ALFRED HITCHCOCK-"BONUS TRACK": "IM SCHATTEN DES ZWEIFELS / SHADOW OF A DOUBT" (TEILE 2.1 & 2.2)

 

`Shadow of a Doubt` ist mit `Psycho` einer Ihrer wenigen Filme, in denen die Hauptfigur der Schurke ist und das Publikum zugleich sehr mit ihm sympathisiert, vermutlich, weil man nie sieht, wie er die Witwen umbringt

Vermutlich. Und dann ist er ein Mörder mit einem Ideal. Er gehört zu den Mördern, die sich berufen fühlen zu zerstören. […] Der Film enthält ein moralisches Urteil. Zum Schluss des Filmes kommt er um, nicht? Seine Nichte bringt ihn um, wenn auch ohne Absicht. Das bedeutet, dass nicht alle Schurken schwarz sind, und nicht alle Helden weiß. Überall gibt es grau. Onkel Charlie liebte seine Nichte sehr, aber nicht so sehr wie sie ihn. Aber sie musste ihn verderben, denn erinnern wir uns, was Oscar Wilde sagt: `Man tötet, was man liebt`

 

(aus: „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“; Dialog zwischen François Truffaut & Alfred Hitchcock über die Tatsache, dass Hitchcock sicherlich auch in Im Schatten des Zweifels eine gewisse „Empathy for the Devil“ zeigt; allerdings stellt „Hitch“ auch klar, dass „das Monster“ am Ende eben bestraft wird, und zwar durch „Charlie Newton“ – „She seems to love him, and yet she’s the one that brings him down“; den von Truffaut angesprochenen Aspekt mit der „Sympathie für den Täter“ darf man aber nicht überbewerten, und der Film muss wahrscheinlich ohnehin erst noch gedreht werden, in dem sich ein Regisseur ernsthaft auf die Seite des Täters schlägt und das Publikum ernsthaft zu einer ähnlichen Sichtweise wie jene des Täters ermuntert)

 

 

 

Er machte seine Hausarbeiten gründlich, bevor er mit dem Film begann. Er hatte den ganzen Film vor Augen, ehe wir anfingen – so als ob er in seinem Kopf einen kleinen Filmvorführraum hätte. Als er mir bei unserem ersten Treffen in seinem Büro im Juni 1942 die Geschichte erzählte, war es so, als säßen wir in einem Kino und sähen den fertigen Film. […] Seine Regieanweisungen wirkten nie wie Instruktionen. Wir spürten, dass wir ihm vertrauen konnten, und er führte uns und ließ uns ein Gefühl von Freiheit. Er war sehr ruhig, so als würde er zu etwas beitragen, was vollständig nach Plan verlief. Niemand plante einen Film so weitgehend wie er. Andere Regisseure ließen die Dinge gewöhnlich beim Drehen geschehen, aber bei ihm war alles weitaus gelassener und weitaus erfreulicher

 

(die „Charlie Newton“-Darstellerin Teresa Wright bestätigt sozusagen den vielleicht größten im Zusammenhang mit Hitchcock kursierenden „Mythos“, nämlich jenen, dass der Regisseur beim Dreh eben „den fertigen Film bereits im Kopf“ hatte)

 

 

 

He never brought personal things into a movie. This is what everybody doesn’t realize. Everything came from his imagination. It was not: `Oh, I’ll make her like so and so. Oh, I’ll make her`. He didn’t do that. It was his imagination

 

(„Art is imagination“; Alfred Hitchcock’s Tochter Pat Hitchcock O`Connell räumt mit der Fehleinschätzung auf, dass ihr Vater ständig „persönliche Dinge“ in seinen Filmen verarbeitet hat und betont indirekt „den Mangel an Vorstellungskraft“ jener Personen, die glauben, dass das so war; und auch Im Schatten des Zweifels muss in allererster Linie als Ergebnis von „art & imagination“ betrachtet werden)

 

 

 

Drei Dinge sind mir besonders aufgefallen, sie scheinen typisch für ihn zu sein. Erstens hat er sich unheimlich unter Kontrolle. Den wahnsinnigen Psychopathen können wir also mit absoluter Sicherheit ausschließen. Und zweitens will er seine Opfer provozieren, und zwar deshalb, weil jemand, der Aggressionen aufbaut, leichtsinnig wird. Drittens ist dieser Mann ein eiskalter Rechner, wie ein Schachspieler. Er plant immer ein paar Züge voraus. Keine Improvisation, alles scheint programmiert

Dann is` es ja ein Kinderspiel, den Kerl in `ner Stadt mit n` paar Millionen Einwohnern zu finden

 

(Dialog zwischen dem Psychologen „PROF. DR. PAUL DAVIS“ Paolo Malco und dem Polizisten „LT. FRED WILLIAMS“ Jack Hedley in dem umstrittenen und „fragwürdigen“ Horrorthriller Der New York Ripper / OT: Lo squartatore di New York (1982) von Lucio Fulci; das Genre des „Killer-Thrillers“, „Serienkiller-Films“ oder „Psychopathen-Thrillers“ hat ein breites Spektrum, das von echten Meisterwerken (Im Schatten des Zweifels, Psycho) über überwältigende Oscar-Erfolge (Das Schweigen der Lämmer) und „Beiträgen aus Österreich, die ihrer Zeit weit voraus waren“ (Angst von Gerald Kargl aus dem Jahr 1983) bis hin zu echtem Trash reicht, wobei viele das Fulci-Werk, das man auch als „grausamen Trip zwischen Sex und Gewalt“ abtun könnte und in dem die „Hässlichkeit zum Stilprinzip erhoben wurde“, wohl eindeutig zu der „Trash-Kategorie“ (inklusive der Attribute „frauenfeindlich“ & „gewaltverherrlichend“) zählen würden; zum Regisseur Lucio Fulci (1927 – 1996): Fulci hat sich, wenn man so will, nicht nur bei seinen Fans, sondern auch bei „Jugendschützern & Zensurbehörden“ mit einer Reihe von Klassikern des italienischen Horror- und Splatter-Kinos einen Namen gemacht, speziell durch Filme wie Ein Zombie hing am Glockenseil (1980) oder Das Haus an der Friedhofsmauer (1981); Fulci’s „Klassiker“, zu denen man auch noch Woodoo – Schreckensinsel der Zombies (1979) oder Über dem Jenseits (1981) zählen könnte, verbindet sozusagen „die Härte und Kompromisslosigkeit der Gore-Effekte“ sowie eine „auffällige Detailverliebtheit in der Gewaltdarstellung“, der man nicht unbedingt eine „Ästhetisierung von Gewalt“ unterstellen kann; nun, Der New York Ripper, der mehr „a modern Giallo than a Horrormovie“ ist und in gewisser Weise das Ende der großen Zeit des italienischen Horror- & Splatter-Kinos einleitete, verzichtet auf Zombies oder auf exotische Schauplätze oder auf „Bücher, von denen ein Fluch ausgeht“, auf Elemente also, die im Grunde „vom Grauen“ ablenken und „die Gewalt abschwächen“; zur Story: die Metropole New York; am Ufer des Hudson-River wird eine grausam entstellte Frauenleiche gefunden; schon bald wird eine weitere junge Frau Opfer des brutalen Triebtäters, der mit unvorstellbarer Grausamkeit vorgeht; die Presse stürzt sich auf den Fall und Lieutenant Williams‘ Ermittlungen gestalten sich schwierig, lediglich die seltsame Stimme des Täters, er quakt(!) bei seinen Taten wie eine Ente, scheint zumindest einen „Ermittlungsansatz“ zu bieten; als eine junge Frau namens Faye Majors (Almanta Suska) einen Angriff des „Schlitzers von New York“ schwer verletzt überlebt, werden die „investigations“ endgültig zu einem Katz-und-Maus-Spiel auf Leben und Tod; Fulci’s Inszenierungskünste sind in keinster Weise, auch was die Kameraarbeit und die Montage betrifft, mit jenen von Alfred Hitchcock oder Brian De Palma zu vergleichen, aber Der New York Ripper nimmt durchaus Anleihen an Klassikern wie Psycho oder De Palma’s Dressed to Kill (Starring: Michael Caine, Nancy Allen & Angie Dickinson) aus dem Jahr 1980; das beginnt schon damit, dass der Killer bei Fulci, wie bei Hitchcock & De Palma, wo die Killer in Frauenkleider schlüpfen, „eine andere Identität“ annimmt, indem er, auch wenn sich das völlig absurd anhört, quasi „einen auf Donald Duck“ macht und zu „quaken“ beginnt; auf die Enttarnung des Mörders folgt bei Fulci, genauso wie in Psycho und Dressed to Kill, eine Erklärung der Motive, die mit „psychischen Störungen“ assoziiert werden; des Weiteren spielen im New York Ripper Spiegel & Spiegelbilder eine ähnlich zentrale Rolle wie in dem Hitchcock-Klassiker, denn die Nebenfigur „Mrs. Jane Lodge“ (gespielt von Alexandra Delli Colli), jene, wenn man so will, „triebhafte Dame aus gutem Hause“, welche Fulci in seinem Werk vor allem dafür verwendet, „ausgedehnte & stark sexuelle“ „Elements of Exploitation“ zu präsentieren, erschreckt einmal vor ihrem eigenen Spiegelbild, ähnlich wie das „Lila Crane“ Vera Miles in Psycho tut; außerdem spielen Treppen, ein Lieblingsmotiv Hitchcocks, und das nicht nur in Psycho oder in Im Schatten des Zweifels, auch in dem Fulci-Film eine Rolle; überhaupt scheint der „Italian Director“ „Mrs. Lodge“ den Status einer „Marion Crane“ aus Psycho oder, aufgrund ihrer „außerehelichen sexuellen Eskapaden“, noch viel mehr einer „Kate Miller“ aus Dressed to Kill zugeteilt zu haben; die von Angie Dickinson in dem De Palma-Film verkörperte „Kate Miller“ war ja bereits als Hommage an die von Janet Leigh gespielte „Marion Crane“ gedacht, denn beide Figuren finden bekanntlich den Tod etwa in der Mitte des jeweiligen Films, was dazu führt, dass im Zentrum der zweiten Film-Hälfe plötzlich eine neue Protagonistin steht; nur ist Fulci eben wiederum nicht Hitchcock oder De Palma, und so ist man über das vorzeitige Ableben der „eindimensionalen / unsympathischen“ „Mrs. Lodge“, die sich nur wenig von den anderen oberflächlich eingeführten und aus der Handlung wieder ausgeschiedenen „victims“ innerhalb von „Lo squartatore di New York“, der ohnehin eine Erzählstruktur aufweist, die von „episodenhafter Aneinanderreihung“ geprägt ist, nicht gerade „geschockt“ oder sonderlich „überrascht“; überhaupt ist der „Mangel an Anteilnahme“ der Preis, den der Fulci-Film erntet, indem er keinerlei „gefühlsmäßige Bindung“ zu den Figuren entstehen lässt, denn Hitchcock & De Palma zeichnen „Marion Crane“ und „Kate Miller“ durchaus, sagen wir mal, „nicht ganz unsympathisch“; überhaupt merkt man, wenn man Psycho betrachtet und dann einen Blick auf den New York Ripper wirft, was einen meisterhaft inszenierten und geschriebenen Film wie den Hitchcock-Thriller, der „eine zahlenmäßige Beschränkung von Figuren“ sowie eben „ein außerordentlich gut konstruiertes Drehbuch“ aufweist, von einem lediglich durch eine Reihe extremer Gewaltdarstellungen „auffallenden“ Werk wie jenem Fulcis unterscheidet)

 

 

Alfred Hitchcock hat einmal eine bestimmte Art von „plot holes“ als „Icebox Scenes“ bezeichnet und meinte damit „unplausible Elemente“ innerhalb einer Geschichte, die einen plötzlich „treffen“, nachdem man aus dem Kino heimgekommen ist und sozusagen „cold chicken“ aus der „icebox“ zu sich nimmt.

Nun, Im Schatten des Zweifels ist frei von solchen „unplausiblen Elementen“ und sicherlich einer der realistischsten Hitchcock-Filme.

Als es darum ging, ein Nachfolgeprojekt für Saboteure zu finden, schlug Margaret McDonnell, Leiterin der Story-Abteilung bei David O. Selznick, Hitchcock unter anderem vor, John Buchan’s zweiten Richard-Hannay-Roman „Greenmantle“ (1916) zu verfilmen, und das mit Ingrid Bergman und Cary Grant in den Hauptrollen.

Die „Film-Idee“, auf die sich Hitchcock und McDonnell dann einigten, wurde letztendlich von McDonnell’s Ehemann, dem Autor Gordon McDonnell, angeregt. Diese „idea“ (ein „mörderischer Irrer“ versteckt sich bei der Familie seiner Schwester in einer Kleinstadt vor der Polizei und wird von seiner Lieblingscousine entlarvt, wobei das Geheimnis um seine furchtbare Identität nach seinem „Unfalltod“ gewahrt bleibt) wurde von Hitchcock und den McDonnells im Rahmen eines „Lunch“ im Mai 1942 in Beverly Hills ausgebaut, und Hitchcock wurde schließlich dazu verpflichtet, „a thriller“ mit dem Titel „Uncle Charlie“ zu drehen.

To bring menace to a small town“ war also eines der Hauptmotive des Projekts und Hitchcock wollte daraus den ersten wirklichen „American Hitchcock-Film“ machen, in welchem eben „a sleepy little town“ oder „an old fashioned town“ für das „unschuldige Amerika“ stand.

Das hatte auch zur Folge, dass Hitchcock, der, wie bereits mehrfach erwähnt, keine Location-Drehs mochte, „on Location“ in Santa Rosa drehen musste (Teresa Wright über die Dreharbeiten in Santa Rosa, einer Stadt, die heutzutage ungleich größer ist als damals und mittlerweile über 170.000 Einwohner:innen hat: „Wir waren das erste Filmteam, das in Santa Rosa drehte, und jeder dort war auf die eine oder andere Weise beteiligt; […] der örtliche Polizeibeamte instruierte sorgfältig den Schauspieler-Polizisten. Alle waren nett zu uns, selbst wenn unsere nächtlichen Dreharbeiten ihr stilles Leben störte“).

Zuvor, also: „before filming“, bat Hitchcock aber den US-Autor Thornton Wilder, dem Schöpfer des Pulitzer-Preis-gekrönten Stücks „Our Town“ (1938; dt. Titel: „Unsere kleine Stadt“), um seine Mitarbeit am Drehbuch und die Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Wilder, dem sogar im Vorspann von Im Schatten des Zweifels extra gedankt wird, waren anscheinend sehr angenehm, vor allem, weil Wilder auch für einen „Wendepunkt“ in Hitchcock‘s US-Regie-Karriere und „Hitch’s“ dortiger Akzeptanz stand (HITCHCOCK zu TRUFFAUT: „In England hatte ich immer mit den besten Stars und besten Autoren zusammengearbeitet. In Amerika war das nicht der Fall gewesen, und ich hatte Körbe einstecken müssen von Stars und Autoren, die die Arbeit verachteten, die mich interessiert. Deshalb war es sehr angenehm und befriedigend für mich, dass einer der besten amerikanischen Schriftsteller plötzlich bereit war, mit mir zu arbeiten und diese Arbeit ernstnahm“).

Da Thornton Wilder aber kurz nach Beendigung des Drehbuchs zur „psychologischen Abteilung der US-Armee“ ging, arbeitete Hitchcock anschließend mit der Autorin Sally Benson weiter, wobei auch Hitchcock’s Frau Alma Reville am Drehbuch mitfeilte, sodass das „screenplay“ letztendlich Wilder, Benson & Reville im Vorspann „zugesprochen“ wurde.

 

Wie in dem Zitat weiter oben bereits angemerkt, bestreitet Pat Hitchcock ja, dass Im Schatten des Zweifels „zahlreiche autobiografische Elemente“ enthält, aber Hitchcock-Exegeten bestehen sozusagen darauf, dass es sich bei dem Werk um einen zumindest „im geistigen Sinne autobiografischen Film mit einem Netzwerk aus persönlichen Verweisen“ Hitchcocks handelt und dass „Shadow…“ also zumindest ein „`handbook` der literarischen und kulturellen Einflüsse“ im Leben des Regisseurs darstellt.

Sicherlich litt Hitchcock, wie in der Zusammenfassung des Inhalts von „Shadow of a Doubt“ erwähnt, zur Zeit der Dreharbeiten unter dem Tod seiner Mutter Emma sowie an der Tatsache, nicht in das WKII-gebeutelte England reisen zu können, aber Pat Hitchcock hat ebenso betont, dass die Mutterfigur „EMMA NEWTON“ nur wenig gemein mit ihrer Großmutter hatte, außer eben den Vornamen. Abgesehen davon ist die von der gebürtigen Irin Patricia Collinge gespielte Mutter, so wie Peter Bogdanovich einmal festgehalten hat, aber sicherlich „one of the most touching characters in Hitchcock’s work“.

Hitchcock hat sich stets bemüht, den Schurken-Figuren in seinen Filmen „uniqueness & character“ zu verleihen und sie nicht zu einem Klischee werden zu lassen. Hitchcock-Biograf Donald Spoto zeichnete in „The Dark Side of Genius“ gewisse Analogien zwischen dem Character des „Onkel Charlie“ und Hitchcock nach, so wie eine gewisse „Ordentlichkeit und Pingeligkeit“ und die „Grundhaltung eines eleganten Übeltäters mit Verführer-Qualitäten“. Aber Teile von „Hitch“ finden sich, wenn man auf solche „Untersuchungen“ Wert legt, auch in den „Unsolved Crimes Fans“ „Herb Hawkings“ und „Joe Newton“.

Joseph Cotten was a wonderful actor and not a kind of a movie star actor“ (Copyright: Peter Bogdanovich) – Cotten, der zuvor in den beiden Orson-Welles-Filmen Citizen Kane & Der Glanz des Hauses Amberson (1942) „very likeable characters“ spielte, hat nach Im Schatten des Zweifels gleichsam nie mehr „ein Monster wie Onkel Charlie“ gespielt.

Das Verhältnis zwischen Hitchcock und Cotten bei den Dreharbeiten war ausgezeichnet, was laut Pat Hitchcock, die damals selbst ein großer Joseph-Cotten-Fan war (Pat Hitchcock: „I had an enormous crush on him. I adored him“), auch daran gelegen haben soll, dass ihr Vater und der Schauspieler in gewisser Weise auch „a match“ waren (Pat: „They both understood darkness, even though they were lighthearted men in many ways“).

 

Was bei den strukturellen Elementen von „Shadow of a Doubt“ erwähnt werden muss, ist, dass das Werk zahlreiche „Doppelungen“ aufweist. So gibt es zwei Charlies, den Mörder und eben das „young girl“, das zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Bösen konfrontiert wird und auch so etwas wie eine „Reifeprüfung“ durchmacht, eine „moral education“.

Außerdem sind da „two Policemen“, die Oakley in New York verfolgen, auf die dann zwei Polizisten in Santa Rosa folgen. Es gibt zwei „Hauptverdächtige“, zwei „Krimifans, die sich über Mordmethoden unterhalten“, zwei Bahnhofszenen, zwei Szenen vor der Kirche, zwei Garagenszenen, eine davon eine Liebeserklärung, die andere ein Mordversuch mittels Autoabgasen, wobei es eben auch insgesamt zwei Mordversuche durch den Onkel an seiner Nichte gibt.

Jede Figur in „Im Schatten…“ hat also dementsprechend eine Gegenfigur, jedes Bild eine Ergänzung, ein „Gegenbild“. So erzählt, um noch ein weiteres Beispiel für das Motiv der Doppelung zu nennen, mit dem Hitchcock bereits in seiner Kindheit & Jugend im viktorianischen England und aufgrund der Lektüre von Klassikern der englischen Literatur wie Robert Louis Stevenson’s Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde (1886) oder Oscar Wilde’s Das Bildnis des Dorian Gray (1890) konfrontiert wurde, der von Hume Cronyn verkörperte Nachbar der Newtons dem Vater, wie der angebliche Mörder von einem Flugzeugpropeller „divided into pieces“ wurde, und kurz darauf stirbt eben „Uncle Charlie“ auf ähnliche Weise, indem er von einem Zug „in Stücke gerissen“ wird.

 

 

 

 

 

Schon wieder n` Krawattenmord

Es wird Zeit, dass die Polizei endlich was unternimmt. Warum fassen sie den denn nicht?

Das is` n` richtiger Jack the Ripper

Ach, nie und nimmer. Der hat sie doch immer aufgeschlitzt. Der hat Scotland Yard mal von einer ein Stück Niere geschickt. In `nem lila Briefpapier eingewickelt. […] Vielleicht war’s auch n` Stück Leber

&

Die Fremden erwarten von London, dass es Nebel-umwoben ist und dass das holprige Kopfsteinpflaster mit aufgeschlitzten Huren übersät ist

 

(aus: Alfred Hitchcock’s Frenzy; in den ZITATEN 1 unterhalten sich einige Passant:innen (Abfolge: Passantin 1 – Passantin 2 – Passantin 1 – Passant 3), die zuvor noch einer Rede eines „Offiziellen“ am Themse-Ufer nahe der Tower-Bridge gelauscht haben, über die Tatsache, dass offenbar der „Krawattenmörder“ wieder zugeschlagen hat, also: „another necktie strangling“ in London stattgefunden hat, und gerade eine Frauenleiche „angeschwemmt“ wurde; ganz in der Nähe der Passant:innen steht Alfred Hitchcock, der hier, gleich zu Beginn des Films, den vorletzten Cameo-Auftritt seiner Regie-Karriere absolviert; // ZITAT 2: Aussage eines „old man“; dieser unterhält sich mit einem zweiten „old man“ an der Theke einer Bar „wenig zimperlich“ über die angeblichen „positiven Auswirkungen“ auf das London-Bild von Touristen, wenn eine Art „Nachfahre von Jack the Ripper“ in der Stadt sein Unwesen treibt [das allerdings nicht im Stadtteil Whitechapel, wo die Ripper-Morde stattfanden])

 

 

 

Barbara, ich schwöre, dass es wahr ist, was ich dir erzähle. Findest du, dass ich wie n` Sexualmörder aussehe? Kannst du dir von mir vorstellen, dass ich mich nachts in London rumtreibe und Frauen mit Krawatten erwürge? Das ist doch lächerlich. Außerdem besitz ich bloß zwei Krawatten

Andere würden dir nicht glauben. […] Ich hab` bestimmt n` weichen Keks, dass ich mit einem Mann, der der Krawattenmörder sein soll, herumschmuse

 

(aus: Frenzy; Ausschnitte aus einem Dialog, der auf einer Parkbank stattfindet, zwischen dem Hauptverdächtigen „Richard Blaney“ Jon Finch und der Kellnerin „Barbara `Babs` Milligan“ Anna Massey, die quasi „Blaney’s“ einzige unmittelbare „Verbündete“ ist)

 

 

 

„[…] Du bist völlig im Irrtum. Dieser Bursche kann es gar nicht sein. Was sagst du, wie lange er verheiratet war?

10 Jahre

Bitte, da hast du’s. Ein `crime de passion` nach so vielen Jahren? Sieh uns doch an, wir sind nicht mal 8 Jahre verheiratet und es kostet dich Anstrengung, abends die Augen offen zu halten

&

Blaney war es nicht. Hab` ich dir das nicht gleich gesagt? […] Weibliche Intuition ist mehr wert als eure ganzen Laboratorien

Und was sagt deine Intuition, was ich heute Abend gerne essen möchte?“

Steak und Pommes Frites. Aber du kriegst ein `pied de porc à la mode` [„Schweinefuß“], gegart

 

(aus: Frenzy; aus zwei „Unterhaltungen, während gerade das Essen serviert wird“ zwischen „Chief Inspector Oxford“ Alex McCowen und „Mrs. Oxford“ Vivien Merchant, wobei „Mrs. Oxford“, auch wenn sie „Richard Blaney“ Jon Finch nie begegnet ist, von Anfang an (ZITAT 1) an die Unschuld des „Hauptverdächtigen“ glaubt, und dieser „Unschulds-Verdacht“ wird ja am Ende auch, wo die Polizei schließlich den wahren Mörder jagt (ZITAT 2), bestätigt)

 

 

There’s something about Whitechapel. Not much, but something“ (Copyright: Morrissey; im Rahmen eines Live-Auftritts ans Publikum gerichtete Worte mit „Jack the Ripper“-Bezug) – wie ich im Schlusskapitel meines Buchs „Six Movies To Be Murdered By – Das Kino des Alfred Hitchcock“ schon einmal erwähnt habe, kehrte Hitchcock 1972 „nach über 30 Jahren Hollywood“ in seine Heimatstadt London zurück und drehte dort einen Thriller, in dem es zwar nicht um Jack the Ripper geht, dafür aber um einen „other serial killer“, nämlich den (fiktionalen) „Necktie Murderer“.

Im Grunde ist die „Story eines pathologischen Frauenmörders“ so alt wie die Filme Hitchcocks, denn bereits das Frühwerk The Lodger: A Story of the London Fog (1927) beschäftigte sich „mit solchen Figuren“, die eben, wie weiter oben in dem Zitat angedeutet, zu London gehören wie der Nebel.

Außerdem ist Frenzy rein motivisch betrachtet eine „Mixtur“ aus Hitchcock‘s „Wir folgen dem Weg eines Mörders“-Filmen „like“ Im Schatten des Zweifels und natürlich Psycho sowie seiner „Ein unschuldiger Mann wird gejagt“-Movies wie Die 39 Stufen oder Der unsichtbare Dritte.

Im Zentrum der Story von Frenzy („Raserei“) steht zunächst Richard Blaney, der von Jon Finch gespielt wird, Roman Polanski’s „Macbeth“ in seiner genialen „The Tragedy of Macbeth“-Verfilmung von 1971.

Nachdem Blaney, ein Ex-Air-Force-Pilot, seinen Job in einer Kneipe verloren hat, sucht er seine Ex-Frau Brenda auf (Barbara Leigh-Hunt), die eine erfolgreiche Partnervermittlungsagentur führt. Das ehemalige „married couple“ gerät sich umgehend in die Haare, aber dennoch lädt Brenda Richard zum Abendessen ein, wo sie ihm dann sogar, ohne sein Wissen, Geld in die Taschen steckt. „The next day“ wird Brenda aber in ihrem Büro von dem mit Blaney bekannten Covent-Garden-Gemüsehändler Bob Rusk aufgesucht (der, so wie Hitchcock also denkbar früh in seinem Film für das Publikum klarmacht, der Krawattenmörder ist) und mit dem bekannten „Modus Operandi“ des „Necktie Murderer“, also: „rape and strangulation“, umgebracht.

Alle Indizien deuten auf Richard Blaney, der Streit mit seiner Ex-Frau, das ihm von seiner Ex zugesteckte Geld, mit dem er da und dort bezahlt hat, die Aussage von Monica (Jean Marsh), der Sekretärin von Brenda, die ihn zum Zeitpunkt des Mordes aus dem Bürogebäude hat kommen sehen, weil er zufällig noch etwas mit Brenda besprechen wollte. Von da an ist Blaney ein „Suspect“, der von allen gejagt wird, eben wie „Richard Hannay“ Robert Donat in Die 39 Stufen oder wie „Roger Thornhill“ Cary Grant in Der unsichtbare Dritte.

Die einzige Person, die noch zu Blaney hält, ist die sympathische und „mit gesundem Menschenverstand“ ausgestattete Kellnerin `Babs` Milligan, eine Arbeitskollegin aus seiner alten Kneipe. Doch nach einer gemeinsamen Nacht in einem Hotel wird auch Milligan zum Opfer des Krawattenmörders, was gleichsam eine Abkehr Hitchcocks von dem „tröstlichen“ Motiv ist, dass der Gejagte eine „Gefährtin in der Gefahr“ gefunden hat, die im Grunde bis zum Ende an seiner Seite bleibt, so wie „Pamela“ Madeleine Carroll in „The 39 Steps“ (OT) an der Seite von Robert Donat bleibt oder „Eve Kendall“ Eva Marie Saint an der Seite von Cary Grant in „North by Northwest“ (OT).

Nachdem auch „Hetty & Johnny Porter“ (Billie Whitelaw & Clive Swift), ein mit Blaney befreundetes Ehepaar, es vorzieht, anstatt Blaney zu entlasten, was die beiden eben könnten, einen Frankreich-Urlaub anzutreten, wird Blaney von Rusk der Polizei in die Hände gespielt, wobei Blaney in diesem Moment Rusk auch als den wahren „Necktie Murderer“ erkennt. Richard Blaney, der in der Folge nicht müde wird, Rusk als den „Krawattenmörder“ zu benennen, wird schließlich, aufgrund der Beweislage, zu „imprisonment for life“ verurteilt.

Lediglich Chefinspektor Oxford, der sich zu Hause mit den fragwürdigen Nouvelle-Cuisine-Kochkünsten seiner Frau konfrontiert sieht, scheint sich noch für den Fall zu interessieren, und außerdem hat Mrs. Oxford, die den „Necktie-Murderer-Case“ nur aus den Zeitungen und vom Hörensagen kennt, Richard Blaney im Grunde von Anfang an als Täter ausgeschlossen.

Im letzten Teil des Films sucht der Chefinspektor dann nach neuen Indizien gegen Rusk, und Blaney, der von Oxford’s Bemühungen aber nichts weiß, flüchtet aus einem Krankenhaus, in das er verlegt worden ist, nachdem er einen „accident“ inszeniert hat. Blaney stürmt Rusk’s Wohnung und schlägt auf den vermeintlich schlafenden Rusk mit einer Eisenstange ein. Doch die Person, die da zugedeckt im Bett gelegen hat, war gar nicht Rusk, sondern ein weiteres stranguliertes Opfer des Killers. Dann taucht plötzlich Oxford in Rusk’s Wohnung auf und Blaney erscheint angesichts des „Settings“, er mit Eisenstange in der Hand – im Bett eine nackte Frauenleiche, mehr denn je als Täter.

Doch Bob Rusk betritt ein paar Augenblicke später wieder sein Apartment (CHEFINSPEKTOR OXFORD: „Mr. Rusk, Sie haben ja Ihre Krawatte nicht an“) und lässt eine Kiste fallen, mit der er offenbar die Leiche transportieren wollte. Der Film endet mit der „impression“, dass Rusk jetzt wohl verhaftet werden wird.

 

Frenzy ist vom „Tonfall“ her ein eher zynisches Werk, wobei der Zynismus von der deutschen Synchro, die das Original zum Teil sehr „fantasievoll“ übersetzt, noch verstärkt wird.

Wenn man an die klassischen Hitchcock-Filme mit Grace Kelly, James Stewart oder Cary Grant denkt, so haben die Heldinnen & Helden in Frenzy nichts Glamouröses mehr an sich und besitzen auch keinen „sophisticated touch“ mehr oder dergleichen, im Gegenteil, alles erscheint sehr „rau“ und realistisch. Die einzige, wenn man so will, „zärtlichere Szene“ ist jene zwischen Jon Finch und Anna Massey auf der Parkbank, aus der ich ja bereits weiter oben zitiert habe.

Abgesehen davon, dass das Werk inszenatorische Glanzleistungen (z. B. jene Szene, in der „Rusk“ Barry Foster die Leiche von „Barbara“ Anna Massey in einem Sack voller Kartoffeln transportiert, wobei die Füße der Leiche ein „Eigenleben“ entwickeln und ihm im Kofferraum eines Transportfahrzeugs dann ständig aus den Kartoffeln heraus „ins Gesicht springen“) und „akrobatisch anmutende kameratechnische Spielereien“ enthält, hat Hitchcock sich auf jeden Fall darum bemüht, „liebevolle Details, das Leben in London betreffend“ zu arrangieren. So wird dem Markt der Gemüsehändler in Covent Garden in Frenzy ein Denkmal gesetzt, was nicht verwundern mag, denn Hitchcock wurde dort 72 Jahre zuvor als Sohn eines Gemüsehändlers geboren.

Mit 72, vier Jahre vor seinem letzten Film und acht Jahre vor seinem Tod, schloss sich also ein Lebenskreis für den „Master of Suspense“.

 

 

 

(ENDE der TEILE 2.1 & 2.2; Fassungen vom 09.12.2023 & vom 11.12.2023)