Ausschnitt aus "SIX MOVIES TO BE MURDERED BY - DAS KINO DES ALFRED HITCHCOCK": "DAS FENSTER ZUM HOF / REAR WINDOW" (Teile 2.1 & 2.2)

 

Haben Sie noch nie etwas von Schuhfetischismus gehört?

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Wenn Sie künftig abends zu mir kommen, werden Sie diese Stiefeletten anziehen. Das erweckt in mir Erinnerungen, meine kleine Marie. Tagsüber ist es nicht notwendig, aber abends machen Sie mir damit eine große Freude

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Sitting around looking out of the window to kill time is one thing, but doing it the way you are, with binoculars and wild opinions about every little thing you see, is diseased! […] [I]f you don’t stop it, I’m getting out of here

 

(ZITAT 1: Hitchcock zu seinem „künstlerischen Berater“ Herbert Coleman am „Rear Window“-Set, nachdem dieser sich wunderte, dass „Hitch“ eine halbe Stunde damit verbracht hat, an einer Großaufnahme von Grace Kelly’s Schuhen zu arbeiten; diese „Neigung“, also dem „filmischen Shoe Fetishism“ zu frönen, wird dann auch später in Vertigo – Aus dem Reich der Toten deutlich, wo James Stewart im Rahmen von Kim Novak’s „Um-Modellierung / Um-Gestaltung“ einmal von ihr verlangt, ein bestimmtes Paar Schuhe anzuziehen, die dann ebenfalls in einer Großaufnahme gezeigt werden; // ZITAT 2: aus dem genialen französischen Film Das Tagebuch einer Kammerzofe / OT: Le Journal d’une femme de chambre (1964) von Hitchcock’s „Generations-Kollegen“ Luis Buñuel – die Aussage stammt von dem alten „Monsieur Rabour“, der die Kammerzofe „Célestine“ Jeanne Moreau, die von ihm, in „alter menschenverachtender großbürgerlicher Tradition“, „der Einfachheit halber“, weil er alle seine vorherigen Kammerzofen auch so genannt hat, nur „Marie“ gerufen wird, mit seinem „Schuhfetischismus“ belästigt; // ZITAT 3: aus Das Fenster zum Hof – Grace Kelly, das „Opfer“ der „bad obsessions“, nämlich jener von Hitchcock am Set & jener von James Stewart im Film, meldet sich zu Wort und bezeichnet das Verhalten als „diseased“ / „krankhaft“ und droht abzuhauen; für die Rolle der „Lisa Fremont“ in „Rear Window“ hatte Kelly eine Rolle unter der Regie von Elia Kazan in dem Marlon Brando-Klassiker Die Faust im Nacken (1954) abgelehnt, welche schließlich von Eva Marie Saint übernommen wurde, die ihrerseits wiederum 1959, als Kelly längst in Monaco weilte, dann als Co-Star von Cary Grant und als „Hitchcock-Blondine“ in Der unsichtbare Dritte / OT: North by Northwest zugegen war)

 

 

 

Ich wette, du […] wirst eines Tages bestimmt entsetzlich berühmt werden

 

(Worte, die Joan Chandler in „Hitch’s“ erstem Film mit Jimmy Stewart, also: Cocktail für eine Leiche, zu dem Klavier-spielenden Farley Granger, Hitchcock’s späterem „Strangers on a Train“-Star, sagt; Alfred Hitchcock galt spätestens ab den 1950er-Jahren und bis zu seinem Tod, und das ist quasi „statistisch/empirisch belegt“, zu den bekanntesten & populärsten Personen im internationalen Kulturbetrieb)

 

 

 

Hitchcock erfand eine neuartige Filmsprache, eine innere Sprache, mit neuartigen Kamera-Einstellungen und Schnitt-Techniken. Hitchcock war einer der großen Pioniere des Kinos

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Film kann Punk-Musik oder Orchester-Musik sein. Hitchcock ist ein Orchester-Dirigent. Wenn man den Punk-Stil mit drei Kameras ausleben will, wobei die Kamera ständig in Bewegung ist, und alles im Schneideraum zusammengefügt ist, dann ist das völlig legitim. Aber die Largos, Allegros, das Tempo und die Harmonie, das ist Präzision. Und Hitchcock ist ein präziser Filmemacher

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Es ist Hitchcock’s Vermächtnis. […] Das beste Beispiel für Hitchcock’s Art des Films

 

(Zum Thema „andere Meister des Kinos und ihre Verehrung für Hitchcock“ – das ZITAT 1 stammt vom großen Martin Scorsese, das ZITAT 2 von Guillermo del Toro, dem Regisseur von Pans Labyrinth (2006) und Shape of Water – Das Flüstern des Wassers (2017), und das ZITAT 3, das sich auf Das Fenster zum Hof bezieht, von Peter Bogdanovich (1939 - 2022); // zu dem Aspekt „Hitchcock als Pionier des Kinos“: eine der „Theorien“, die über den Regisseur im Umlauf sind, ist, dass Hitchcock, der seine Karriere ja Mitte/Ende der 20er-Jahre mit Stummfilmen wie The Pleasure Garden, The Mountain Eagle & The Lodger: A Story of the London Fog (alle drei veröffentlicht 1927) begonnen hatte, im Grunde immer ein „Stummfilmer“ geblieben ist, da er das Medium Film eben nicht als „Fotografie von sprechenden Leuten“ betrachtete, sondern, wie bereits erwähnt, „visuelle Elemente ohne Dialog“ bevorzugte, welche, unter dem Einsatz „aller verfügbaren Mittel des Filmemachens“, eine „emotionale Reaktion“ hervorrufen sollten; als meisterhaftes Beispiel für Hitchcock’s „Stummfilmen“ und für seine Art des „PURE CINEMA“, das natürlich bei Verfolgungsjagden am „pursten“ zum Ausdruck kommt, kann die wortlose & nur von der genialen Musik von Bernard Herrmann untermalte „James Stewart following Kim Novak through San Francisco in a car“-Szene in „Vertigo“ gelten)

 

 

 

The new Jimmy Stewart

 

(eine Bezeichnung aus den späten 90er-Jahren für den Schauspieler Tom Hanks, die in den USA „grassiert“ hat; Tom Hanks, der wie „the original James Stewart“ grundsätzlich „bei Frauen & Männern gleichermaßen beliebt“ ist und einen „Es ist leicht, ihn zu mögen und mit ihm zu arbeiten“-Ruf hat, war es allerdings nicht, der in einem Remake von „Rear Window“ mitgespielt hat, denn wie „Dial M for Murder“ wurde auch Hitchcock’s „Hinterhof-Klassiker“ zum Gegenstand einer „Neuverfilmung“; während aber der „Dial M-Nachahmungstäter“ Ein perfekter Mord von 1998 nicht einmal durch den von mir überaus geschätzten Michael Douglas ernsthaft gerettet werden kann, der sozusagen, obwohl er in dem Andrew Davis-Film anders heißt, darin in der „Tony Wendice“-Rolle zu sehen ist, ruft das „Das Fenster zum Hof“-TV-Remake von 1998 allein schon durch die Tatsache Interesse hervor, dass darin „Superman“ Christopher Reeve (1952 - 2004) die Hauptrolle spielt, welcher seit 1995 nach einem schweren Unfall bekanntlich querschnittsgelähmt war – für Reeve, für den das Werk ein Schauspiel-Comeback darstellte, wurde die Rolle, die ihm einen Screen Actors Guild Award sowie eine Golden Globe-Nominierung einbrachte, umgeschrieben und aus „Jason Kemp“, so wie der „L. B. Jefferies-Ersatz“ 1998 heißt, wurde ein gelähmter Architekt; die „Grace Kelly-Characters“ in „A Perfect Murder“ & „Rear Window“, so die Originaltitel der 98er-Filme, wurden übrigens von Gwyneth Paltrow sowie Daryl Hannah verkörpert)

 

 

 

Man verlangt vom Publikum fast zwei Stunden ununterbrochen auf ein und dieselbe Fläche zu starren. Da muss man darauf schon etwas unterbringen, was das Interesse der Leute wachhält“ (Alfred Hitchcock) – nun, ein Mittel, um dieses „Interesse des Publikums“ wachzuhalten, und das hat der Regisseur mehr als nur einmal betont, sah Hitchcock stets in dem Einsatz einer subjektiven Kamera, mit der man sozusagen in die Lage der Schauspieler versetzt wird und mit der man sieht, was „the actors & actresses“ sehen.

In Anbetracht dieser Tatsache muss man „Rear Window“, ein Werk, das fast gänzlich aus dem Blickwinkel einer Figur erzählt wird, als bestes Beispiel für den „subjektiven Einsatz visueller Elemente“ bezeichnen, denn der ganze Film, in dem es, rein thematisch gesehen, um Voyeurismus, um Schuld, um Beziehungen sowie um Sexualität geht, funktioniert in etwa nach dem folgenden Schema: Ein Mann sieht etwas und reagiert darauf. Er blickt irgendwo hin, wir folgen seinem Blick und fühlen, was er fühlt (Regisseur Peter Bogdanovich zum Thema Das Fenster zum Hof & die „subjektive Perspektive“: „Es geht um die Darstellung einer subjektiven Perspektive. Man sieht, was Jimmy Stewart beobachtet, dann sieht man seine Reaktion. Der gesamte Film ist so aufgebaut. Er guckt, man sieht, was er sieht, er reagiert. Das macht Hitchcock’s Können aus. Er hat die unglaubliche Fähigkeit, die Zuschauer in den Hauptdarsteller oder die anderen Figuren hineinzuversetzen. Das tut er mit viel Geschick“ // Alfred Hitchcock zu Peter Bogdanovich in einem Audio-Interview: „Man lässt einen Menschen etwas beobachten, man lässt ihn reagieren, man lässt ihn auf verschiedene Arten reagieren“).

Bevor Hitchcock aber seinen, wie er zu Truffaut meinte, „[…] vollkommen filmischen Film […]“ drehen und James Stewart in den Rollstuhl setzen konnte, damit dieser Zeuge einer ganzen „Fülle an kleinen Geschichten auf der anderen Seite des Hofes“ wird („James Stewart an einem Fenster, das ist übrigens die Situation des Kinozuschauers“ – François Truffaut), engagierte Hitchcock John Michael Hayes (1919 – 2008) als Drehbuchautor.

Hayes hatte die endgültige Zusage nach einem Treffen mit dem Filmemacher bekommen (John Michael Hayes: „Ich war sehr nervös wegen des Treffens mit Hitch, denn er war der große Alfred Hitchcock. […] Während des gesamten Dinners erwähnte er `Rear Window` kein einziges Mal“), das, wie Hayes später erzählt hat, zu einem leichten „kulinarischen & alkoholischen Exzess“ ausgeartet war und bei dem er sich als Liebhaber von Hitchcock’s Im Schatten des Zweifels (1943; OT: Shadow of a Doubt) geoutet hatte, der zufälligerweise zum damaligen Zeitpunkt „Hitch’s“ persönlicher Lieblingsfilm war (Anmerkung: In dem wiederum visuell äußerst virtuos daherkommenden „Shadow of a Doubt“ mimt Joseph Cotten einen Mann namens „Charlie Oakley“ aka „Onkel Charlie“, der im Laufe des Films wiederholt versucht, seine Nichte (Teresa Wright), die ebenfalls „Charlie“ heißt, umzubringen, weil ihn diese, und das zurecht, irgendwann schwer in Verdacht hat, ein gesuchter „Witwenmörder“ zu sein).

Als Vorlage für Das Fenster zum Hof, in dem Hitchcock gleichsam das gesamte Publikum zu Voyeuren macht und beobachten lässt, wie sich „dramas“ abspielen, die auf gewisse Weise allesamt die positiven & negativen Aspekte von „Human Relationships“ widerspiegeln und ein „Schauspiel menschlicher Schwächen“ präsentieren, diente die ca. 35-seitige Kurzgeschichte „It Had to Be Murder“ von Cornell Woolrich aus dem Jahr 1942, in der der Held, ein „Invalide, um den sich ein Krankenpfleger kümmert“, eben aus seinem Fenster schaut, dabei einem Mörder auf die Spur kommt und von diesem im Endeffekt bedroht wird – der gesamte „Greenwich Village-Lower Manhattan“-Aspekt sowie die im Film präsentierte „Love Story“ fehlen.

Einen wichtigen Aspekt der gesamten „Rear Window“-Story lieferten „Hitch“, dem etwa die Hälfte des Plots zuzuschreiben ist, aber auch zwei reale britische Mordfälle (Pat Hitchcock O’Connell: „Mein Vater liebte diese Geschichten und las die Berichte darüber“), nämlich „Der Fall Patrick Mahon“ & „Der Fall Dr. Crippen“.

Patrick Mahon hatte in Südengland ein Mädchen getötet, die Leiche zerstückelt und dann Stück für Stück aus einem Zug geworfen. Den Kopf des Mädchens jedoch wollte Mahon verbrennen und hatte ihn zu diesem Zweck in den Kamin seines Bungalows an der Küste getan und Feuer gemacht. Unter dem Einfluss der Hitze haben sich in der Folge dann aber die „Augen im Kopf“ geöffnet und Mahon ist schreiend aus dem Haus gerannt und mitten hinein in ein Gewitter, das zufälligerweise während der ganzen „Aktion“ losgebrochen ist. Bei seiner Rückkehr, die erst Stunden später erfolgt ist, war der Kopf schließlich verbrannt – eine Tatsache, die die Scotland Yard-Ermittler damals, nach der Ergreifung von Mahon, vor das Problem gestellt hat, den Kopf nicht finden zu können, was dann zur „Simulation“ des Vorgangs durch einen Scotland Yard-Inspektor mit einem beim Metzger gekauften Hammelkopf in Mahon’s Bungalow geführt hat (Hitchcock zu Truffaut: „Sehen Sie, in all diesen Fällen, in denen eine Leiche zerstückelt wurde, ist das Hauptproblem für die Polizei, den Kopf wiederzufinden“).

Vielleicht noch ein wenig „verhaltensorigineller“ mutet da der Fall von Dr. Crippen an, denn: Dr. Hawley Crippen, ein Londoner Arzt, hat seine Frau umgebracht und zerstückelt – und als irgendwann dann „Fragen nach dem Verbleib von Mrs. Crippen“ aufgetaucht sind, hat er, wie der „Lars Thorwald-Character“ in Das Fenster zum Hof, behauptet, sie wäre verreist. Jedoch beging Crippen einen Fehler, indem seine Sekretärin irgendwann mit Schmuck seiner Frau gesichtet wurde. Bei einer Befragung durch Scotland Yard hat Crippen dann ziemlich glaubwürdig versichern können, dass seine Frau in Kalifornien weilt. Anschließend jedoch waren der Arzt und seine Sekretärin nicht mehr auffindbar. Auf einem Dampfer, der von Antwerpen aus Montreal ansteuerte, ist dem Kapitän dann „ein seltsames Duo“ aufgefallen, nämlich ein gewisser „Mr. Robinson“ & dessen „Sohn“, deren Verhältnis von „ungewöhnlich großer Zuneigung“ geprägt schien. Nach ein paar „James Stewart-in-Das Fenster zum Hof“-artigen Beobachtungen des Kapitäns war diesem klar, dass die beiden Robinsons eindeutig verkleidet waren, was dann zur Folge hatte, dass der Kapitän einen Funkspruch abließ und daraufhin ein Inspektor von Scotland Yard namens Dew mit einem noch schnelleren Schiff zum Ort Pointe-au-Pére (früher: Father Point) am Sankt-Lorenz-Strom eilte, um dort zuzusteigen und um den verkleideten Dr. Crippen & dessen verkleidete Sekretärin zu verhaften. Wieder zurück in Großbritannien wurde der Arzt schließlich gehängt und die Sekretärin freigesprochen (Truffaut: „Ach, und die Sache mit dem Schmuck hat Sie zu dieser Szene mit Grace Kelly inspiriert?“ / Hitchcock: „Ja, zu der Szene mit dem Ehering. Wenn die Frau wirklich auf Reisen gegangen wäre, hätte sie bestimmt ihren Ehering mitgenommen“).

 

 

 

 

 

Ich habe `Whodunits` immer vermieden, weil bei ihnen sich meistens das ganze Interesse auf den letzten Teil konzentriertMan sitzt da und wartet in Ruhe auf die Antwort: Wer war der Täter? Von Emotionen keine Spur

 

(Aussage von Alfred Hitchcock, die verdeutlicht, dass es dem Regisseur (in dessen Werk es so gut wie nie Geschichten gibt, die sich um Berufsverbrecher/Gangster drehen oder bei denen „im letzten Teil“ irgendwelche Fragen nach dem Täter geklärt werden) nicht um die „Abfolge grober Crime Movie-Effekte“ oder um die „Tätersuche“ ging, sondern eben um „Suspense“ im Sinne von „intelligent aufgebauter Zuschauer-Irritation“; Hitchcock’s Helden & Heldinnen sind dabei zumeist sogar „gutbürgerlich“, erleiden dann aber einen „Identitätsverlust“ und werden gleichsam „aus der Ordnung ihres alltäglichen Lebens“ katapultiert – indem sie in ein Verbrechen verwickelt oder plötzlich selbst für „Criminals“ oder „Spies“ oder dergleichen gehalten werden)

 

 

 

Du gehst ins Kino ohne mich? Was wird da gespielt?

„`Arizona Jim`“

 

(Dialog zwischen Catherine Deneuve & Jean-Paul Belmondo in François Truffaut’s „Love & Crime-Story“ Das Geheimnis der falschen Braut / OT: La sirène du Mississipi / internationaler Verleihtitel: Mississippi Mermaid, einem Film, so wie’s im Vorspann heißt, entstanden „D’APRES LE ROMAN DE WILLIAM IRISH[Pseudonym für den „It Had to Be Murder“-Autor CORNELL WOOLRICH]“; das Werk, eine Verfilmung von Woolrich’s „Waltz into Darkness“ / dt. Titel: „Walzer in die Dunkelheit“ (1947), ist, wie bereits in der „Vorbemerkung“ erwähnt, eindeutig an „Monsieur Hitchcock-Movies“ angelehnt und weist durchaus Parallelen zu „Vertigo“ und „Marnie“ auf oder am Ende, in dem Teil, wo sich Belmondo nicht sicher ist, ob ihn die Deneuve vergiften will, zu „Suspicion“ / dt. Titel: Verdacht von 1941, „Hitch’s“ erster Arbeit mit Cary Grant; einen wunderbaren „Kriminalfilm mit Hitchcock-Anleihen“ stellt dann übrigens auch Truffaut’s allerletzter Film dar, der gleichzeitig mein persönlicher „favorite Truffaut-Film“ ist, nämlich das in S/W gedrehte Werk Auf Liebe und Tod / OT: Vivement dimanche! (1983) mit Fanny Ardant & Jean-Louis Trintignant)

 

 

 

Im Film muss sich James Stewart zwei Fragen stellen: `Was ist mit seinem Privatleben, wird er Grace Kelly heiraten?` Und: `Was geschieht draußen vor seinem Fenster in all den anderen Wohnungen?` Um seinen eigenen Problemen auszuweichen, konzentriert er sich auf die Außenwelt und wir mit ihm

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Jimmy war ein liebenswerter, gütiger Mensch. Schauspieler und Mensch unterschieden sich nicht sehr. Was man sah, das bekam man

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Als ich diese eineinhalb Wochen mit Grace Kelly verbrachte, bemerkte ich ihren ausgeprägten Sinn für Humor. Sie war klug und schlagfertig. Sie hatte alle Merkmale einer guten Schauspielerin. Aber in `Bei Anruf Mord` hielt ich sie für steif und kalt

 

(ZITAT 1: Aussage von Curtis Hanson, die quasi die „Ausgangssituationen“ für James Stewart & für das Publikum bei Das Fenster zum Hof noch einmal festmacht; // ZITAT 2: wie für Grace Kelly fand Hitchcock’s Tochter Pat auch für Jimmy Stewart stets nur positive oder, wenn man so will, „leicht verklärende“ Worte – und die Zusammenarbeit Alfred Hitchcock-James Stewart soll, laut Pat Hitchcock OConnell, am „Rear Window“-Set, vergleicht man alle vier „Kollaborationen“ der beiden, „am allerbesten & harmonischsten“ gewesen sein, wobei Stewart seine Teilnahme an dem Projekt, gegen eine Gewinnbeteiligung, bereits nach der Lektüre von Hayes‘ Treatment zugesagt hatte, das, wie die Kurzgeschichte von Woolrich selbst, ca. 35 Seiten umfasst haben soll; // ZITAT 3: Statement von Drehbuchautor John Michael Hayes zum Thema „Grace Kelly“; bei den „1½ Wochen“, von denen Hayes spricht, handelt es sich um eine „Kennenlern-Phase“, die Hitchcock dem Drehbuchautor & Kelly im Vorfeld der Dreharbeiten verordnet hatte; wie aus dem Statement hervorgeht, war Hayes von Kelly’s schauspielerischen Fähigkeiten zunächst weniger überzeugt, während Kelly für Hitchcock, so wie’s Donald Spoto so ähnlich ausgedrückt hat, immer mehr zur „Antwort auf seine beruflichen Vorlieben sowie persönlichen Fantasien“ wurde; Hayes‘ „Reaktion“ auf die aus seiner Sicht „kalte & steife“ Kelly-Performance in „Dial M“ war, dass er den „Lisa Carol Fremont-Character“, in den Hayes übrigens auch viel von seiner Ehefrau, einem Model, „eingearbeitet“ hat, mit so viel „Lebhaftigkeit“ wie möglich ausstattete)

 

 

 

Wenn es um den Themenkomplex „Alfred Hitchcock & Scriptwriters“ geht, dann wird man meistens mit so einer „Die Autoren & Autorinnen arbeiteten gerne mit ihm, weil er sie inspirierte und seine Ideen sehr visuell, sehr filmisch waren“-Erzählung konfrontiert, aber: der „Rear Window-Screenwriter“ John Michael Hayes, der aus der literarischen Vorlage von Woolrich eben „etwas ganz Neues“ gemacht hat und natürlich im Nachhinein auch dazu tendierte, das „gelungene Endprodukt“ Das Fenster zum Hof sowie dessen Entstehungsprozess ein wenig zu idealisieren (John Michael Hayes: „Es war ein Moment in der Filmgeschichte, wo alles zu stimmen schien. Einfach alles, mit einem Minimum an Konflikt und einer wunderbaren Mischung aus Talent“), hat sich mitunter auch anders über die „cooperation“ mit Hitchcock geäußert.

So neigte Hitchcock stets dazu, in Interviews so zu tun, als ob er das Drehbuch selbst geschrieben sowie und auch sämtliche „Characters“ selbst entwickelt hätte – und das einzige Kompliment, das Hayes angeblich von Hitchcock je für sein Fenster zum Hof-Drehbuch, das sicherlich eines der besten „Hitchcock-Drehbücher“ ist, erhalten hat, war, dass seine Ehefrau Alma es mochte (Anmerkung: Hitchcock und Alma Lucy Reville (1899 - 1982) heirateten am 2. Dezember 1926 und Alma Hitchcock war nicht nur „Hitchcock’s Ehefrau“ oder „Mrs. Hitchcock“, sondern, wenn es um das Filmen ging, und bei Hitchcock ging’s irgendwie immer ums Filmen, im Grunde auch „seine wichtigste & hilfreichste Mitarbeiterin“ – „Alma […] war nicht nur gelegentlich seine Muse, eine Kraft in seinem emotionalen Haushalt“ (D. Spoto) // „Alma war Hitchcock’s Stabilisator […]. Er konnte mit ihrer Hilfe alles abwägen, denn sie war sein literarisches Gewissen. Sie wusste, wann der Dialog stimmte, wann der Sprachrhythmus stimmte“ (Copyright: Karl Malden, der in Zum Schweigen verurteilt als „Inspector Larrue“ zu sehen war und auf dem „I Confess“-Set Zeuge von „Hitchcock’s Abhängigkeit von Alma“ geworden ist).

Darüber hinaus beklagte sich Hayes auch darüber, dass er nur 15.000$ für das Skript erhalten hatte und ihm eine versprochene Prämie quasi „dauerhaft vorenthalten“ wurde, denn: Hitchcock wollte zunächst, bevor er die besagte „Prämie“ ausbezahlte, abwarten, ob der fertige Film genauso viel hergab wie das Drehbuch versprach. Dann meinte Hitchcock, dass man abwarten müsse, ob der Film bei der Kritik ankommt, und als das eindeutig der Fall war, meinte Hitchcock, man müsse erst die „Publikumsreaktionen“ abwarten (John Michael Hayes darüber, wie sich „die Farce um die Prämie“ fortgesetzt hat: „Als wir später an einigen Stellen seines neuen Films unterschiedlicher Meinung waren, sagte er: `Verärgern Sie mich nicht, oder Sie bekommen die Prämie für `Das Fenster zum Hof` nicht`. Und ich sagte nur: `Hitch, bitte erwähnen Sie diese imaginäre Prämie nie wieder`. Das tat er nicht, und ich bekam sie auch nie“). Nichtsdestotrotz sollte Hayes, der darin einen Versuch Hitchcocks sah, seine Gage auch für „Folge-Projekte“ möglichst niedrig zu halten, dann auch noch die Drehbücher zu Über den Dächern von Nizza, Immer Ärger mit Harry und Der Mann, der zuviel wusste verfassen.

 

Ganz im Gegensatz zu den „3-D-Dreharbeiten“ von Bei Anruf Mord, die ihnen bei Warner Brothers aufgezwungen worden waren, empfanden Hitchcock und sein Kameramann Robert Burks die „Rear Window“-Dreharbeiten als „ungemein befriedigende Herausforderung technischer Natur“, die noch dazu ohne Einmischung der Chefetage von Paramount über die Bühne gehen konnte.

Die enorme & sorgfältig ausgearbeitete Dekoration (Produktionsdesign: Hal Pereira & Joseph McMillan Johnson), die die größte Dekoration war, die bis zu diesem Zeitpunkt bei Paramount entstanden war und die gesamte „Paramount Bühne 18“ füllte, bestand aus 31 Wohnungen, wobei ganze 12 davon sozusagen „komplett eingerichtet“ und teilweise sogar „tatsächlich funktionsfähig“ waren.

Zunächst spielte der Regisseur mit dem Gedanken, seinen Film, der insgesamt rund eine Million Dollar kosten würde, tatsächlich in Greenwich Village zu drehen, aber Hitchcock, wie einige seiner Filme ganz deutlich zeigen, mochte es, „sich selbst Grenzen zu setzen“, und er entschloss sich dazu, die „Rear Window“-Kulissen auf einer Ton-Bühne des Filmstudios bauen zu lassen. Im Vorfeld hatte er auch noch mehrere Fotografen engagiert, die Greenwich Village „from all sides“ unter den verschiedensten Wetter- & Licht-Bedingungen fotografieren sollten, damit im Film „ein möglichst realistisches Lower Manhattan-Flair“ vermittelt werden konnte. Um den ca. 75.000$ teuren Szenenaufbau so aussehen zu lassen, wie das dann im fertigen Film der Fall war, arbeiteten 50 Männer gut zwei Monate lang.

Bei den Dreharbeiten (John Michael Hayes: „Hitchcock dachte intensiv über jede Szene nach“) erwies sich vor allem die Beleuchtung der einzelnen Kulissen & Wohnungen als echtes Problem – und eines Tages musste sogar mit „Leih-Lampen & Leih-Scheinwerfern“ von MGM und Columbia gearbeitet werden, weil Paramount bereits sämtliche „Lichtquellen“, die nicht gerade aktuell auf dem Studiogelände gebraucht wurden, für den Hitchcock-Film abgezogen hatte, was dann allerdings zu einer „Überhitzung“ der Szenerie führte und die Sprinkleranlage auslöste, ein Vorfall, der „Hitch“ aber, glaubt man den Erzählungen seines Hauptdarstellers Jimmy Stewart, damals nicht wirklich aus der Ruhe brachte (James Stewart: „Er saß da und befahl seinem Assistenten, die Sprinkleranlage ausschalten zu lassen und ihm zu sagen, wann es zu regnen aufhören würde. Bis dahin sollte er ihm einen Schirm bringen“).

Hitchcock kümmerte sich natürlich nicht nur um die Kulissen, sondern im Grunde um so ziemlich jeden Aspekt des Films – und dazu zählte wiederum auch die „Garderobe“ von Grace Kelly.

Eine „Alfred Hitchcock & Grace Kelly-Set-Geschichte“ ist dabei besonders populär geworden, nämlich jene, die sich um „Brusteinlagen für Grace Kelly“ dreht. Dabei ging es darum, dass der Regisseur bei der Probe für die Szene, in der Kelly das weiße Nachthemd trägt, sich einbildete, dass „eine Falte nicht richtig liegt“ und die Schauspielerin deswegen Schaumgummieinlagen benötige (Hitchcock damals zu seiner Kostüm-Designerin Edith Head: „Sehen Sie, der Busen ist nicht richtig. Wir werden da etwas hineintun müssen“ - Quelle: D. Spoto).

Kelly jedoch weigerte sich dann in einem Vier-Augen-Gespräch mit Head, die besagten Einlagen zu tragen, und die beiden Frauen veränderten das Nachthemd schließlich ganz ohne Schaumgummi, mit dem Effekt, dass Hitchcock, als Kelly & Head wieder zurück ins Studio kamen, begeistert von der „Veränderung durch die Einlagen“ war – „Seht ihr, was sie für einen Unterschied machen?“ (Hitchcock).

  

Das Fenster zum Hof, für den Hitchcock eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester Regisseur“ erhielt (mit Nominierungen wurden aber auch Robert Burks, John Michael Hayes sowie Loren L. Ryder [für „Beste Tonmischung“] bedacht), wurde ein regelrechter Kassenschlager und spielte in den ersten beiden Jahren seiner Veröffentlichung fast das Zehnfache der Produktionskosten ein (Anmerkung: Insgesamt wurde Hitchcock fünfmal in der Kategorie „Best Director“ für den Oscar nominiert – für „Rebecca“, für „Lifeboat“, für „Spellbound“* (1945), für „Rear Window“ & für „Psycho“; *dt. Verleihtitel: Ich kämpfe um dich – Starring: Ingrid Bergman & Gregory Peck).

Aber auch die Filmkritik überschüttete, wie bereits angedeutet, das Werk tendenziell mit Lob – obwohl einige Stimmen Hitchcock’s New York-Bild als „verfälscht“ bezeichneten. Als allerdings François Truffaut, einst selbst Filmkritiker bei Cahiers du cinéma, von einem „US-Critic“ einmal zu hören bekam, dass er Das Fenster zum Hof nur mag, weil er weder New York noch Greenwich Village kennt, fand dieser so etwas wie „die einzig legitime Antwort“ darauf: „`Rear Window` ist kein Film über Greenwich Village, sondern einfach ein Film übers Kino, und ich kenne das Kino“.

 

 

 

(Neu überarbeitete Fassung; // ENDE der TEILE 2.1 & 2.2; Ur-Fassungen vom 13.01.2022 & vom 15.01.2022)