Ausschnitt aus "NO PULP IN THE FICTION"                 (Buch; 2020): Kapitel "THE MAN FROM HOLLYWOOD" (Teil 2[von 2])

 

„[`The Man from Hollywood`] hat ein paar besoffene Idioten zum Inhalt, die gerade die Hitchcock-Show gesehen haben und in ihrem Stumpfsinn versuchen, ihre eigene Show auf die Beine zu stellen

 

(QT über seinen Beitrag zu dem 4-Episoden-Film Four Rooms; zitiert nach der DVD-Edition Arthaus Close-Up: Quentin Tarantino)

 

 

Four friends, telling four stories, making one film“ (gleichsam das Motto der „Gemeinschaftsproduktion“ Four Rooms, das damals sogar auf dem „original screenplay“ abgedruckt war) – Allison Anders, Alexandre Rockwell, Robert Rodriguez & Quentin Tarantino trafen sich erstmals 1992 auf internationalen Filmfestivals. Beim Sundance-Festival liefen in dem besagten Jahr sowohl Tarantino’s Debüt Reservoir Dogs – Wilde Hunde als auch Anders‘ sehenswertes „melodramatic coming-of-age-tale“ Gas Food Lodging – Verlorene Herzen (Gas Food Lodging; mit: Brooke Adams, Ione Skye & Fairuza Balk) sowie Rockwell’s formidable Komödie In the Soup – Alles Kino (In the Soup) mit Steve Buscemi und Jennifer Beals, in der Buscemi den Drehbuchautor „Aldolpho Rollo“ spielt, der ein als „unverfilmbar“ geltendes 500-seitiges Drehbuch geschrieben hat, für das er einen Produzenten sucht.

Später im Jahr, genauer: im September 92, trafen alle drei (Anders, Rockwell & Tarantino) dann noch Robert Rodriguez beim Toronto-Filmfestival, da dieser dort sein gefeiertes Low-Budget-Debüt El Mariachi (Produktionskosten: nur rund 7000$; in der Titelrolle: Carlos Gallardo; Anm.: Im Sequel Desperado von 1995 spielt dann Antonio Banderas „El Mariachi“) vorstellte, einen Film, der auch als „lowest-budgeted film ever to gross 1 million dollar at the box office“ gilt (QT über den „Kennenlernprozess“ durch Filmfestivals: „Wenn du einen Festivalfilm hast, dann siehst du fast immer die gleichen Regisseure, wo immer du in den nächsten eineinhalb Jahren hinfährst. Du triffst auf die gleichen Leute in Sundance, Cannes, San Sebastian, Toronto, Telluride, und du findest schnell heraus, wer zurzeit noch Filme dreht. Nachdem alle Festivals zu Ende waren, blieben Robert, Allison, Alex und ich in Kontakt, und jetzt sind wir alle vier gute Freunde geworden“).

 

Die Ur-Idee zu Four Rooms, nämlich, dass verschiedene Regisseure die Vorkommnisse in verschiedenen Hotelzimmern im Laufe einer Silvesternacht inszenieren sollten, hatte nicht Tarantino, sondern eigentlich Alexandre Rockwell, welchem eben grundsätzlich vorschwebte, dass einige Regisseure der „Indie-Szene“ (deren „independent films“ zu jenem Zeitpunkt im Zuge des allumfassenden „Tarantino- & Pulp Fiction-Hypes“ ebenfalls die größtmögliche Aufmerksamkeit erhielten) sich zu einem „Gemeinschaftsprojekt“ zusammenfinden.

Neben Tarantino (dessen Produktionsfirma A Band Apart das Projekt mitbetreute – als „primärer Geldgeber“ fungierte Miramax) sagten auch Allison Anders und Robert Rodriguez zu, der, wie schon im Kapitel über Reservoir Dogs – Wilde Hunde erwähnt, ein Jahr später, 1996, dann bekanntlich auch den „Tarantino-written“ „Gangster- & Horror- & Splatter-Film“ From Dusk Till Dawn inszenierte – Richard Linklater (bekannt vor allem durch Before Sunrise & Before Sunset aus 1995 & 2004) jedoch, den QT & Co ebenfalls als Regisseur von „Five Rooms“, denn so lautete der ursprünglich angedachte Titel, in Betracht gezogen hatten, sagte seine Teilnahme im letzten Moment ab.

Die vier Filmemacher einigten sich schließlich darauf, gleichsam eine Geschichte ins Leere zu schreiben, ohne das Wissen um die Geschichten der anderen und nur mit der Vorgabe, dass diese Geschichten sich um die erste Nacht eines Hotelpagen in seinem neuen Job drehen sollten. Als einziger „roter Faden“ fungierte demnach lediglich der von Tim Roth gespielte „Ted the Bellhop“, eine Figur, die, wie Tarantino ja in seiner Episode zu verstehen gibt, als eine Art Hommage an Jerry Lewis‘ bemerkenswerten Auftritt in The Bellboy („Hallo, Page!“) von 1960 gedacht war (Anmerkungen: Dem in den USA seinerzeit tatsächlich irgendwie „vergessenen & unterbewerteten“ Starkomiker Jerry Lewis wird im Abspann gedankt; ein anderer „Ted, der Page“-Kandidat, nämlich Steve Buscemi, wollte diesen übrigens aus „Imagegründen“ nicht spielen).

Nachdem die vier Drehbücher (Anders‘ „The Missing Ingredient“, Rockwell’s „The Wrong Man[Anm.: Der Titel ist eine Hommage an den gleichnamigen Hitchcock-Film mit Henry Fonda & Vera Miles von 1956], Rodriguez‘ „The Misbehavers“ & Tarantino’s „The Man from Hollywood“ – „zugeordnete Hotelzimmer“ & dt. Titel: „Honeymoon Suite – Die fehlende Zutat“ / Zimmer 404 – Der falsche Mann“ / Zimmer 309 – Die Ungezogenen“ / Penthouse – Der Mann aus Hollywood“) fertig waren, stellten die vier Regisseure fest, dass die unabhängig voneinander entstandenen Stories allesamt tatsächlich denselben „Ton“ hatten (Allison Anders: „`Four Rooms` ist ein Beweis dafür, dass wir alle denselben schrägen Geschmack haben“) und somit auch nichts mehr gegen die Realisierung ihres geplanten Filmprojekts (finales Budget: 4 Millionen US-Dollar) sprach. Allerdings mussten Anders, Rockwell, Rodriguez & Tarantino dafür allesamt aus der DGA austreten, da die Regeln der „Directors Guild of America“ festhielten, dass ein Film sozusagen von nicht mehr als einem Regisseur inszeniert werden durfte.

 

Als literarische Vorlage für die Hitchcock-Episode (in The Man from Hollywood als „The Man from Rio“ bezeichnet), aus der QT sich die makabre Finger-Wette für sein Four Rooms-Segment „geborgt“ hat, gilt Roald Dahl’s „adult short fiction writing“ The Smoker von 1948, auch bekannt als Man from the South. 

Die in The Man from Hollywood angesprochene Folge aus „Alfred Hitchcock Presents“ (Anmerkung: Die legendäre TV-Anthologie-Serie wurde von Hitchcock produziert und „ge-hosted“ und lief von 1955 bis 1965 - „Leo“ Bruce Willis erwähnt -in der Originalfassung- nicht diesen Titel, sondern fragt „Ted“ Tim Roth nur: „Ted, you ever seen any of them old Alfred Hitchcock episodes?“) war eigentlich mit „Man from the South“ (Regie: Norman Lloyd) betitelt und wurde als 15. Episode der „Season 5“ der Serie am 3. Jänner 1960 gesendet.

In „Man from the South“ stehen sich, wie „Leo“ Bruce Willis „Ted, dem Pagen“ so eindringlich erklärt (siehe die Zusammenfassung des Inhalts), zwei wahre Filmlegenden gegenüber, nämlich die Film Noir-Ikone Peter Lorre (bekannteste Filme: Fritz Langs M - Eine Stadt sucht einen Mörder von 1931 & John Huston’s Der Malteser Falke von 1941) und eben Steve McQueen, der noch im selben Jahr, 1960, mit dem Edel-Western Die glorreichen Sieben (The Magnificent Seven; Regie: John Sturges) weltberühmt wurde. Die Hitchcock-Episode spielt in Nevada und während Lorre’s „character“, gemäß Dahl’s Vorlage, „Carlos“ heißt und Südamerikaner ist (in Roald Dahl’s Story hat dieser „Carlos“ „47 Finger“ gesammelt und „11 Autos“ verloren!), gilt McQueen darin nur als „The Gambler“, der am Ende von seiner Frau (Neile Adams – damals McQueen’s „real life wife“) davor bewahrt wird, tatsächlich einen Finger zu verlieren, denn sie unterbricht durch ihr Auftauchen die Wette, wobei im Nachhinein klar wird, dass er diese verloren hätte, denn als „The Gambler“ dann am Ende seiner Frau, gleichsam „after the stress“, eine Zigarette anzünden will, funktioniert sein Feuerzeug wirklich nicht.

 

Bruce Willis hatte durch seine vergleichsweise „preisgünstige“ Teilnahme an Pulp Fiction die Art, wie große Filmstars „Indie-Filme“ sahen und bewerteten, verändert - und auch das mit Pulp Fiction einhergehende spektakuläre Travolta-Comeback tat das Übrige dazu, dass Hollywood-Stars sich plötzlich für die „unabhängige Filmindustrie“ zu interessieren begannen.

In Four Rooms tummeln sich ein Haufen „Stars“ verschiedenster Art, nämlich damalige Stars der Independent-Szene wie Lili Taylor (bekannt aus Robert Altman’s Short Cuts oder Emir Kusturica’s Arizona Dream von 1993), die in der Allison Anders-Episode mitspielt, Musikstars wie Madonna (spielt ebenfalls in „Die fehlende Zutat“ mit und wurde dafür prompt für den Negativpreis „Goldene Himbeere“ nominiert), seinerzeitige „upcoming filmstars“ wie Antonio Banderas & Salma Hayek (sind beide in der Rodriguez-Episode „Die Ungezogenen“ zu sehen) und eben wiederum der „major movie star“ Bruce Willis.

Willis hatte durch den Umstand, dass er, quasi als Gefallen für seinen Freund Quentin Tarantino, auf jegliche Gage verzichtete, gegen die Regeln der Schauspielergewerkschaft SAG („Screen Actors Guild“) verstoßen, was zu der „Konsequenz“ führte, dass Willis‘ Name im Abspann nicht angeführt wurde, dafür aber derjenige seiner „Hairstylistin“ („Hairstylist for Bruce Willis PAMELA PRIEST“).

 

Die US-Premiere von Four Rooms fand am 25. Dezember 1995 statt. Der Film spielte nur wenig mehr ein als sein Produktionsbudget betrug, nämlich um die 4,2 Millionen US-Dollar.

Aber nicht nur das Publikum gab sich wenig begeistert von dem Werk, sondern auch die Filmkritik, denn bald schon galt die „Gemeinschaftsproduktion“ von vier der angesagtesten „Independent-Film-Regisseuren“ als „one of 1995’s major disappointments“ (Copyright: James Berardinelli auf seiner Website ReelViews) sowie als „uninspired anthology effort“ oder einfach nur als „goof“[Schnitzer, Panne]. Die deutsche TV-Zeitschrift TV-Spielfilm meinte gar, angesichts der „Silvester-Komponente“ des Films: „Vier Regisseure vergaßen die `Knaller`“.

Während viele nicht glauben konnten, dass sozusagen ausgerechnet das „Reservoir Dogs & Pulp Fiction-Genie“ Tarantino lediglich eine „vergleichsweise müde & uninspirierte Form von Selbstparodie“ ablieferte und „entsetzt“ waren über den „Pulp Fiction-Nachfolger“ The Man from Hollywood, wurde zumindest Robert Rodriguez‘ Episode tendenziell für das „perfekte Timing“ und den „rasenden Schnitt“ gelobt.

 

 

 

EPILOG

 

Nun, das Problem im Zusammenhang mit The Man from Hollywood, den ich eingangs als „interessante Fingerübung“ bezeichnet habe, und auch mit der gesamten „Anthologie-Komödie“ Four Rooms ist irgendwie -unterm Strich- Folgendes: Sosehr man sich bemüht, man mag das „Personal“ darin einfach nicht!

Denn: Man hat wirklich zeitweise das Gefühl, um auf die oben zitierte QT-Aussage Bezug zu nehmen, dass man lediglich „ein paar besoffenen Idioten dabei zusieht, wie diese versuchen, irgendeine betont schräge Show abzuziehen“.

Auch der potentiell „großartige & vielversprechende“ Aspekt, dass eine wahrlich denkwürdige Episode aus „Alfred Hitchcock Presents“ für die dargebrachte Wette Pate steht, geht darin letzten Endes unter und kommt eher als eine Art „special effect“ rüber als eine gelungene Hommage an das Duell Peter Lorre vs. Steve McQueen. Und auch „Ted the Bellhop“ ist eine wahre Nervensäge - und mit dem wunderbaren Jerry Lewis in dem virtuosen „Hallo, Page!“ überhaupt nicht zu vergleichen!

Was The Man from Hollywood gleichsam auf der „Haben-Seite“ hat, sind fantastische visuelle Komponenten, bedingt durch die Kameraarbeit von Andrzej Sekula sowie durch die Ausstattung des Penthauses, die man als „Irgendwas-zwischen-David Lynch-Film & sonst etwas“ bezeichnen könnte. 

Andererseits sollte man die „Fingerübung“ The Man from Hollywood nicht allzu ernst nehmen, denn für Tarantino muss das eher, nach dem „Monster“ Pulp Fiction, wie „ein Werk zum Luftholen“ gewesen sein, bevor man sozusagen „die nächste Großtat“ vollbringt, die dann auch 1997 mit Jackie Brown folgen sollte, einem Film, in dem „Ordell Robbie“ Samuel L. Jackson ein ganz anderer „Mann aus Hollywood“ ist als „Chester Rush“ Quentin Tarantino in The Man from Hollywood – was auch aus folgender Passage aus Jackie Brown hervorgeht, in der der Waffenhändler „Ordell“ mit seinem Kumpel „Louis Gara“ Robert De Niro an der Bar im „Cockatoo Inn“ sitzt und darüber spricht, wie er das 19-jährige „country girl“ Sheronda nach „Hollywood“ gebracht hat:

 

ORDELL

[…] vier Blocks weiter wohnt mein Juwel: Das 19-jährige Landei Sheronda. Ich hab sie an `ner Bushaltestelle aufgeschnappt irgendwo in Georgia, barfuß und unschuldig wie ein Lämmchen. Hab sie nach Compton verfrachtet und ihr erklärt, das wär Hollywood.

 

(aus: Jackie Brown; Compton: Vorort von Los Angeles, gleichsam Wiege des „Gangsta-Rap“ & noch immer eine der gefährlichsten Städte der USA)

 

 

 

(ENDE von TEIL 2 - Neu überarbeitete Fassung; Ur-Fassung: 21.04.2020)