David Lynchs "Twin Peaks: A Limited Event Series" (2017) – Ein "Lost Highway" oder doch eine "Straight Story"?

 

Wer ist wohl der größte amerikanische Künstler?

Der berühmte französische Regisseur Jean-Luc Godard hat einmal, es muss so in den späten 50ern oder frühen 60ern des letzten Jahrhunderts gewesen sein, für viele damals wahrscheinlich überraschend, gesagt, dass der Filmemacher Howard Hawks der größte amerikanische Künstler sei. Da ich die Filme von Howard Hawks liebe und keine zwei Jahre vergehen, dass ich mir nicht Klassiker wie Rio Bravo (1959) mit dem „Duke“ John Wayne oder einen meiner Lieblingsfilme, nämlich Bringing Up Baby (Leoparden küsst man nicht; 1938) mit Cary Grant und Katherine Hepburn, ansehe, kann ich Godards Aussage nur zu gut verstehen. Auf jeden Fall sind mir Howard Hawks-Filme mit ihrem Humor und den starken Frauen-Figuren lieber als die melancholischen Western von Regie-Ikone John Ford, dem logischen „Gegenkandidaten“ aus der Generation von Hawks für den Titel „größter amerikanischer Künstler“.

Für mich persönlich allerdings, als Filmfan und vor allem als Fan des US-Kinos, und das hat sich durch das Anschauen der, nach einem Vierteljahrhundert längst mehr als überfälligen, 18-teiligen Twin Peaks-Fortsetzung Twin Peaks: A Limited Event Series (2017) wieder einmal bestätigt, lautet die Antwort auf die Frage „Wer ist wohl der größte amerikanische Künstler?“ auf jeden Fall: David Lynch!

Obwohl ich nicht dauernd irgendwelche Jugenderinnerungen meinerseits heraufbeschwören möchte, so scheinen diese in vielen Fällen trotzdem der Schlüssel zur dauerhaften Fan-Bindung an einen Künstler zu sein, eine Theorie, die ich zum Beispiel erst vor Kurzem wieder in der Dokumentation Bud’s Best – Die Welt des Bud Spencer (2012; Regie: Friedemann Beyer & Irene Höfer) bestätigt fand, denn dort berichtete eine Frau davon, dass sie Bud Spencer deshalb immer noch so liebe, weil sie als Kind mit ihrem Vater gemeinsam an den Wochenenden stets dessen Filme angeschaut habe und sie danach das Gefühl hatte, dass ihr ohnehin nichts passieren kann, da Bud Spencer schon im richtigen Moment kommen werde, um sie mit seinem legendären „Dampfhammer“ zu retten. Nun, genau so funktioniert's!

1991 war „Twin Peaks-Zeit“ im österreichischen Fernsehen. Mein Vater und ich warteten jeden Sonntag bis spät in die Nacht auf die neueste Twin Peaks-Folge, sahen gespannt FBI-Special-Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) bei der Jagd nach dem Mörder von Laura Palmer in der Kleinstadt Twin Peaks zu und diskutierten, nachdem dann der Abspann mit der für mich unvergesslichen Einblendung Executive Producers Mark Frost & David Lynch eingeleitet wurde, die Folgen anschließend miteinander. Twin Peaks war echt anders als Dallas (1978-1991) oder Dynasty (Der Denver-Clan; 1981-1989), anders als der bescheuerte Knight Rider (1982-1986) oder als Magnum, P.I. (Magnum; 1980-1988) oder Miami Vice (1984-1989). Twin Peaks war neuartig, geheimnisvoll, surreal, verstörend und irgendwie inspirierend zugleich. Es öffnete für mich ganz neue „Wahrnehmungs-Dimensionen“ das Medium Film/Fernsehen betreffend und leitete bei mir nicht nur eine längere Phase der Auseinandersetzung mit dem Regisseur David Lynch ein, sondern auch ganz generell eine Auseinandersetzung mit etwas, das man damals das „Autorenkino“ nannte. Fast sieben Jahre lang standen dann, neben Lynch, also beispielsweise Leute wie Woody Allen, Ingmar Bergman, Luis Bunuel, David Cronenberg, Rainer Werner Fassbinder oder Peter Greenaway in meinem Fokus.

Der Bestseller-Autor Frank Schätzing hat in einer Dokumentation über Stephen King, den ich persönlich im Übrigen für den größten lebenden Schriftsteller halte, gemeint, dass man von diesem das Schreiben lernen kann. In Abwandlung dazu möchte ich sagen, dass man von David Lynch, wenn man es drauf anlegt, das Filmemachen lernen könnte. Da Lynch aber wahrlich nicht unter dem „Woody Allen-Syndrom“ leidet, jedes Jahr einen Film abzuliefern, bleibt sein filmisches Werk mit 10 Kinofilmen und einer Fernsehserie (die erstaunlichen Kurzfilme, wie beispielsweise den 1988 veröffentlichten The Cowboy and the Frenchman, von Lynch lasse ich hier einmal beiseite) seit 1977, dem Jahr, in dem sein Debüt Eraserhead erschienen ist, doch recht überschaubar. Sein Einfluss auf die Filmwelt und vor allem auf eine gewisse Art des Filmens von Dingen ist jedoch alles andere als überschaubar und hat auch die Fernsehkrimiwelt bis heute nachhaltig geprägt.

Lynchs herrlich abgründigen und herrlich surreal bizarren ersten Spielfilm Eraserhead, ein Werk, das, aus Kostengründen, Jahre für die Fertigstellung gebraucht hat, habe ich leider erst vor rund 10 Jahren das erste Mal auf DVD betrachten können, da er vorher doch recht schwer zu bekommen war. Die in Schwarzweiß gefilmte Story eines Mannes (gespielt von dem mittlerweile schon verstorbenen Jack Nance, einem von Lynchs Stammschauspielern und ältesten Freunden), der sich plötzlich um sein entstelltes Kind kümmern muss, das er letzten Endes aber sogar tötet, ist auch heute noch „starker Tobak“ und verfügt über Bilder, die man so schnell nicht vergisst. Überhaupt nimmt man Lynchs Filme sozusagen für einige Zeit mit, da sie aufgrund ihrer visuellen und soundtechnischen Wucht unaufhörlich auf das Unterbewusstsein des Betrachters wirken. Keinem anderen Filmemacher ist es je besser gelungen beispielsweise psychische Störungen, durch die Art wie die Kamera verwendet wird oder durch die Art der Tongestaltung, für den Zuschauer spür- und erlebbar zu machen. So spürt man in dem Film Lost Highway (1997) zum Beispiel förmlich Balthazar Gettys Engegefühl, wenn er in seinem Zimmer sitzt, oder spürt, ebenfalls in Lost Highway, auch den sich in Bill Pullman unaufhörlich aufbauenden Druck und Wahnsinn, der letztendlich zu dem Mord an seiner Frau (gespielt von Patricia Arquette) führt. Aber auch die eindeutige Borderline-Störung, die meines Erachtens Diane Ladds Mutterfigur in Wild at Heart (Wild at Heart – Die Geschichte von Sailor und Lula; 1990; literarische Vorlage: Barry Gifford), dem „ersten großen Film der 90er“, wie damals die Zeitschrift Cinema den Goldene Palme-Gewinner so treffend bezeichnet hat, treibt, wird auf eindrucksvolle Weise in Bild und Ton greifbar. Ihre Verrücktheit, die sich in einem wilden Mix aus Doppelbindungen, dem Zwang zur Promiskuität, zerstörerischen Taten und dem gleichzeitigen Drang zu helfen äußert, springt einem förmlich über die Leinwand an.

Der spektakuläre und laute Wild at Heart, für den ich, um ihn im Kino sehen zu können, vor über 20 Jahren, gemeinsam mit meinem Vater und einem Freund, sogar einmal eine Irrfahrt mit der U-Bahn durch Wien in Kauf genommen habe, ist auch bis heute mein Lieblings-David Lynch-Film geblieben. Leider sind wir damals tatsächlich zu spät ins Kino gekommen und haben den Vorspann verpasst, was bei Wild at Heart bedeutet, dass man die Leinwand nicht brennen sieht, denn in keinem anderen Film brennt die Leinwand so schön wie zu Beginn in Wild at Heart, vielleicht nur noch im Vorspann zu James Camerons Meisterwerk Terminator 2: Judgement Day (Terminator 2 – Tag der Abrechnung; 1991). Überhaupt gehören diese Groß- und Makroaufnahmen von Feuer und Flammen, die für Lynch typisch sind, mittlerweile zum Standardrepertoire in Film- und Fernsehproduktionen, sozusagen zur Standardfilmsprache. Achten Sie doch einfach einmal drauf und Sie werden bestimmt bald fündig!

Während Wild at Heart die internationale Kritik, bei all dem Lob und den Auszeichnungen, die der Film bekommen hat, doch letztendlich gespalten hat, ein amerikanischer Kritiker bezeichnete den Film glaube ich sogar sinngemäß als "idiotisches postmodernes Spektakel ähnlich Steven Spielbergs Indiana Jones and the Temple of Doom [Indiana Jones und der Tempel des Todes; 1984]", so gilt Lynchs legendärer Thriller Blue Velvet (1986) fast uneingeschränkt als sein Meisterwerk und zumindest als einer der besten Filme der 80er-Jahre überhaupt. Nun, ich persönlich bevorzuge, wie gesagt, Wild at Heart, aber Blue Velvet vereint zweifelsohne alles, was Lynchs Werk so aufregend macht: Die scharfen Beleuchtungen, die die Film-Bilder oft wie gemalt erscheinen lassen, eine „unruhige“, bohrende Tonspur, die den Zuschauer ständig in Anspannung hält, die (mittlerweile bewährte) Musik von Angelo Badalamenti sowie eine reichlich abgründige Story (immerhin findet die Hauptfigur Jeffrey Beaumont, gespielt von Kyle MacLachlan, zu Beginn des Films ein abgeschnittenes Ohr – der Beginn einer Reise in ungeahnte menschliche Abgründe!). Die Hauptattraktion von Blue Velvet ist aber, neben David Lynchs mittlerweile Ex-Lebensgefährtin Isabella Rossellini als Nachtclubsängerin Dorothy Vallens, natürlich Dennis Hopper als psychopathischer Gangster Frank Booth. Booths teilweise verzweifelte Getriebenheit, seinen (sexuellen) Sadismus, seine unaufhörliche Aggression, die sich auch in einem Zwang äußerst andauernd das Wort „Fuck“ zu sagen, das alles lässt einem Hopper eindringlich mit seiner Performance spüren – wirklich großartig! Wenn er dann noch Kyle MacLachlan zu den Tönen von Roy Orbisons an sich harmlosen Song In Dreams sozusagen fertigmacht und zusammenschlägt, aber nicht bevor er noch einmal seine Sauerstoffmaske, die er offenbar ständig in seiner Jacke bei sich trägt, benutzt hat, dann ist das Horror pur.

Dieser Frank Booth erinnert mich irgendwie immer auch an die von Alan Arkin so meisterhaft gespielte Gangster-Figur „Roat“ in dem Thriller Wait Until Dark (Warte, bis es dunkel ist; 1967; Regie: Terence Young) mit Audrey Hepburn. Obwohl Roat, im Gegensatz zu dem „sprachlosen“ Frank Booth, sehr eloquent ist, so ist er doch der Prototyp eines Verbrechers, dessen Hirn von allen möglichen Drogen umnebelt und geschädigt scheint und der jeden Versuch eines normalen und wenn man so will vernünftigen Umgangs sofort mit seiner Verrücktheit sabotiert. Arkins Leistung von damals ist auch deshalb so gut und bahnbrechend, weil man im Jahr 1967 solche Figuren auf der Leinwand de facto noch nicht kannte. Dennis Hoppers Frank Booth profitiert, was diesen Drogenaspekt anbelangt, natürlich auch von Hoppers eigenen Drogen-Erfahrungen, denn bekanntlich hatte Hopper es erst Anfang der 80er-Jahre geschafft wieder clean zu werden, also, wenn ich mir diesen kleinen Scherz erlauben darf, erst ungefähr ein Jahrzehnt nach Easy Rider (1969; Regie: Dennis Hopper) :-).

Die Welle der Ablehnung, angeblich hat man ihn ja in Cannes bei der Premiere sogar ausgebuht, die der Twin Peaks-Kinofilm von 1992, Twin Peaks: Fire Walk with Me (Twin Peaks – Der Film), seinerzeit erfahren hat, konnte ich nie ganz nachvollziehen. Im Gegenteil, das Prequel zu der TV-Serie ist David Lynch pur und verfügt über eine hypnotische Kraft, die kein Lynch-Film danach, nein - auch nicht Lost Highway, wieder erreicht hat. Ein großartiger Soundtrack (allein die jazzig-sphärischen Saxophonklänge, mit denen der Vorspann untermalt ist, sind ganz einfach wunderbar!), tolle Gastauftritte, beispielsweise von Chris Isaak (dessen Song Wicked Game seit Wild at Heart zu meinen Favoriten gehört) oder von David Bowie, sowie eine furiose schauspielerische Leistung von Ray Wise (Wises Darstellung war in Wahrheit schon das eigentliche Highlight der Fernsehserie – so einen lachenden, weinenden, verzweifelten und neurotischen Verrückten hat man auch selten gesehen!), der natürlich wiederum Leland Palmer, den Vater von Laura Palmer, spielt, machen den Film zu einem von Lynchs besten. Denn seien wir mal ehrlich: Danach litten Lynchs Filme wie Mulholland Drive (Mulholland Drive – Straße der Finsternis; 2001) oder Inland Empire (2006), The Straight Story (Eine wahre Geschichte – The Straight Story)  von 1999 muss man da natürlich etwas außer Acht lassen, ein wenig unter demselben Syndrom wie beispielsweise alle Filme von Peter Greenaway nach dem formidablen The Cook, the Thief, His Wife and Her Lover (Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber; 1989), nämlich unter einer visuellen Überfrachtung und einem gewissen Ausverkauf an Symbolen und Motiven. Technisch sind die Filme natürlich perfekt, überfordern aber gleichzeitig den Zuschauer, indem sie ihn ständig beeindrucken wollen. Was das Kapitel „überfrachtete Werke von eigentlichen Genies“ anbelangt, so ist mir Greenaways Prospero’s Books (1991), mit seinen gefühlten fünfhundert Bildebenen, noch immer in gruseliger Erinnerung :-).

Die Wiederauflage von Twin Peaks aus dem Jahr 2017 bietet vor allem eines: Ein Wiedersehen mit alten Figuren (die im Übrigen realistischerweise fast allesamt von den Geschehnissen um den Laura Palmer-Mord von damals irgendwie traumatisiert sind) und alten Motiven. Die Limited Event Series ist tatsächlich eine gigantische „Wiederaufbereitungsanlage“, in der Lynch noch einmal alles hineingepackt hat, was er so als Lebenswerk hinterlassen wird. Aber, der entscheidende Punkt ist, dass diese permanente Selbstreminiszenz, trotz einiger Längen, ich denke bei "Längen" hier vor allem an die Episoden 3 (Call for Help/dt. Titel: Ruf um Hilfe) und 8 (Gotta Light?/dt. Titel: Hast du Feuer?), wirklich Spaß macht!

So findet man, neben wirklich sehr vielen Darstellern aus der alten Serie, allen voran natürlich Kyle MacLachlan als Dale Cooper, unter anderem einen jungen Psychopathen, der ähnlich wie Frank Booth in Blue Velvet agiert, oder ein ständig Fast Food konsumierendes Killerpärchen (gespielt von Tim Roth und Jennifer Jason Leigh), das dem Auftragskiller und dessen Freundin in Mulholland Drive ähnelt. Aber sogar Anlehnungen (wie z. B. entstellte Figuren und Aufnahmen von Wüstenlandschaften) an The Elephant Man (Der Elefantenmensch; 1980) und Dune (Dune – Der Wüstenplanet; 1984; literarische Vorlage: Frank Herbert) sind zu entdecken, zwei Lynch-Filme, die leider immer wieder gern vergessen werden oder zumindest oft im Schatten der anderen stehen.

Die 18. und letzte Folge, die mit What is your Name? (dt. Titel: Wie ist ihr Name?) betitelt ist, ist nicht nur für die Deutung und das Gesamtverständnis der Serie entscheidend, sondern bietet auch eine Hommage an Wild at Heart und Blue Velvet zugleich. Kyle MacLachlan und Laura Dern, die schon in Blue Velvet ein Paar gespielt haben, fahren sozusagen als wiedervereinte Cooper und Diane (diese war in der alten Serie ja bekanntlich und kultigerweise nur durch Agent Coopers Diktiergerät anwesend!) durch die Gegend und enden in einem Motel, wo sie miteinander Sex haben, eine eindeutige Hommage an den Roadmovie Wild at Heart, in dem sich natürlich „Sailor“ Nicolas Cage an der Stelle von MacLachlan mit „Lula“ Laura Dern ständig in Motels vergnügt.

What is your Name? knüpft an die bittere Erkenntnis aus dem vorletzten Teil (The Past dictates the Future/dt. Titel: Die Vergangenheit diktiert die Zukunft) an, dass das Böse sozusagen nicht rückgängig machbar ist, denn Cooper will ja in einer entscheidenden Sequenz, die geschickt mit den dementsprechenden Szenen aus dem Twin Peaks-Film von 1992 gekoppelt ist, Laura Palmer (Sheryl Lee) in der Mordnacht davor retten, den Weg zu gehen, der bekanntlich ihren Tod bedeutet. Vielmehr nimmt er sie, in einer berührenden Szene, an die Hand und will mit ihr „nach Hause“ gehen, womit aber natürlich nicht das Haus der Palmers gemeint ist, sondern ein weiterer geheimnisvoller Ort im Wald. Aber der Mord ist nicht rückgängig machbar, eine nachträgliche Rettung nicht möglich, und Laura Palmer entgleitet und verschwindet förmlich aus Coopers Hand, lässt diesen allein zurück.

Die letzte Episode bietet dann, wie in einem abschließenden Gedankenexperiment, am Ende plötzlich aber auch einen „realeren“ Cooper und dann doch tatsächlich auch eine „realere“, gealterte Laura Palmer, die offenbar zu allem Überfluss auch noch zu einer Mörderin geworden ist und gar nicht das Gefühl hat Laura Palmer zu sein, an. „Coopers“ laufen ja in den 18 Folgen der dritten Staffel jede Menge herum, vor allem aber ein „abgrundtief böser Cooper“, der seinerzeit am Ende von Staffel 2 ja bekanntlich aus der „schwarzen Hütte“  zurückgekommen ist,  sowie ein „guter Cooper“, der aber, bevor er wieder zum „alten Agent Cooper“ wird, ja die meiste Zeit über als debil wirkender Douglas „Dougie“ Jones sein Leben in einem Job (Versicherungsagent), der nicht der seine ist, sowie bei einer Ehefrau (gespielt von Naomi Watts), die nicht die seine ist, fristen muss, dabei aber, als vermeintlicher „Idiot“, irgendwie äußerst erfolgreich agiert, was einen wahren Reigen ungemein komischer Szenen mit sich bringt (überhaupt ist der Pegel an Humor in der gesamten Staffel ziemlich hoch). Als der „realer agierende Agent Cooper“ nun mit der abgehalfterten Laura Palmer zu deren Elternhaus nach Twin Peaks zurückgekehrt, gibt es da plötzlich keine Mutter Sarah Palmer mehr und es erscheint einem überhaupt so, als ob es die ganze Geschichte, mit all ihren waghalsigen transzendenten Aspekten, eventuell nie gegeben hätte, als ob sie nur eine Art Zwangsvorstellung von Cooper gewesen wäre. Aber die letztendlich dann doch erfolgende Reaktion, nämlich der finale Schrei von der Frau, die für Cooper auf jeden Fall Laura Palmer ist, angesichts des Hauses bedeutet wohl, dass da immer ein Horror möglich ist, dass man nie genau weiß, was in Häusern und hinter den Fassaden vorgeht, denn der Schrecken existiert in der Welt – real!

Es gibt, wenn man das so lapidar zuspitzen will, in der Welt tendenziell gute und tendenziell böse Menschen, Menschen, die mehr auf der guten Seite sind, und Menschen, die definitiv mehr auf der bösen Seite sind, und das spiegelt sich auch im Personal der dritten Staffel von Twin Peaks wider, wobei auch die ganz bösen auf Personen treffen können, die noch böser sind. So trifft zum Beispiel das Killerpärchen durch Zufall auf einen Mann, der offenbar nur seine Einfahrt freihalten will und die beiden Auftragskiller aus Zorn über ihr „unkooperatives“ Verhalten erschießt. Und auch Cooper wird am Ende, wie gesagt, „realer“, denn weder gibt es jemanden so „pur bösen“ wie den „bösen Cooper“, noch jemanden so „pur guten“ wie den „guten Cooper“, die Aufspaltung in nur Schwarz und nur Weiß ergibt in der Realität keinen Sinn. Das Böse in der Welt ist eine Tatsache, es existiert, aber als Erklärung braucht man nicht unbedingt Transzendenz, irgendwelche „schwarze Hütten“ oder irgendwelche Energiefelder oder irgendwelche „Saaten des Bösen“, wie den Mörder „Bob“, bemühen. Das ist ein wenig wohl auch die Message des letzten Teils der Serie, den ich, wie gesagt, eher als Gedankenexperiment begreife denn als eine gänzliche Aufhebung des vorherigen Geschehens, denn das wäre dann nur eine fatale Irreführung des Zuschauers. Das ganze „Bob“- und „Samen des Bösen“-Motiv wird aber ohnehin schon vorher ein wenig ad absurdum geführt, indem „Bob“ (in der alten Serie von dem bereits verstorbenen Frank Silva gespielt) in Folge 17 von einer Art „Superhelden“, einem Wachmann, der einen seltsamen grünen Handschuh auf einer Hand trägt, zertrümmert und besiegt wird.

Am Ende muss man sagen, dass Twin Peaks: A Limited Event Series weder ein filmischer „Lost Highway“ noch eine „Straight Story“ ist, aber Gott sei Dank auch kein, wie befürchtet, reines Land of Confusion geworden ist, um den Titel eines alten Genesis-Songs zu bemühen, sondern vor allem eins: Ein üppiges Geschenk von Lynch an seine Fans!

Und neben reichlich Kaffee und Kirschkuchen und Donuts gibt es, wie gewohnt, auch jede Menge interessanter Musik. Musik ist ja stets zentral für Lynchs Filme gewesen und Künstler wie Chris Isaak, Julee Cruise oder sogar die deutsche Band Rammstein verdanken ihm eindeutig einen Teil ihres Erfolges. So tummeln sich meist gegen Ende jeder Folge in der „Bang Bang Bar“, auch das „Roadhouse“ genannt, Musik-Acts wie Trent Reznor und seine Band Nine Inch Nails oder wie Pearl Jam-Sänger Eddie Vedder.

Nun, die Eingangsfrage, wer der größte amerikanische Künstler ist, ist gewiss eine Streitfrage, aber wenn am Ende von What is your Name? Laura Palmer jenen finalen Schrei macht, dann fährt einem dieser nicht nur durch Mark und Bein, sondern geht einem auch für Stunden nicht mehr aus dem Kopf, und erinnert einen wieder daran, dass der mittlerweile 72-jährige Lynch zumindest immer noch zu den aufregendsten Filmemachern unserer Zeit gehört. 

 

(Endfassung: 08.04.2018)