrell, der am Ufer steht, und Gong Li, die sich auf dem Boot befindet, sagen in punkto „Abschied für immer“ mehr als jeder Dialog leisten könnte!

Überhaupt lebt der Film nicht von den Dialogen, sondern von der Atmosphäre, den satten Farben, den großartigen Flugaufnahmen etwa, bei denen selbst die Wolken wie Kunstwerke erscheinen, der exzellenten Musik, den Nachtaufnahmen von Miami, die der Stadt etwas Monströses und Unheimliches verleihen, was sie auch zweifellos besitzt.

Style over Substance“ stört hier nicht im Geringsten, denn die Story ist zweitrangig und in dem Sinn auch nicht originell.

Gedreht wurde, auch außerhalb Miamis, noch dazu meist an Originalschauplätzen, wie etwa in Kolumbien etc., was dem Ganzen eine unvergleichlich realistische Note verleiht.

Eine offenkundige Reminiszenz an die Originalserie, genauer gesagt, an Staffel 1 der Serie, ist allerdings die Gefangennahme von Trudy (gespielt von Naomie Harris - mittlerweile als neue „Miss Moneypenny“ an der Seite von 007 Daniel Craig einem sehr breiten Publikum bekannt), die, auf Yeros Anweisung hin, in die brutalen Hände einer  „arischen Bande“ gefallen ist, die ebenfalls zu Montoyas Netzwerk in Miami gehört. Ihre Kollegen, Crockett, Tubbs (mit dem Trudy im Film eine intime Beziehung hat), Zito (Justin Theroux), Calabrese (Elisabeth Rodriguez) und Switek (Domenick Lombardazzi) befreien sie, unter der Leitung von Lieutenant Castillo (Barry Shabatta Henley), aus ihrem Wohnwagenverlies. Wie damals in der Serie ist die gefesselte Trudy mit einer Sprengstofffalle versehen, die aber, nachdem die „Bad Guys“ fast allesamt ausgeschaltet sind, sofort entfernt werden kann. Kurz darauf wird Trudy Joplin aber doch noch schwer verletzt, nämlich durch eine zusätzliche, am Wohnwagen angebrachte Sprengfalle, die von Yero ferngezündet wird. Dramaturgisch für meinen Geschmack fast ein wenig zu viel des Guten! Aber: Sie überlebt natürlich!   

 

Kurz und gut, es wird Zeit ein Resümee zu ziehen: Ein toller Action-Film mit großartigen Hauptdarstellern, mit viel Stil und Atmosphäre sowie realistischen Gewaltszenen, die wahrlich nichts beschönigen, speziell, was die verheerenden Auswirkungen von Schussverletzungen betrifft, die von großkalibrigen Waffen stammen.

Mein persönlicher Magic-Moment des Films: Colin Farrell und Gong Li rasen mit einem Speed-Boot über ein fast unwirklich blaues Meer und unter den Klängen von Mobys „One of These Mornings“ in Richtung Havanna, einfach nur „um dort einen Drink zu nehmen“.

Dieser Film ist eben großartig und uneingeschränkt empfehlenswert!

 

Ach ja, noch ein kleines, pikantes, fast traurig ironisches Detail am Rande: Colin Farrell, der ja einen Detective spielt, der Drogenhändlern hinterherjagt, musste sich unmittelbar nach den Dreharbeiten zu Miami Vice selbst in eine Entzugsklinik einweisen lassen. Der Grund: Jahrelange schwere Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit! 

 

(2016; überarbeitete Version vom 05.07.2018)