Ausschnitt aus "NO PULP IN THE FICTION" (Buch; 2020): Kapitel "JACKIE BROWN" (Teil 1.2[von 4])              [EXPLICIT CONTENT]

 

In einer Parkgarage des Los Angeles International Airport kehrt der Film zu der Stewardess Jackie Brown zurück [Skript: „Jackie Brown, the Cabo Air stewardess from the opening credits, walks into frame“] – als sie an einer Reihe von geparkten Autos vorbeigeht, wird sie von den beiden L.A.P.D.-Detectives Mark Dargus & Ray Nicolet [verkörpert von Michael Bowen & Michael Keaton; Bowen ist ein weiterer „Tarantino-Veteran“, denn er spielt nicht nur in Jackie Brown mit, sondern auch in den beiden Kill Bill-Filmen und in Django Unchained] aufgehalten. Aufgrund eines „Verdachts“ [JACKIE – im Original: „Suspicion of what?“] untersuchen die Detectives Jackie’s „flight bag“ [Skript] und finden einen Umschlag [QT-Skript: „a fat one“], der gefüllt ist mit Geld [NICOLET – gemäß Skript: „That looks like fifty-thousand dollars from here“]. Mit dem Hinweis, dass man jeden Geldbetrag über 10.000$ beim Zoll deklarieren muss, wird Brown, die es vorzieht nichts zu sagen außer „I’m not saying another word“ [QT-Skript], festgenommen.

In Dargus‘ Büro konfrontieren Nicolet & Dargus die Stewardess mit ihrer kriminellen Vergangenheit – die „Akte Jackie Brown“: Brown ist 1985 bei der TWA [„Trans World Airlines“ – eine von dem Luftfahrtpionier & Filmproduzenten Howard Hughes gegründete Airline, die 2001 dann von American Airlines aufgekauft wurde; die TWA existierte also wirklich, ganz im Gegensatz zu der in dem Film präsentierten „fiktionalen Company“ Cabo Air] rausgeflogen, weil sie für einen Piloten, der damals ihr Ehemann war, Drogen geschmuggelt hat, was dann -aufgrund eines Deals, den Jackie gemacht hat- dem Piloten Knast und ihr lediglich Bewährung eingebracht hat. Dargus stellt auch klar, dass Jackie durch ihre Vergangenheit nicht unbedingt zu den „Gewinnern“ zählt und den „amerikanischen Traum“ lebt [DARGUS: „[…] Dank Ihrer kriminellen Aktivitäten kamen Sie nicht mehr an die ganz großen Fluglinien. 13 Jahre später, Sie sind inzwischen 44, fliegen Sie für die beschissenste, kleinste, mexikanische Drecksairline, die es gibt, für sagen wir...13.000$ im Jahr?“; die Originalfassung der „Cabo Air“-Beschreibung ist ein wahres QT-Meisterstück: „[…] you’re flying for the shittiest little shuttle fucking piece of shit Mexican airline that there is“].

Nicolet stellt ihr dann schließlich die Frage, ob sie jemanden namens Beaumont Livingston kennt – Jackie verneint, doch Nicolet teilt ihr mit, dass Livingston wohl sie kannte und ihren Namen in einer Verhörsituation erwähnt hat [NICOLET – laut Skript: „And in discussing with him the gravity of his situation, your name came up“] – Beaumont’s Leiche wurde allerdings mittlerweile „in the trunk of a car“ [NICOLET - Originalfassung] gefunden. In der Folge bringt Dargus das Ganze auf den Punkt und deutet Entgegenkommen an, wenn Jackie kooperiert [DARGUS – laut Skript: „Miss Brown, we don’t give a fuck about you. You know who we want […]. Who in Mexico gave you this money, and who in America were you giving it to?“]. Nachdem Brown aber zu verstehen gibt, dass sie jegliche Kooperation ablehnt, wollen die beiden Detectives noch mal ihre Tasche durchsuchen und Nicolet findet -versteckt in einem Kuvert- ein Plastik-Säckchen mit einer weißen Substanz darin [QT-Skript: „Nicolet pulls out a clear cellophane sandwich bag with a half-inch or so of white powder inside“]. Jackie, so geht aus ihrer überraschten Reaktion hervor, wusste offenbar nichts von dem „Mitbringsel“ [JACKIE: „Was soll die Scheiße?“; Anm.: Wie sich später herausstellt, gehört das Kokain Melanie Ralston, die die Substanz quasi als „present“ von Ordell’s Geschäftspartner in Mexiko, nämlich „Mr. Walker“, erhalten hat, der im Film nie zu sehen ist]. 

Jackie landet daraufhin im Knast und wird, in Sträflingsklamotten [Skript: „Jackie, now wearing County Jail blues […]“], dem Richter in einem Gericht in Torrance [Stadt im L.A. County] vorgeführt [Anmerkung: Pam Grier trifft in der „Torrance Courthouse“-Szene auf einen alten Weggefährten von ihr, denn der „Judge“ wird von Sid Haig gespielt, der, nach kleineren Rollen wie in dem James Bond-Film Diamantenfieber von 1971, in den 70ern dann in mehreren Blaxploitation-Filmen an der Seite von Pam Grier zu sehen war, nämlich in Black Mama, White Mama von Eddie Romero und in Coffy - Die Raubkatze & in Foxy Brown von Jack Hill; QT, der Haig (1939-2019) übrigens für so eine Art „Samuel L. Jackson der 70er-Jahre“ hält, über die Besetzung von Sid Haig: „Sid Haig musste im Film sein. Ich musste Sid Haig einsetzen“ – Tarantino hatte dem Schauspieler mit armenischen Wurzeln ein paar Jahre zuvor bereits die Rolle des „Marsellus Wallace“ in Pulp Fiction angeboten und Haig hatte abgelehnt, dies aber später bereut; neben Jackie Brown ist Haig auch in einem weiteren Tarantino-Film zu sehen: in Kill Bill Vol. 2] – der Richter setzt, in Anwesenheit von Dargus, Nicolet und sogar Ordell Robbie, der etwas versteckt in den hinteren Reihen des stark gefüllten Gerichtssaals sitzt, die Kaution für Jackie Brown auf 10.000$ fest.

Ordell taucht daraufhin wieder in Max Cherry’s Kautionsbüro auf und beauftragt diesen nun damit, Jackie Brown aus dem Knast zu holen [ORDELL zu MAX – über Jackie’s Situation: „Die wollen die fertigmachen. Die nennen diesen Scheiß `Besitz von Drogen` und `Drogenhandel`. Eine 44-jährige Schwarze, die mit weniger als 50g erwischt wurde...und die nennen das `Drogenhandel`. Bei irgendeinem verkoksten Filmstar ist es nur `Drogenbesitz`“].

Cherry holt in der Folge Jackie Brown im L.A. County Jail ab und verliebt sich ganz offensichtlich in sie, als Jackie in der Nacht durch die „Admitting Area“ [QT-Skript; admitting area: Aufnahmebereich] des Gefängnisses marschiert und gleichsam langsam auf ihn zusteuert [Anmerkung: Die „Falling in Love“-Szene ist Tarantino’s Lieblingsszene in Jackie Brown und er vergleicht die Szene, in der Grier auf „Max Cherry“ Robert Forster zusteuert, was den rein visuellen Aspekt[nicht den emotionalen] anbelangt, sogar mit der legendären Szene in David Lean’s Lawrence von Arabien (1963), in der „T. E. Lawrence“ Peter O’Toole „Sherif Ali Ibn El Kharisch“ Omar Sharif auf einem Kamel in der Wüste auf sich zukommen sieht; als „Soundtrack“ für die Szene wählte QT den R&B-Song „Natural High“ von Bloodstone, erschienen 1973, den er für einen der schönsten Love-Songs der 70er hält; die dazugehörige Skript-Passage: „Jackie being led into the Admitting Area […]. She’s wearing her stewardess uniform and carrying a small envelope with her belongings in it and her shoes. When Max was imagining a woman in her forties, he had someone with a bit of wear and tear[wear and tear: im Sinne von: Abnutzung, Verschleiß] on them in mind. But this Jackie Brown’s a knockout“].

Bei der anschließenden Autofahrt zurück nach Hawthorne [Stadt im L.A. County], wo Brown wohnt, ergibt es sich, dass Max und Jackie noch einen Drink in der Nähe ihres Apartments nehmen, nämlich im „Cockatoo Inn“ [diesbezügliche Ausführungen im Skript: „The Cockatoo Inn is just what Jackie was looking for. A dark and red cocktail lounge […]. The clientele of the Cockatoo is an older black crowd and an even older white crowd who’d been coming here years before it became a black bar“]. Dort sprechen sie, außer über ein paar private Dinge wie ihre Rauch-Gewohnheiten, auch über Jackie’s Situation [JACKIE: „Die haben mich abgefangen. Die wussten von dem Geld. Die wussten sogar genau, wie viel es war“], über Beaumont [MAX – im Original: „They found him dead on Tuesday“] und über den „Kautionssteller“ Ordell.

Der besagte Ordell Robbie wartet dann bereits vor Jackie’s Apartment in seinem Wagen und beobachtet die Straße [Skriptpassage: „CU[Close-up; Nah-, Großaufnahme] ORDELL sitting in his black Mercedes, parked across the street from Jackie’s apartment building in Hawthorne. Johnny Cash is playing inside his car“ – QT verwendete letztendlich den Song „Tennessee Stud“, der 1994 auf Cash’s legendärem Comeback-Album American Recordings enthalten war], auf der dann Cherry’s Cadillac Seville entlangkommt, um dort Brown abzusetzen. Nachdem Jackie in ihrem Apartment verschwunden ist, bereitet sich Robbie in seinem Wagen gleichsam vor, zieht sich Handschuhe an, nimmt eine Pistole [QT-Skript: „a little Targa .22 pistol“] aus dem Handschuhfach und spaziert dann langsam, in der Dunkelheit der Nacht, über die Straße hin zu Jackie’s Apartment. Als diese nach dem Klopfen die Tür öffnet, sagt Ordell: „Wie geht’s denn so, Miss Jackie?

Nach dem „How you doing, Ms. Jackie?“ [Originalfassung] tritt Ordell ein und bittet Jackie, die nicht unbedingt verängstigt wirkt, zunächst ihm seinen Lieblingsdrink, einen sogenannten „Screwdriver“ [screwdriver: Schraubenzieher; Bezeichnung für Cocktail bestehend aus Orangensaft & Wodka], zu machen. Dann werden folgende Infos ausgetauscht: Robbie erzählt Brown, dass das Koks eben ein Präsent von „Mr. Walker“ für Melanie war, und Brown erzählt Robbie davon, dass Beaumont Livingston derjenige war, der gesungen hat und an ihrer Verhaftung schuld war [JACKIE – laut Skript: „They were waiting for me. They knew about the money, they knew the exact amount[Betrag]“]. Schließlich stellt Ordell ihr die entscheidende Frage, ob sie ihn verraten hat [ORDELL – Originalfassung: „You say anything about me?“]. Jackie verneint, doch Ordell‘s Hände wandern an ihren Hals [Beschreibung im Skript: „Ordell’s gloved fingertips move up her collarbone[Schlüsselbein] to her throat, gently touching her skin. Jackie locks eyes with him, but still shows no fear“].

An der Stelle baut Tarantino eine Art „Retro-Moment“ in seinen Film ein, indem er die Split-Screen-Technik verwendet, die in den 60ern und 70ern beliebt war [Skript: „At this moment the film becomes a: SPLIT SCREEN“] – man sieht Max Cherry in seinem Wagen in der linken Bildhälfte und Ordell & Jackie in der rechten. Cherry, der -nach dem Treffen mit Jackie Brown- immer noch einen „romantic look“ [Skript] in seinem Gesicht hat, stellt, bei einem Blick ins Handschuhfach, fest, dass seine Schusswaffe verschwunden ist, während Jackie diese offenbar gerade auf Ordell richtet, der immer noch die Hände an ihrem Hals hat [ORDELL: „Ist es das, was ich denke?“ / JACKIE: „Was denkst du denn, was es ist?“ / ORDELL: „Eine Pistole, die auf meinen Schwanz zielt“].

Nach dem Ende des SPLIT SCREEN drückt Jackie Ordell an die Wand und findet in seinen Taschen die Kaliber 22-Targa-Pistole – Ordell beteuert, dass das Ganze sozusagen nicht so ernst gemeint war [ORDELL – laut Skript: „Damn, Jackie, I was just playin` with you. […] I just came here to talk“]. Jackie zwingt Ordell, sich auf ihre Couch zu setzen, und erklärt ihm, wie sie die Situation sieht und was ihre Forderungen an ihn sind: Brown spricht zunächst das aus, was ohnehin im Raum steht, nämlich, dass die Polizei ihr einen Deal anbieten wird, wenn sie Ordell verrät [JACKIE - im Original: „That’s why you came here to kill me“], dann teilt sie ihm ihren Preis für ein Stillschweigen mit [JACKIE: „Ich will 100.000$ auf ein Sparkonto auf meinen Namen. Wenn die mir aber mehr als ein Jahr draufknallen, dann zahlst du dafür nochmal 100.000$“]. Bezüglich des damit verbundenen Problems, das sich für Ordell ergibt, nämlich, dass sein ganzes Geld in Mexiko ist, hat Jackie, so wie sie ihm mitteilt, eine Idee.

Nach einem Zeitsprung [„TIME CUT“ - QT-Skript] verabschieden sich Jackie & Ordell bei der Eingangstür zu dem Apartment und Jackie meint, dass sie am folgenden Tag mit den Cops reden wird, um damit zu beginnen, ihre Idee [in die der Zuschauer nicht eingeweiht wurde] bezüglich „Ordell’s Geld“ in die Tat umzusetzen.

  

 

(ENDE von TEIL 1.2 - Neu überarbeitete Fassung; Ur-Fassung: 03.05.2020)