PROLOG zu "NO PULP IN THE FICTION" (Buch; 2020)

 

PROLOG

  

 

VINCENT VEGA

Ich finde, wir sollten jetzt langsam gehen.

 

 

JULES WINNFIELD

Ja, das ist wahrscheinlich `ne gute Idee.

 

 

Nach diesem Dialog stecken John Travolta und Samuel L. Jackson, alias „Vincent & Jules“, ihre Schusswaffen ein und spazieren wortlos aus dem „Hawthorne Grill Restaurant“ in Los Angeles - und zu den Klängen von „Surf Rider“ von The Lively Ones beginnt der Abspann: WRITTEN AND DIRECTED BY QUENTIN TARANTINO…

Nach und nach verlassen die nicht gerade wenigen Besucher das Grazer „Opern“-Kino, welches 1999 endgültig dichtgemacht wurde, und irgendwann sitze ich tatsächlich nur mehr allein in dem Saal und starre noch immer auf die Leinwand – es ist bestimmt das fünfte oder sechste Mal, dass ich den Film sehe.

Obwohl der Kino-Angestellte, der die Spätvorstellung von PULP FICTION betreuen musste, mit Nachdruck beginnt, diverse Popcorn- & Getränke-Becher wegzuräumen, „weigere“ ich mich, obwohl die „Forderung“ danach irgendwie klar im Raum steht, schon zu gehen und bleibe, bis der Abspann des Films allmählich endet und sämtliche Musik verstummt. Dann bewege auch ich mich in Richtung Seitenausgang, wo der mittlerweile leicht „vorwurfsvoll“ dreinblickende Angestellte letztendlich wartet, um endlich die Tür hinter mir schließen zu können. Ich sage „auf Wiedersehen“ zu ihm, er sagt ebenfalls „auf Wiedersehen“, und ich trete hinaus in die Nacht, wo „Mum & Dad“ mich bereits erwarten und sich irgendwie darüber zu amüsieren scheinen, dass ich offenbar wirklich die letzte Person bin, die in dem Kinosaal noch übrig war.

...

 

OK, vielleicht hat Quentin Tarantino (und mir selbst ist es immer so erschienen, als wäre dieser Zeitpunkt nach der formidablen und auffällig „seriös“ geratenen Pam Grier-Huldigung Jackie Brown von 1997 gekommen gewesen, spätestens aber nach dem wahrlich ekstatischen Rache-Epos Kill Bill Vol. 1 & 2 aus 2003/2004) wirklich irgendwann begonnen, jene Filme zu drehen, die man ihm zuvor nur unterstellt hat, sie zu drehen, nämlich ganz spezielle, eben „Tarantino-eske“, Formen der „rabiaten Genre-Hommage“, die er dann tatsächlich in Werken wie Inglourious Basterds (2009) und Django Unchained (2012) nicht nur verwirklicht, sondern gleichsam auch auf die Spitze getrieben hat.

In den 90ern jedoch, lässt man den leicht albern geratenen Beitrag „The Man from Hollywood“ in dem heutzutage fast schon wieder vergessenen Episoden-Film Four Rooms (1995; Regie: Allison Anders, Alexandre Rockwell, Robert Rodriguez & Quentin Tarantino) mal beiseite, waren Tarantino’s Filme, Reservoir Dogs (1992), Pulp Fiction (1994) & Jackie Brown, wirkliche Meisterwerke und tatsächlich „something new“ gegenüber dem, bei aller Brillanz, zum damaligen Zeitpunkt doch leicht vorhersehbar gewordenen Kino von US-Regie-Gurus wie beispielsweise Woody Allen, Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola. Denn, letztendlich war die Lage, um gleich bei den drei Regie-Legenden zu bleiben, seinerzeit im Grunde so: Coppola feierte 1990, nach einer kommerziellen Dürre von 10 Jahren, ein mühsames und tendenziell vielleicht „einfallsloses“ Comeback mit Der Pate III (The Godfather Part III) und Bram Stokers Dracula (1992; Dracula). Scorsese, von dem ich komischerweise nie so ein großer Fan war, wie man es gewiss sein müsste, lieferte von Teilen der Filmkritik bis heute hymnisch gefeierte, virtuos und wahrlich „entfesselt“ gefilmte, irgendwie aber unterm Strich dann doch leicht „konservative“ Mafia-Epen wie Good Fellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia (1990; Goodfellas) oder Casino (1995) ab. Und Woody Allen’s intellektuelles Personal wälzte, in Filmen wie Ehemänner und Ehefrauen (1992; Husbands and Wives) oder Manhattan Murder Mystery (1993), anscheinend immer dieselben Beziehungsprobleme in der tiefbürgerlichen Welt von Manhattan - und fing dabei irgendwann an zu reden, als wäre es gerade einem alten Ingmar Bergman-Film entsprungen.

Inmitten dieser „Durststrecke“ des US-Kinos tauchte plötzlich „Q. T.“, Quentin Jerome Tarantino, auf, dessen Filme nicht nur so waren, wie „Vincent Vega“ John Travolta in Pulp Fiction sein Steak bestellt, nämlich „bloody as hell“, sondern auch Werke, in denen die „bad-ass dudes“, die Gangster, plötzlich begannen, über die wahre Bedeutung von Madonna’s „Like a Virgin“ oder über die „erotischen Qualitäten“ von Fußmassagen zu philosophieren.

 

 

(Neu überarbeitete Fassung; Ur-Fassung: 24.02.2020)