DRYDEN
Wie ist er gestorben?
JAMES BOND
Ihr Kontaktmann? Sehr unschön.
DRYDEN
Nun ja. Keine Sorge. Das zweite Mal ist…
(Bond erschießt Dryden mit seiner Walther P99, bevor dieser den Satz zu Ende bringen kann)
JAMES BOND
Ja. Erheblich.
(aus: Casino Royale; Dialog zwischen dem offenbar korrupten Prager MI6-Sektionschef Dryden, gespielt von Malcom Sinclair, und „James Bond“ Daniel Craig im Rahmen der Vortitel-Sequenz von Casino Royale; die gesamte Sequenz ist in Schwarzweiß gedreht, ebenso wie die Rückblende innerhalb der Sequenz, die den Kampf zwischen Bond und Fisher, dem im Dialog erwähnten Kontaktmann von Dryden, in einer öffentlichen Toilette zeigt; im Dialog wird darauf angespielt, dass, um ein "00"-Agent zu werden, zwei Tötungen in den MI6-Akten vermerkt sein müssen; die Eliminierung des Kontaktmannes war also die erste, die Tötung Drydens die zweite, wobei die endgültige Tötung Fishers durch Bond, die noch nach dem Schuss auf Dryden gezeigt wird, dann in den berühmten Pistolenlauf-Vorspann überleitet, da Craig sich dabei mit seiner Waffe umdreht und quasi direkt in die Kamera schießt – in der Form ein absolutes Novum innerhalb der Film-Serie, das aber irgendwie originell die „007-Werdung“, deren Zeuge sozusagen der Zuseher in der Vortitel-Sequenz von Casino Royale wird, abschließt; in der Originalfassung sagt Craig am Ende „Yes. Considerably“, was mit „Ja. Wesentlich“ vielleicht ein klein wenig stimmiger übersetzt wäre als mit dem ungewöhnlichen „Ja. Erheblich“, das Craig’s deutsche Standardsynchronstimme Dietmar Wunder von sich gibt)
Daniel Craig, der, und das muss man auch erwähnen, in Casino Royale körperlich wahrlich in „exceptional shape“ ist, und zwar so wie wirklich kein James Bond-Darsteller vor ihm (Anmerkung: Die im Film in der Folterszene, in der Bond nackt ist, gesprochenen Worte von „Le Chiffre“ Mads Mikkelsen könnten treffender nicht sein: „Wow. Sie haben gut auf Ihren Körper geachtet“), war vor seiner 007-Rolle ein nicht wirklich relevanter Faktor im Filmgeschäft, eher oftmals nur der „Freund der deutschen Schauspielerin Heike Makatsch“, mit der er von 1996 bis 2004 liiert war.
Filmisch so wirklich aufgefallen war Craig zunächst einmal sicherlich durch seine Nebenrolle als psychopathischer Mafia-Boss-Sohn „Connor Rooney“ in dem Tom Hanks-Film Road to Perdition aus 2002, worin er aber klar im Schatten von Hauptdarsteller Hanks und seines „Film-Vaters“ Paul Newman stand. Allerdings agierte der Schauspieler in dem recht brutalen Gangsterfilm auch erstmals unter der Regie von Sam Mendes, der später bekanntlich zu Craig’s Lieblings-Bond-Regisseur wurde.
Ein wirkliches Highlight in Craig’s Filmographie und „Vor-James Bond-Zeit“ stellte aber dann ohne Zweifel der britische Gangster-Thriller Layer Cake aus 2004 dar, der von Matthew Vaughn inszeniert wurde und in dem Craig einen namentlich nicht näher genannten Drogenhändler spielt, der durch sein geschicktes Agieren am Ende bis ganz nach oben in der Gangster-Hierarchie klettert. In gewisser Weise hatte sich Daniel Craig mit diesem Film schon für seine spätere James Bond-Rolle empfohlen, da er in Layer Cake auch schon so einen „Schweinehund“ verkörpert, der seiner 007-Interpretation gar nicht unähnlich ist (Anmerkung: Eine ähnliche Bezeichnung verwendete 2006 zum Beispiel auch Paul Arendt von der BBC im Zusammenhang mit Craig’s James Bond – dieser sprach in seiner Casino Royale-Kritik nämlich davon, dass Craig die Figur endlich so spiele, wie sie Ian Fleming eigentlich erdacht hat, als „absolute swine“).
Konnte man, wie weiter oben schon erwähnt, im Zusammenhang mit Pierce Brosnan sagen, dass dieser der Serie einst das „Bond-Feeling“ zurückbrachte, so drängt sich bei Craig, der, bevor Casino Royale in die Kinos gekommen ist, zunächst mit erstaunlich viel „Vorschuss-Häme“ von Seiten der Kritik und der 007-Fans bedacht wurde, der Eindruck auf, dass dieser die Bond’sche „Post-Connery-Depression“ endgültig aufgelöst und mit seiner Darstellungsweise genau jene Härte und Männlichkeit in die Rolle zurückgebracht hat, die man nach Connery’s Abgang so lange Jahre hindurch schmerzlich vermisst hatte.
Insofern war es nicht verwunderlich, dass die internationale Kritik, mit wenigen Ausnahmen, Craig tendenziell als „besten Bond seit Connery“ feierte, der 007 als ambivalente Persönlichkeit voller seelischer Abgründe und geplagt von Zweifel und zunehmender Gefühllosigkeit spiele.
Wirklich wunderbar gelungen in Casino Royale sind dementsprechend auch jene Dialog-Sequenzen Craigs, in denen die rabiat-ruppigen Wesenszüge hervortreten, die der Schauspieler seinem Bond verliehen hat, so wie bei der folgenden Bestellung seines Lieblingsgetränks (Anmerkung: In Casino Royale wird erstmals Fleming’s Originalrezept aus dem Roman von 1953 vollständig angeführt!), des Wodka-Martinis, bei der Bond’s Ärger über den für ihn zunächst nicht zufriedenstellenden Verlauf des Pokerturniers mit Le Chiffre mitschwingt:
JAMES BOND
Einen Wodka-Martini.
BARMANN
Geschüttelt oder gerührt?
JAMES BOND
Sehe ich aus, als ob mich das interessiert?
(aus: Casino Royale)
M
Herrgott, wie mir der Kalte Krieg fehlt!
(aus: Casino Royale; Reaktion von Geheimdienstchefin „M“ Judi Dench auf die Rüge, die sie von oberster politischer Stelle für Bond’s berserkerhaftes Verhalten in einem Botschafts-Gebäude in Madagaskar erhalten hat)
M
Sie häufen eine stattliche Menge Leichen an.
(aus: Casino Royale; „M“ zu „James Bond“ Daniel Craig, angesichts der Tatsache, dass Dimitrios‘ Frau Solange, gespielt von Caterina Murino, offenbar von Le Chiffre’s Leuten zu Tode gefoltert wurde)
M
Ich wusste, dass ich Sie zu früh befördert hab.
JAMES BOND
Doppel-Null-Agenten sollen ja wohl eine ausgesprochen kurze Lebenserwartung haben. Ihr Fehler ist vermutlich kurzlebig.
(aus: Casino Royale)
Martin Campbell’s Casino Royale ist ein Bond-Film, der, im Sinne des „Neustarts“ der Film-Serie, auf so einiges verzichtet, was seit deren Beginn in den 60er-Jahren integrativer Bestandteil der Serie war, so wie zum Beispiel auch auf die in Bond verliebte Sekretärin Moneypenny und den Waffenmeister „Q“, die in der Brosnan-Ära noch von Samantha Bond(!) beziehungsweise eben von dem legendären „Langzeit-Q“ Desmond Llewelyn sowie von dem offiziellen „Q“-Nachfolger John Cleese gespielt wurden. Der Monty Python- und Ein Fisch namens Wanda-Star John Cleese wurde in Die Welt ist nicht genug zunächst aber noch als „R“ bezeichnet und erst in Stirb an einem anderen Tag als "Q".
Was die Figur von Geheimdienstchefin „M“ betrifft, so ist natürlich Judi Dench (Filmographie-Highlights abseits der Bond-Serie: 1985: Zimmer mit Aussicht von James Ivory; 2001: Schiffsmeldungen von Lasse Hallström) untrennbar mit den Brosnan- und Craig-007-Ären verbunden, so wie der unvergessene Bernard Lee (1908-1981) mit der Ära von Connery und größtenteils auch mit der von Moore (Lee hatte seinen finalen Auftritt als „M“ 1979 in Moonraker).
Schon bei Pierce Brosnan, zu dessen Bond-Figur „M“ bei ihrem „Chefinnen-Debüt“ in GoldenEye sogar einmal meint „Ich halte Sie für einen sexistischen, frauenfeindlichen Dinosaurier, ein Relikt des Kalten Krieges“, agiert Dench als eine Art „Macho-Regulativ“, das Bond kritisch gegenübersteht. Alles andere wäre 1995 auch ein dem mittlerweile veränderten Zeitgeist völlig entgegengesetzter Ansatz gewesen, der wahrlich einiges an Erstaunen und Irritation hervorgerufen hätte.
Aber auch in Casino Royale muss sich „James Bond“ Daniel Craig dann so einige Dinge anhören, die nicht immer schmeichelhaft für eine der größten Macho-Figuren der Filmgeschichte sind, so wie zum Beispiel auch in der folgenden „Persönlichkeitsanalyse“, die 007, der gerade kurz zuvor mehr oder weniger in ihre Wohnung eingebrochen ist und unerlaubt an ihrem Laptop recherchiert hat, von „M“ erhält:
M
Bond. Das mag für eine Waffe auf Beinen zu schwer zu verstehen sein. Aber: Arroganz und Selbsterkenntnis gehen nicht oft Hand in Hand.
(aus: Casino Royale)
Dench ist eine strenge und, wie man aus Skyfall weiß, im Notfall auch über die Leichen der eigenen Agenten gehende Geheimdienstchefin, die aber andererseits zu Bond auch einen ganz speziellen Draht hat, ganz anders als der angesichts von „007’s ungebührendem Verhalten“ oftmals nur die Augen überdrehende Bernard Lee. Sie wird als jemand gezeigt, und das natürlich speziell in der Daniel Craig-Ära, der weiß, wer Bond ist und welche Schattenseiten dessen Persönlichkeit zwangsweise mit sich bringt, der aber auch weiß, was sie an der „Waffe auf Beinen“ letztendlich hat.
Sogar Roger Moore persönlich hat sich 2008 dann in einem in der Times veröffentlichten Artikel, betitelt mit Bye bye to Ian Fleming’s James Bond?, der im Rahmen der Premiere von Ein Quantum Trost erschienen war, zu Craig’s Bond-Interpretation und zu dessen Verhältnis zu seiner Chefin „M“ geäußert. Moore schrieb darin unter anderem: „Daniel Craig impressed me so greatly in his debut outing, Casino Royale […]. It was intriguing to see him being castigated [Anmerkung: castigate: geißeln, züchtigen] by M, just like a naughty schoolboy would be by his headmaster. The script showed him as a vulnerable, troubled, and flawed character. Quite the opposite to my Bond! Craig was, and is, very much the Bond Ian Fleming had described in the books – a ruthless killing machine. It was a Bond that the public wanted.“
MATHIS
Wie geht’s unserer Kleinen? Hat Sie Ihr kaltes Herz schon aufgetaut?
(aus: Casino Royale; MI6-Kontaktmann „René Mathis“ Giancarlo Giannini spricht auf Bond’s offensichtliche Schwäche für Vesper Lynd an)
VESPER LYND
Und es [Anmerkung: Die Tatsache, dass James Bond ein Waisen- und Heimkind war] erscheint mir absolut schlüssig. Denn: MI6 sucht labile junge Männer ohne soziale Bindungen, die andere über die Klinge springen lassen, ohne nachzudenken. Um Krone und Vaterland zu schützen.
(aus: Casino Royale; nicht nur von „M“, sondern auch von „Vesper Lynd“ Eva Green erhält Bond eine wenig schmeichelhafte „Persönlichkeitsanalyse“ unter die Nase gerieben; in der gleichen Dialogsequenz, die in einem Personenzug nach Montenegro abläuft, wird von Lynd angedeutet, dass Bond früher wohl Mitglied des sogenannten SAS war, des Special Air Service, einer Spezialeinheit der britischen Armee)
JAMES BOND
Ich bin „Mr. Arlington Beech“. Professioneller Spieler. Und Sie sind „Miss Stephanie Brustwartz“, die Erbin von…
VESPER LYND
Bin ich nicht!
(aus: Casino Royale; „James Bond“ Daniel Craig revanchiert sich für Vesper Lynd’s ständige verbale Spitzen gegen ihn und bespricht, während einer Autofahrt, auf nicht ganz ernstzunehmende Weise gleichsam die „Decknamen“ der beiden für den Einsatz in Montenegro; in der Originalfassung lautet Bond’s „Nonsense-Deckname“ für Lynd aber „Miss Stephanie Broadchest“ – die englische Bezeichnung „broad chest“ bedeutet eigentlich eher „breite Brust“)
Im Grunde steht „Haupt-Bond-Girl“ Vesper Lynd, Mitarbeiterin des Schatzamtes, Bond’s Mitstreiterin und schließlich „love interest“, aber auch, nach „M“ Judi Dench, zweites „Macho-Regulativ“ in Casino Royale, letztendlich in der Tradition von Frauenfiguren, die sich den gesamten Film über gegen die Macho-Allüren der männlichen Hauptfigur stemmen, am Ende aber dann doch mit ihr im Bett landen.
Das erste Mal nach Im Geheimdienst Ihrer Majestät von 1969 wurde also in einem Bond-Film wieder einer seriösen Liebesgeschichte zwischen der Hauptfigur und einem „Bond-Girl“ breiter Raum gegeben. Die französische Schauspielerin Eva Green, zu deren bekannteren Werken auch Tim Burton’s amüsanter Vampirfilm Dark Shadows (2012) oder Roman Polanski’s Thriller Nach einer wahren Geschichte (2017; Originaltitel: D’aprés une histoire vrai) zählen, kann sich also neben „Contessa Tracy di Vicenzo“ Diana Rigg im Lazenby-Bond Im Geheimdienst Ihrer Majestät zu einem ganz kleinen Kreis von Bond-Girls zählen, die 007’s „kaltes Herz“ sozusagen „aufgetaut“ haben, wie eben „René Mathis“ Giancarlo Giannini einmal im Film zu Daniel Craig meint.
Natürlich sind wahrlich ungewöhnliche Bond-Sätze wie „Ich habe keinen Schutzpanzer mehr. Weil du ihn mir weggenommen hast. Und was von mir übrig ist […], was ich bin, gehört bloß dir“ beim Publikum weltweit eher auf positive Resonanz gestoßen und haben sicherlich auch mit dazu beigetragen, dass Casino Royale das „weltweite kulturelle Phänomen“ geworden ist, das der Film nun einmal war und der gesamten Serie auch völlig neue „Kundenschichten“ erschlossen hat, von der die Bond-Macher sicher nicht mehr ernsthaft geglaubt haben, sie je noch erreichen zu können.
Aber: Eine eindeutige Schwäche von Casino Royale, der viele Stärken hat, sind trotzdem alle Dialoge zwischen Daniel Craig und Eva Green nach der mittlerweile legendären Folter-Szene, in der 007 nach Le Chiffre’s „Spezialbehandlung“ einige Verletzungen im Intimbereich davonträgt. Pathetisch und etwas „over the top“ könnte man diese Dialoge nennen (Anmerkung: Die meisten davon finden in dem „MI6-Sanatorium“ am Comer See statt - in Wirklichkeit die „Villa del Balbianello“, welche schon George Lucas für seinen Star Wars-Film Angriff der Klonkrieger aus 2002 als Kulisse für die Hochzeit von Anakin Skywalker und Prinzessin Padmé diente), die letztendlich nur der Witz rettet, mit dem James Bond verzweifelt gegen den ganzen „Schmalz“ ankämpft, den er da plötzlich zu hören bekommt und der so klingt, als ob sich die Drehbuchautoren Neal Purvis, Robert Wade und Paul Haggis dazu entschlossen hätten, „Vesper Lynd“ Eva Green sich dafür entschuldigen zu lassen, dass sie es gewissermaßen im Laufe der Handlung jemals gewagt hat, die Männlichkeit der Hauptfigur in Frage zu stellen (Anmerkung: Gerade von Oscar-Preisträger Paul Haggis, der als „Skript-Doktor“ fungierte und der der Regisseur von Meisterwerken wie L.A. Crash oder Im Tal von Elah ist, erschienen 2004 und 2007, sowie der Erfinder der originellen 90er-Jahre-TV-Serie Ein Mountie in Chicago, hätte man grundsätzlich Subtileres erwartet). Hier ein Beispiel:
VESPER LYND
Weißt du, James. Ich wollte dir nur eins sagen. Wenn nichts von dir übrig wär, außer deinem Lächeln und deinem kleinen Finger, dann wärst du noch immer mehr Mann als alle vor dir zusammengenommen.
JAMES BOND
Weil du weißt, was ich mit meinem kleinen Finger alles machen kann?
(aus: Casino Royale)
Dennoch gibt es auch Highlights in den „Craig-Green-Conversations“ gegen Ende von Casino Royale, so wie zum Beispiel den folgenden amüsanten Dialogteil, der aus einer Unterhaltung stammt, die Bond und Lynd auf einem Sandstrand liegend absolvieren und in der auf Bond’s außergewöhnliche „Berufswahl“ angespielt wird:
VESPER LYND
Du liebst mich?
JAMES BOND
Genug, um auszusteigen und mit dir um die Welt zu treiben. Bis sich einer von uns eine anständige Arbeit suchen muss. Aber ich fürchte, das musst du erledigen. Ich hab keine Ahnung von anständiger Arbeit.
(aus: Casino Royale)
Übrigens: Das rote Kleid, das Eva Green beim Finale in Venedig (Anmerkung: Der Palazzo, der, dank 007 muss man sagen, im Meer versinkt, ist keine reine Computer-Animation, sondern eine elektronisch gesteuerte Attrappe von circa einem Drittel der Originalgröße!) trägt, in welchem sie zunächst mit dem „Geld-Koffer“ durch die Stadt geht und in dem sie letztendlich auch stirbt, soll eine Hommage der Filmemacher an einen der größten und besten Horror-Thriller aller Zeiten sein, nämlich an Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973; Originaltitel: Don’t Look Now; literarische Vorlage: Daphne du Maurier) von Nicolas Roeg, in dem die Farbe Rot in gewisser Weise ein zentrales Motiv darstellt, da die Film-Tochter von Donald Sutherland und Julie Christie bei ihrem Tod durch Ertrinken einen roten Regenmantel getragen hat und die tote Tochter dem Vater die ganze Zeit über vermeintlich, in diesem roten Regenmantel, in einem noch dazu von einem mysteriösen Serienkiller terrorisierten Venedig erscheint – ein Meilenstein des 70er-Jahre-Kinos!
STEVEN OBANNO
Glauben Sie an Gott, Mr. Le Chiffre?
LE CHIFFRE
Nein. Ich glaube viel mehr an eine vernünftige Verzinsung.
(aus: Casino Royale; fast schon humorvoller Dialog zwischen dem Warlord Steven Obanno, gespielt von Isaac de Bankolé, und Hauptbösewicht „Le Chiffre“ Mads Mikkelsen in Mbale, Uganda, ganz zu Beginn des Films)
Wie gesagt: Casino Royale ist ein Bond-Film, der viele Stärken hat, und eine davon ist sicherlich auch der Däne Mads Mikkelsen, der den „Privatbankier der Terroristen dieser Welt“, so wie ihn „M“ Judi Dench einmal gegenüber Bond nennt, nämlich Le Chiffre, spielt, der zu den unangenehmsten und „gruseligsten“ Gegnern zählt, die man gegen 007 jemals in den Ring geschickt hat und dem somit ein Platz unter den Greatest Villains der Film-Serie gebührt, vielleicht gleich nach „Auric Goldfinger“ Gert Fröbe in Goldfinger und „Red Grant“ Robert Shaw aus Liebesgrüße aus Moskau.
Mikkelsen ist ein exzellenter Schauspieler, der sich auch nicht blamiert hat, als er das vielleicht größte Film-Monster aller Zeiten, den Kannibalen Dr. Hannibal Lecter, dargestellt hat, nämlich in Bryan Fuller’s fabelhafter TV-Serie Hannibal (2013-2015), die gewiss zu den intensivsten und gelungensten Psycho-Trips gehört, die jemals für das Medium Fernsehen gedreht wurden!
Als Bond-Bösewicht Le Chiffre ist Mikkelsen übrigens in die Fußstapfen von Peter Lorre und Orson Welles getreten, die die Le Chiffre-Figur in den beiden zuvor entstandenen Casino Royale-Verfilmungen gespielt haben, Lorre in dem CBS-Fernsehfilm (Regie: William H. Brown Jr.) von 1954 und Welles in der bekannten Bond-Persiflage von 1967.
Unbedingt erwähnenswerte Filme mit Mads Mikkelsen sind aber auch die dänische Tragikomödie Wilbur Wants to Kill Himself von Regisseur Lone Scherfig (vor allem bekannt durch den im Jahr 2000 entstandenen Italienisch für Anfänger, einem der wichtigsten „Dogma 95“-Filme – nach Lars von Trier’s Idioten und Thomas Vinterberg’s Das Fest, beide entstanden 1998) sowie der brutale Wikinger-Film Walhalla Rising des dänischen Regie-Provokateurs Nicolas Winding Refn (bekannt durch Filme wie Drive, Only God Forgives und The Neon Demon, entstanden 2011, 2013 und 2016).
Casino Royale ist nicht nur ein James Bond-Film, der, wie in den 90ern und in den 2000er-Jahren generell üblich geworden, „Produktplatzierungen“ en masse bietet, so kommen zum Beispiel Omega- oder Rolex-Uhren darin vor und werden auch mit ihrem Markennamen bezeichnet, sondern auch einige interessante und witzige Cameo-Auftritte von bekannten Persönlichkeiten. So ist in der Sequenz, in der Bond in Miami in der Ausstellung „Body Worlds“ („Körperwelten“) zunächst Dimitrios (gespielt von Simon Abkarian) beschattet und dann tötet, kurz der prominente Initiator dieser Wanderausstellung plastinierter menschlicher Körper, nämlich Gunther von Hagens, zu sehen. Wenig später ist am Flughafen von Miami, gerade bei einem Metalldetektor stehend, auch noch der Milliardär und deklarierte „Bond-Fan“ Richard Branson im Bild, der Gründer der Virgin-Gruppe, der den Machern von Casino Royale gleichsam in letzter Minute ein Flugzeug für die Dreharbeiten am Flughafen zur Verfügung gestellt hatte. Schließlich absolviert auch der Bond-Produzent und Broccoli-Stiefsohn Michael G. Wilson einen seiner üblichen Bond-Film-Cameos, nämlich als korrupter Polizeipräsident in Montenegro, der, in der Nähe von Bond, Lynd und Mathis, an einem Tisch in einem Gastgarten eines Restaurants sitzt, aber umgehend verhaftet wird, da ihm Mathis belastendes Material „mittels Photoshop“ untergejubelt hat. Ignorieren darf man aber auch nicht die kleine Nebenrolle der von Tsai Chin gespielten "Madame Wu", die zu dem Kreis der Pokerturnier-Teilnehmer rund um Le Chiffre und Bond in Casino Royale zählt. Die britische Schauspielerin und Schriftstellerin chinesischer Herkunft war nämlich bereits 1967, also in Man lebt nur zweimal, Teil eines Bond-Films, und zwar durch ihre Rolle der MI6-Doppelagentin Ling, die an der Seite von Sean Connery ist - bei 007's vermeintlicher "Ermordung" zu Beginn des Films!
Um sich von der „technisch hoch gerüsteten“ Brosnan-Ära abzuheben, hat man Craig in Casino Royale (und auch in Ein Quantum Trost, in Skyfall und in Spectre) jetzt nicht unbedingt die spektakulärsten Gadgets oder die spektakulärste Ausrüstung mit auf den Weg gegeben, denn das wäre ohnehin etwas, was gar nicht so recht zu Craig und zu dessen Bond-Interpretation gepasst hätte. Dennoch fährt Bond in Casino Royale gleich zwei Aston Martins, nämlich den modernen Aston Martin DBS, der im Cockpit über Schubfächer verfügt, in denen sich Bond’s schallgedämpfte Walther P99 sowie auch Antidot-Ampullen und ein AED, ein Automatisierter Externer Defibrillator, befinden, sowie auch den legendären Aston Martin DB5, das Modell also, das bereits Connery 1964 in Goldfinger gefahren hat und das Bond dem Griechen Dimitrios im ersten Film-Drittel im Laufe eines Poker-Spiels auf den Bahamas abspenstig macht. Der Aston Martin DBS wird dann im Rahmen der Verfolgung des Le Chiffre-Autos, in dem sich auch die entführte Vesper Lynd befindet, von Bond regelrecht zu Schrott gefahren, was von einigen Kritikern auch als Teil der „Bond-Mythen-Zerstörung“ interpretiert wurde, die man Casino Royale bescheinigt und teilweise natürlich auch unterstellt hat.
Erwähnenswert ist auf jeden Fall aber auch noch die eindrucksvolle UMP mit Schalldämpfer, die Bond in der finalen Szene in Mr. White’s Villa am Comer See verwendet. Die Maschinenpistole der deutschen Firma Heckler & Koch gilt als eine Art „Exportschlager“ in die USA, da sie die dortigen SWAT-Teams offenbar bevorzugt benutzen.
Wer als Zuseher sozusagen den nicht gänzlich gelungenen „Pillow-Talk“, das „Bettgeflüster“, in Casino Royale (Gesamt-Laufzeit des Films: etwa 139 Minuten) dann überstanden hat, wird fürstlich entlohnt, denn das Ende des Films ist für wirkliche James Bond-Fans nämlich wahrlich „berauschend“.
Nach der spektakulären Szene in Venedig, in der der Palazzo versinkt und in der die dann doch noch als „Verräterin“ enttarnte Vesper Lynd schließlich ums Leben kommt, folgt jener „Schuss aus dem Nichts“, der Craig’s 007-Debüt noch einmal zu einem der ganz großen Bond-Filme macht. Als der mysteriöse Hintermann und gleichsam „Neben-Bösewicht“ Mr. White (gespielt von dem Dänen Jesper Christensen - bekannt auch aus Sydney Pollack’s Thriller Die Dolmetscherin aus 2005), der an einigen zentralen Punkten des Films (so wie eben bei der Tötung des „Verräters“ Le Chiffre in der Folterszene) immer wieder auftaucht und zu dem Bond, wie durch einen „letzten Gruß Vespers aus dem Jenseits“, durch das Handy der Toten geführt wird, vor seiner Villa am Comer See aus seinem Auto steigt, erhält er nämlich einen Anruf, dem unvermittelt, nachdem von ihm ans Handy gegangen und nach der Identität des Anrufers gefragt wurde, ein (schallgedämpfter) Schuss folgt, welcher den „Blassen König“, so wie Mr. White später in Spectre genannt wird, ins Bein trifft. Der Moment, in dem Craig dann, mit der Maschinenpistole in der Hand, auf einer Treppe erscheint, zu der der verletzte Mr. White hin kriecht, und schließlich die berühmten Vorstellungsworte „Mein Name ist Bond…James Bond“ sagt, ist genial!
Und wenn dann beim Abspann, zum ersten Mal in Casino Royale, der ein Bond-Film ist, der, wie bereits erwähnt, auf so einiges (wie eben auch auf „Q“ und „Miss Moneypenny“ - jedoch nicht auf Bond’s CIA-Kollegen Felix Leiter, der von Jeffrey Wright gespielt wird) verzichtet hat, endlich auch Monty Norman’s eigentlich unverzichtbares „James Bond Theme“ erklingt, dann ist das der endgültige Beginn einer neuen Bond-Ära!
Die mit Spannung erwartete Weltpremiere von Casino Royale fand am 14. November 2006 im "Odeon Leicester Square" in London statt. Der Film lukrierte schließlich weltweit rund 600 Millionen US-Dollar und wurde in der Tat zu einer Art „Kulturphänomen“, denn Craig konnte den begeisterten Kinogehern auf der ganzen Welt wieder einen Bond-Spirit vermitteln, der am allerbesten durch die folgenden Textzeilen (stammend aus der „End-Title“-Variante des Songs The Man with the Golden Gun) der Sängerin Lulu ausgedrückt wird, die 1974 eben den Titel-Song zu dem Roger Moore-Bond Der Mann mit dem goldenen Colt beisteuern durfte: „No need to fear, James Bond is here“.
(NEU ÜBERARBEITETE FASSUNG; TEIL 2 [von 2] des Kapitels; Ur-Fassung: 03.02.2019)