ALFRED HITCHCOCK-"BONUS TRACK 2": "REBECCA" (TEILE 2.1 & 2.2)

 

Eins habe ich mich oft gefragt: Weshalb habe ich vor 1937 nie einen Versuch gemacht, nach Amerika zu kommen? Ich frage mich das heute noch. Ich kam andauernd mit Amerikanern zusammen, ich kannte mich aus auf dem New Yorker Stadtplan, ich kannte den Fahrplan der amerikanischen Eisenbahnen – ich ließ mir sämtliche Kataloge von dort schicken, das war meine Lieblingsbeschäftigung. Ich konnte New York genau beschreiben, wo die Theater lagen und die Kaufhäuser. Wenn ich mit Amerikanern sprach, fragten sie mich: `Wann waren Sie zuletzt drüben?` Und ich sagte: `Nie.` Finden Sie das nicht auch seltsam?

Ja und nein. Vielleicht habe ich eine Erklärung. Ihre Liebe und auch Ihr Stolz waren zu groß. Sie wollten nicht als Tourist hingehen. Sie wollten als Filmmann gehen. Sie wollten nicht von sich aus versuchen, dort einen Film zu drehen, sondern man sollte Sie rufen: Kommen Sie doch und machen Sie einen Film. Hollywood or bust!

Das stimmt. Nur hat mich Hollywood als Ort nie besonders angezogen. Was ich wollte, war, in den Studios dort zu arbeiten

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Waren Sie nicht etwas eingeschüchtert, als Sie mit `Rebecca` Ihren ersten amerikanischen Film drehten?

Das kann ich eigentlich nicht sagen, es ist ein britischer Film, vollkommen britisch. Die Geschichte ist englisch, die Schauspieler sind es, ebenso der Regisseur. Eine interessante Frage ist, wie `Rebecca` geworden wäre, wenn es mit derselben Besetzung, aber in England gedreht worden wäre. […]“

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Ich war eine unbedeutende Figur in einer riesigen Filmindustrie, die aus Unternehmen bestand, die die Studios regierten

 

(ZITATE 1: Alfred Hitchcock und François Truffaut sprechen über Hitchcock’s „seltsame“ Liebe zu Amerika; // ZITATE 2: Truffaut und Hitchcock über die Frage, ob Rebecca überhaupt ein „amerikanischer“ Film sei; // ZITAT 3: ein „by the time of `Rebecca`“ niedergeschriebenes Resümee Hitchcocks über seine Anfangszeit als Regisseur in Amerika und unter der „Aufsicht“ von Produzent & Hollywood-Mogul David O. Selznick, dem Hitchcock’s „Approach“, Rebecca mit jenen sehr persönlichen künstlerischen Mitteln zu gestalten, die ihn als Regisseur berühmt gemacht hatten, zuwiderlief)

 

 

 

Hat er `Mord` gesagt?

Ja

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Manche sagen, er sei ein Horrorfilm. Aber das Schreckliche an dem Film ist der Kummer und Verlust und die unglaubliche Traurigkeit

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Sie berührt das Publikum. Nichts daran ist voyeuristisch. Die Sexszene ist keine Sexszene. Das ist die Szene einer Ehe. Das Geheimnis ist nicht, dass man Menschen beim Sex zusieht. Man sieht vielmehr ein Ehepaar, das versucht, eine verlorene oder verschwundene Beziehung wiederzufinden. Etwas Zerbrechliches, Ungreifbares. Etwas, was man kaum zurückgewinnen kann

 

(Dialog (ZITATE 1) in einem venezianischen „Wassertaxi“ angesichts eines „Mord-Alarms in der Lagunenstadt“ zwischen dem „Ehepaar Baxter“ Julie Christie & Donald Sutherland aus Nicolas Roeg’s Wenn die Gondeln Trauer tragen / OT: Don’t Look Now von 1973, der vielleicht besten Daphne-du-Maurier-Verfilmung, in der es ebenfalls, Daphne-du-Maurier-typisch, um die Themen Verlust sowie Trauerarbeit geht, ein Umstand, den auch Donald Sutherland im Rahmen eines Interviews (ZITAT 2) angesprochen hat; zur Story von „Wenn die Gondeln…“, der auf der 1971 erschienenen Erzählung basiert und als britisch-italienische Co-Produktion gilt: Der englische Maler/Kirchenrestaurator John Baxter und seine Frau Laura führen mit ihren „two children“ ein beschauliches Leben, doch eines Tages ertrinkt die kleine Tochter Christine (Sharon Williams) im Gartenteich; das Ehepaar tut in der Folge alles, um den tragischen Schicksalsschlag zu vergessen, und John & Laura reisen nach Venedig, wo John eine Kirche restaurieren soll; dort begegnen ihnen zwei mysteriöse Damen, Schwestern, von denen die eine blind ist und angeblich „supernatural / psychic abilities“, also: übersinnliche Fähigkeiten, besitzen soll; diese „blind sister“ scheint mit der toten Christine „in Kontakt“ zu sein und Laura gerät schließlich in den Sog dieser unheimlichen Visionen; aber auch der anfänglich skeptische John kann sich den Voraussagen der „Frau mit dem 2. Gesicht“ nicht dauerhaft entziehen und verstrickt sich zunehmend mehr in die „tragic consequences“ dieser Prophezeiungen; darüber hinaus wird Venedig aber auch von einer mysteriösen Mordserie heimgesucht; der britische Regisseur Nicolas Roeg (z. B.: 1976: Der Mann, der vom Himmel fiel mit David Bowie) ging bei den Dreharbeiten zu diesem wahrscheinlich „gelungensten aller Venedig-Filme“ mit „Hitchcock’scher Präzision“ vor und herausgekommen ist ein Psychothriller, der durch erlesene Farbgebung, bei der die Farbe Rot (z. B. „Christine’s“ berühmter roter Regenmantel) eine große Rolle spielt, und ausgeklügelte Bildkompositionen besticht; für einen handfesten Skandal sorgte im Übrigen die legendäre Sexszene zwischen Julie Christie & Donald Sutherland, der manche seinerzeit eine „Authentizität“ unterstellen wollten, aber Sutherland hat nicht nur mehrfach betont, wie „un-sexy“ es in Wirklichkeit beim Dreh dieser Szene inmitten „extrem lauter Kameras“ zugegangen ist, sondern auch den schlüssigen „psychologischen Hintergrund“ (ZITAT 3) der in der Tat „virtuos choreografierten“ „sex scene“ deutlich gemacht)

 

 

 

„[…] Und es ist auch der erste Ihrer Filme, der einen an Märchen erinnert. […] Bei den Märchenmotiven sollten wir einen Augenblick bleiben. Man findet sie häufig in Ihren Filmen. Dass es wichtig ist, die Schlüssel zu einem Haus zu besitzen. Der Schrank, den keiner öffnen darf. Das Zimmer, das nie jemand betritt

Das alles war in `Rebecca` ganz bewusst, ja. Es stimmt, die Märchen- und Kindergeschichten sind meistens furchterregend. Zum Beispiel das Grimmsche Märchen von Hänsel und Gretel, das man den kleinen Deutschen erzählt, in dem die beiden Kinder die alte Frau in den Ofen stoßen. Aber ich habe nie daran gedacht, dass meine Filme Märchen gleichen könnten

Ich glaube, das trifft auf sehr viele Ihrer Filme zu, weil Ihre Filme mit der Angst zu tun haben und weil alles, was sich auf die Angst bezieht, auf die Kindheit verweist und auch die Kinderbücher, die Märchen eng gebunden sind an Gefühle, vor allem die Angst

Das könnte sein. […]“

 

(Truffaut will „Hitch“, auch jenseits des „märchenhaften“ Rebecca, zum „Märchenonkel“ stilisieren, und der „Meister der Suspense“ ist sich anscheinend nicht ganz sicher, ob der Franzose damit so absolut richtig liegt)

 

 

Bereits der für Hitchcock’s Verhältnisse relativ simple „Who was the perpetrator?“-Film Riff-Piraten / OT: Jamaica Inn (1939), das letzte Werk des Regisseurs, das in seiner Heimat England entstanden war, basierte auf einem Roman von Daphne du Maurier (1907 – 1989), die, „by the way“, die Tochter des Schauspielers und Hitchcock-Freundes Gerald du Maurier war.

In seine US-Filme sozusagen „mitgenommen“ hat Hitchcock aus seinem „Strandräuberbanden“-Epos mit Charles Laughton als Bösewicht, das an der Küste Cornwalls spielt, wirft man einen genaueren Blick auf die Themen/Motive, zum einen das Thema des Wahnsinns (Laughton spielt einen Mann mit schizophrenen Zügen, dessen Palette von „liebenswürdig“ bis „mörderisch“ reicht) und zum anderen das Motiv der Rettung (Maureen O’Hara wird von ihrem Onkel, der in Wahrheit einer der Anführer der Strandräuber ist, am Ende vor den Piraten gerettet), wobei dieses bei Hitchcock, lässt man den oberflächlichen Thriller-Aspekt mal beiseite, auch oftmals verbunden ist mit der (religiösen) Frage nach der „Rettung der Seele“.

Hitchcock war kein Mann, mit dem man zelten gehen konnte“ (Copyright: David O. Selznick) – im April 1939 trat Alfred Hitchcock ganz offiziell in die Dienste des legendären „Producers“ David O. Selznick, der damals noch mit Vom Winde verweht beschäftigt war, sich aber dennoch um die Verfilmung von Rebecca kümmern wollte, für deren Regie er eben Hitchcock auserwählt hatte, dem er gewillt war, mehr als jedem anderen Regisseur zuvor, gewisse Freiheiten bei der Vorbereitung seines Films zu gewähren.

Zunächst legten Hitchcock, seine Frau Alma sowie Hitchcock’s persönliche Assistentin Joan Harrison („Ursprünglich war Joan Sekretärin und machte Notizen, wenn ich an einem Drehbuch arbeitete […]. Nach und nach bekam sie Routine, machte eigene Vorschläge und wurde so Drehbuchautorin“ – HITCHCOCK zu TRUFFAUT) einen 90-seitigen Entwurf zu Rebecca vor, der, neben exakten Anweisungen für die Handlung und den Dialog, auch genaue Anweisungen zum Standpunkt der Kamera enthielt, was völlig „Hollywood-untypisch“ war, aber eine Vorgehensweise, die Hitchcock in England „kultiviert“ hatte.

Nun, Selznick lehnte den „mit leichtem Humor“ und erfundenen Nebenfiguren versehenen Entwurf (Anm.: Hitchcock hatte unter anderem auch eine „verrückte Großmutter“, die in einem Turm von Manderley lebt, erfunden) radikal ab, da ihm missfiel, was „Hitch“ aus dem „ernsten, melodramatischen, `volkstümlichen`“ Stoff von Daphne du Maurier gemacht hatte (aus den seinerzeitigen Kommentaren von Selznick: „Wir haben `Rebecca` gekauft, und `Rebecca` wollen wir auch drehen, und nicht die verzerrte und vulgarisierte Version eines Werks, das sich doch bereits als erfolgreich erwiesen hat“).

Selznick bestand darauf, dem Buch quasi bis ins kleinste Detail zu folgen (Hitchcock: „Er glaubte, dass bei so vielen Lesern, die jeder ihre Lieblingsszenen im Buch hätten, wir immer jemanden enttäuschen müssten, wenn wir sie nicht alle vollständig verfilmten“), und verlangte nach einem „new treatment“ von einer „new constellation of writers“, die allerdings auch berücksichtigten musste, dass „Maxim de Winter“ im Film nicht, wie das im Roman der Fall ist, mit dem Mord an seiner Frau „ungestraft“ und, angesichts der wenig liebenswerten Persönlichkeitsstruktur von „REBECCA“, „ohne große Schuldgefühle“ davonkommt.

Um dem damaligen „Motion Picture Production Code“ der „Hollywood-Sittenwächter“ vom sogenannten „Hays-Büro“ zu entsprechen, wurde aus „Rebecca de Winter’s“ Tod ein „Unfall“, damit das „Happy End“ zwischen „Maxim“ & „der zweiten Mrs. de Winter“ nicht auf einem „murder“ basierte, der also wie eine Art „Kavaliersdelikt“ behandelt wurde.

Für die Gewährleistung des „richtigen Endes“ engagierte Selznick schließlich den Pulitzer-Preis-gekrönten Dramatiker Robert E. Sherwood (z. B.: 1931: „Reunion in Vienna“ / 1938: „Abe Lincoln in Illinois“), der im Rebecca-Vorspann als Erster genannt wird, von dem aber, glaubt man gewissen Quellen, in Wahrheit der geringste Teil des Drehbuchs stammte. Sherwood war gleichsam nur mehr mit „Aufräumarbeiten“ beschäftigt, während man Michael Hogan, letztendlich, den größten Part des finalen Skripts zu Rebecca zuordnen muss, das dann auch den von mir bereits erwähnten „zweifachen Stimmungswechsel“ innerhalb der Geschichte von Daphne du Maurier berücksichtigte, zwei entscheidende Wendungen sozusagen, wobei sich eben im Rahmen der ersten herausstellt, dass „Rebecca de Winter“ keine „Idealfigur“ war und darüber hinaus von „Maxim“ auch nie geliebt wurde, und im Rahmen der zweiten ans Tagelicht kommt, dass „Rebecca“ nicht schwanger war, sondern krebskrank.

 

Actor“ Donald Sutherland hat einmal im Zusammenhang mit Wenn die Gondeln Trauer tragen und seiner von ihm wegen ihrer „Natürlichkeit“ und „Perfektion“ sehr geschätzten „makellosen“ Filmpartnerin Julie Christie eine „Story“ über die britische Schauspielerin Sybil Thorndike (1882 – 1976) erwähnt, die in Laurence Olivier’s Regiearbeit Der Prinz und die Tänzerin / OT: The Prince and the Showgirl (1957) als „Königinwitwe“ and der Seite des „Showgirls“ Marilyn Monroe und des „Prinzen / Großherzogs“ Laurence Olivier zu sehen war. Thorndike versuchte nämlich, die Monroe gegenüber Olivier schlecht zu machen, aber als Olivier Thorndike bei der Arbeit sah, schüttelte er nur den Kopf, denn er wusste, dass die Monroe mit ihrer großartigen „naturalness“ und der ihr eigenen Form von „perfection“ einfach „without a flaw“ war und Sybil Thorndike neben ihr verblasste.

Well“, auch Joan Fontaine, definitiv eine meiner „Lieblings-Hitchcock-Frauen“, vor allem wegen Verdacht mit Cary Grant, hatte es bei den Dreharbeiten zu Rebecca, die im September 1939 starteten, in der Rolle des „namenlosen Aschenbrödels“ auch nicht ganz leicht an der Seite des „englischen Lords“ Olivier, denn Olivier hätte, wie bereits in Teil 1 von mir erwähnt, viel lieber mit seiner Lebenspartnerin Vivien Leigh gedreht.

Fontaine (1917 – 2013), neben „Mrs. Van Hopper“ Florence Bates die einzige Amerikanerin innerhalb der „Cast“, war damals keine 22 und die „big role“ machte sie sichtlich nervös, aber „im Rückspiegel betrachtet“ hat Fontaine ihre damalige Unerfahrenheit als „Vorteil“ bezeichnet (Fontaine: „Mein Vorteil war, dass ich relativ unbekannt war. Hitchcock pflegte mich in sein Büro zu bestellen, und wir redeten über Gott und die Welt. Ich glaube, in der Gesellschaft all der anderen berühmten Bühnenstars fühlte er sich eher unwohl. […]“).

Es ist dokumentiert, dass Hitchcock sehr viel Sorgfalt aufgebracht hat, um aus Fontaine die gewünschte Leistung herauszuholen, allerdings machte sich „der Mentor“ Hitchcock Fontaine’s Unsicherheit auch zunutze und „speiste“ diese durch diverse Fragen wie „Hast du schon gehört, was Soundso über dich gesagt hat?“ oder „Weißt du schon, dass Olivier nicht will, dass du diese Rolle spielst?“.

In letzter Konsequenz führte dies dazu, dass am Ende des Films sozusagen „jeder etwas gegen jeden hatte“, aber Fontaine musste auch zugeben, dass durch Hitchcock’s Vorgehensweise vor allem in ihre Szenen mit Olivier sehr viel von den Spannungen zwischen den „actors“ floss, was ihrer Rolle, in der sie ja vor allem „schreckliche Angst“ haben sollte, irgendwie geholfen hat.

Ein ganz anderes Problem bei den Dreharbeiten zu Rebecca, der letztendlich, bei Produktionskosten von 1,9 Millionen USD (heutzutage über 41 Millionen USD), mit einem Einspielergebnis von rund 6 Millionen USD (über 132 Millionen USD „today“) ein Kassenschlager werden sollte , war das sich zunehmend verschlechternde Verhältnis zwischen den zwei brillanten Köpfen hinter der Kamera, nämlich zwischen dem „extrovertierten & temperamentvollen“ Selznick und dem „geheimniskrämerischen & mit seinen Gefühlen nach außen hin zurückhaltend agierenden“ Hitchcock, denn aus Hitchcock’s Warte mischte sich der „Erfolgs-Produzent“ zu sehr ein, obwohl man dem „director“ versicherte, dass Selznick das vergleichsweise weniger tat als bei anderen Produktionen und Regisseuren.

Schon bald war sich Hitchcock sicher, dass das „ein Selznick-Film“ wird, und auch retrospektiv hat „Hitch“ den aus seiner Sicht noch dazu „altmodisch“ daherkommenden Rebecca stets als „Nicht-Hitchcock-Film“ betrachtet („Das ist kein Hitchcockfilm. Es ist eine Art Märchen, und die Geschichte gehört ins ausgehende neunzehnte Jahrhundert“ – HITCHCOCK zu TRUFFAUT).

 

 

 

 

 

 

 

Was ist Ihnen denn in Erinnerung geblieben von der Séance?

In kurzen Worten?

Ich bitte darum

„[…] Vor etwa 40 Jahren haben Sie arrangiert, dass das Baby Ihrer Schwester Harriet an Unbekannte fortgegeben wurde, und nun empfehlen Ihnen Ihre schlechten Träume und Ihr Gewissen, die inzwischen erwachsene Person zu suchen, in die Familie aufzunehmen und ihr das Vermögen zu vermachen

Ausgezeichnet

Danke

 

(aus: Familiengrab; „Post-Séance-Dialog“ um einen „vermissten Erben“ zwischen der „wohlhabenden alten Dame Julia Rainbird“ Cathleen Nesbitt & dem „Medium“ „Madame Blanche“ Barbara Harris, die in Wahrheit eine Hochstaplerin ist)

 

 

 

So sieht das Ende der Geschichte aus

 

(aus: Familiengrab; ein im Nachhinein „visionär anmutender Satz“, gesprochen von „George“ Bruce Dern zu „Blanche“ Barbara Harris in einem Auto, kurz bevor, aufgrund eines „Sabotageaktes“, die Bremsflüssigkeit auszurinnen beginnt, was in der Folge zu einem „wild ride“ ohne jegliche Kontrolle über das Fahrzeug führt, bei dem das Paar zahlreichen Autos, Motorrädern etc. ausweichen muss; auffällig bei dieser Szene, die in gewisser Weise den „komödiantischen Höhepunkt“ von Hitchcock’s „Last Movie“ bildet, ist „Hitch’s“ intensiver Einsatz der subjektiven Kamera)

 

 

Rebecca, der es viele Jahre später, 2006, bekanntlich auch zu „Musical-Ehren“ geschafft hat, was im Grunde, mag man zu Musicals stehen, wie man will, die ultimative Bestätigung für die Popularität eines Stoffes oder für die Bedeutsamkeit bestimmter Bands & Persönlichkeiten (z. B.: Queen / Falco / Tina Turner / The Beatles / Bee Gees) ist, stand also ganz am Anfang von Hitchcock’s Regie-Karriere in den USA und fügt sich heutzutage, auch wenn der „Master of Suspense“ das eben ein wenig anders sah, fast nahtlos ins Gesamtwerk des Briten ein, und sicherlich wird niemand den Film als „Selznick-Klassiker“, sondern stets als „Hitchcock-Klassiker“ bezeichnen.

Am Ende seiner US-Regie-Karriere stand dann „Hitch’s“ 53. und letzter Film Familiengrab / OT: „Family Plot“ (1976), zu dem Ernest Lehman, der Autor eines der unterhaltsamsten Hitchcock-Werke, nämlich Der unsichtbare Dritte, das Drehbuch schrieb, wobei die „black comedy“, in der sich die Wege von zwei merkwürdigen Paaren aus zwei unterschiedlichen „sozialen Sphären“ treffen, auf dem Roman „The Rainbird Pattern“ (1972) des britischen Autors Victor Canning basiert.

Zur Story: Blanche Tyler (Harris), die sich mit spiritistischen Sitzungen ihren Lebensunterhalt verdient oder sagen wir besser: ergaunert, hat eine neue, reiche Klientin namens Julia Rainbird, die Ende 70 ist und von Schuldgefühlen geplagt wird. Rainbird möchte ihr Vermögen ihrem Neffen vermachen, der einst ein „illegitimes“ Kind ihrer Schwester war, welches sie aus Angst um den Verlust des „guten Namens“ der Familie aus dem Haus geschafft hat, um es zu Pflegeeltern zu bringen. Das „Medium“ Blanche soll 10.000$ erhalten, wenn sie den Aufenthaltsort des „vermissten Erben“ herausfindet. Blanche und ihr Freund, der Taxifahrer George Lumley (Dern), der von einer Schauspielkarriere träumt, die sich kaum erfüllen wird, benötigen das Geld dringend. Das zweite Paar stellen der Juwelenhändler Arthur Adamson (William Devane) und sein „girlfriend“ Fran (Karen Black) dar, die prominente „victims“ entführen und diese dann im Rahmen ausgeklügelter Übergabemodalitäten gegen „unusual diamonds“ austauschen. Im Laufe der Handlung kreuzen sich die „Lebenswege“ der beiden „couples“, denn der Diamantenhändler & Kidnapper Arthur ist, unwissentlich, dieser Millionenerbe, nach dem Blanche & George suchen sollen. Arthur & Fran wiederum, die nichts von der „unerwarteten Erbschaft“ wissen, fühlen sich von dem Duo Blanche/George verfolgt und versuchen es, aus dem Weg zu räumen. Letztendlich bekommen die „kleinen Gauner“ ein Bild von den Machenschaften der „großen Gauner“ und Blanche gerät sogar in die Fänge der geübten Kidnapper, doch diese tappen am Ende in ihre eigene Falle, indem sie in jenem Raum enden, in welchen sie ihre Opfer einsperren. Der Sieg zum Schluss gehört, wenn man so will, also den „kleinen Leuten“.

Der Original-Titel „Family Plot“ kann tatsächlich „Familiengrab“ heißen, aber auch eine „Familien-Intrige“ bezeichnen. So ist „Arthur“ William Devane quasi als Kind, dank seiner Tante Julia, Opfer einer „intrigue“ geworden, während er selbst seine Pflegeeltern auf der Basis eines „ingenious plan“ in ein Familiengrab gebracht hat, in dem er zunächst auch von „George“ Bruce Dern vermutet wird, bevor dieser im Rahmen seiner „investigations“ sämtliche „connections and relationships“ durchschaut.

In Hitchcock’s „final film“ finden sich wiederum jene Themen und Motive, sie ihn sein ganzes Künstlerleben hindurch begleitet haben. Schon zu Beginn wird man, wie aus dem Zitat oben hervorgeht, Zeuge einer spiritistischen Sitzung zwischen „Madame Blanche“ & „Julia Rainbird“, in der „die Macht der Toten“ sowie „die Macht der Vergangenheit“ heraufbeschworen wird, also etwas, was man zum Beispiel aus Rebecca oder aus Vertigo – Aus dem Reich der Toten kennt.

Besonders bemerkenswert ist die Figur der „FRAN“, denn sie steht für die Verbindung zwischen Verbrechen & Sexualität, die man bei Hitchcock aus Werken wie Über den Dächern von Nizza, Psycho und Marnie kennt, und „Fran“, die während der Übergaben oftmals „verkleidet“ ist, etwa mit einer blonden Perücke und mit einem schwarzen Hut, gerät nahezu in „sexuelle Erregung“, wenn „ARTHUR“ ihr seine Pläne erläutert. Und „Arthur“ selbst empfindet ebenfalls „Lust“ in Verbindung mit funkelnden Juwelen, ein Umstand, den man natürlich auch aus Über den Dächern von Nizza oder im Zusammenhang mit Tallulah Bankhead aus dem Rettungsboot-Movie „Lifeboat“ (OT; 1944) kennt.

Familiengrab kam im Sommer 1976 in die Kinos und das Werk wirkt, man muss es leider zugeben, inmitten des nun wahrlich „aufregenden“ 70er-Jahre-Hollywood-Kinos, inmitten von Filmen wie Steven Spielberg’s Tier-Horror Der weiße Hai (1975), dem „psychologischen Drama“ Einer flog über das Kuckucksnest (1975) mit Jack Nicholson, der Watergate-Skandal-Aufarbeitung Die Unbestechlichen (1976) mit Robert Redford & Dustin Hoffman, dem radikalen „psychologischen Thriller“ Taxi Driver (1976) von Martin Scorsese, der Mediensatire Network (1976) von Sidney Lumet oder dem Thriller Der Marathon-Mann (1976) mit Dustin Hoffman & Laurence Olivier, eher „leicht antiquiert“ und hat meines Erachtens manchmal sogar eine Optik, die an die Columbo-TV-Krimis der 70er-Jahre erinnert.

Dennoch wurde „Family Plot“ samt der schauspielerischen Leistungen darin, und tatsächlich sind vor allem die „acting performances“ von Bruce Dern & Barbara Harris überzeugend, von der Kritik durchaus wohlwollend aufgenommen, beim Publikum fiel die „Entführungs-Action mit Humor“ aber durch. Truffaut hat das damalige Wohlwollen der Presse auf die Tatsache zurückgeführt, dass die „Legende“ Hitchcock mit 76 Jahren seinerzeit bereits so etwas wie „kritische Immunität“ besaß.

Wie auch immer: Hitchcock letzter Cameo-Auftritt gehört zu meinen persönlichen Favoriten im Bereich dieser Hitchcock-Gastauftritte im eigenen Film, denn in Familiengrab ist „Hitch‘s“ Silhouette hinter einer Glastür zu sehen, auf der „Registratur für Geburten und Todesfälle“ steht.

 

 

 

(ENDE der TEILE 2.1 & 2.2; Fassungen vom 28.02.2024 & 01.03.2024)