Ausschnitt aus "NO PULP IN THE FICTION" (Buch; 2020): Kapitel "JACKIE BROWN" (Teil 3.2 & Teil 4[von 4])

 

MELANIE

Scheiße, ihr beiden seid wirklich die größten Wichser, die mir je in meinem Leben untergekommen sind!

 

(aus: Jackie Brown; „Melanie Ralston“ Bridget Fonda zu „Louis Gara“, kurz bevor Gara sie dann auf dem Parkplatz der Del Amo Mall erschießt; mit „ihr beiden“ sind natürlich Gara & Robbie gemeint; laut Skript sagt Melanie: „Jesus, but if you two aren’t the biggest fuck-ups I’ve ever seen in my life.“)

 

 

 

Er ist seltsam enzyklopädisch, auf gute Weise

&

Michael Keaton tat mir einen Gefallen, indem er in `Jackie Brown` mitspielte

&

Ich behandle Schauspieler wie Stars und Stars wie Schauspieler

 

(Zitat 1: Der „Ray Nicolet/Nicolette“-Darsteller Michael Keaton über Quentin Tarantino in „Jackie Brown – How It Went Down“ - Anm.: In dem bei faber & faber erstmals 1998 erschienenen QT-Skript von Jackie Brown wird „Ray Nicolette“ noch als „Ray Nicolet“ angeführt; Zitat 2: QT über Michael Keaton in „Ein Blick auf Jackie Brown“; Zitat 3: QT’s Kredo bezüglich „Stars & Schauspieler“)

 

  

 

Samuel L. Jackson bezeichnet die Rolle des „Ordell Robbie“, für die er auch im Februar 1998 beim „Berlin International Film Festival“ den Silbernen Bären als „Bester Darsteller“ erhalten hat, als eine seiner Lieblingsrollen. 

Ein besonderes -zusätzliches- Highlight für Jackson war natürlich auch der Umstand, mit Filmlegende & Jahrhundertschauspieler Robert De Niro arbeiten zu können, was dazu führte, dass Jackson, laute Eigenaussage (Quelle: „Jackie Brown - How It Went Down“), bei aller schauspielerischer Professionalität, die ein „Abtauchen“ in die Rolle von ihm verlangt, bei allen Szenen und vor allem bei jener im „Cockatoo Inn“, immer folgenden Gedanken im Hinterkopf hatte: „Das ist Robert De Niro, ich werde eine Szene mit Robert De Niro drehen!“.

Für die Rolle des „Louis Gara“, des Ex-Häftlings (RAY NICOLETTE - zu Jackie Brown bei einem gemeinsamen Essen: „Der Typ heißt Louis Gara. Hat gerade vier Jahre in Susanville abgesessen. […] Banküberfall“) mit dem „Salvation Army“- bzw. „Gammler“-Look (LOUIS – in Richtung Ordell & Melanie, nachdem er von Ordell neu eingekleidet wurde und der angebliche „Gammler-Look der Vergangenheit angehört: „I didn’t look like a bum“), war kurze Zeit auch Action-Ikone Sylvester Stallone im Gespräch gewesen, der sich seinerzeit ebenfalls ein „Travolta-artiges“ Comeback herbeisehnte (Anmerkung: Stallone hatte, gleichsam im Rahmen eines „Comeback-Versuchs in einem Independent-Film“, 1997 ebenfalls mit De Niro vor der Kamera gestanden, nämlich in James Mangold’s sehenswertem Polizei-Thriller Cop Land).

Tarantino und der Jackie Brown-Produzent Lawrence Bender waren sich anfangs nicht sicher, ob Robert De Niro (Filmographie-Highlight in jüngerer Vergangenheit: Joker von Todd Phillips mit Joaquin Phoenix aus 2019) die Rolle überhaupt annehmen würde, aber im Nachhinein muss man sagen: De Niro’s Leistung in Jackie Brown ist eine seiner besten in den gesamten 90er-Jahren (der „Louis Gara“-Erfinder Elmore Leonard über De Niro: „Ich fand es toll, wie De Niro die Rolle spielte“).

De Niro verkörpert Gara „sehr subtil und sehr lustig“ (QT) und vom ersten Augenblick an weiß man sozusagen, wer dieser ständig „halb zuhörende, halb schlafende“ und nach seinem Gefängnisaufenthalt quasi „die Welt neu entdeckende“ Partner-in-Crime von Ordell ist. 

De Niro’s Performance ist auch deswegen so gelungen und besonders bemerkenswert, weil „Louis“, der ja, genau genommen, in Jackie Brown erst in der Del Amo Mall und bei der Geldübergabe eine richtige „Plot-Funktion“ erhält, an sich ein „inwendiger Charakter“ (Copyright: Tarantino) ist, welcher zwar einige „funny lines“ im Film hat, aber grundsätzlich durch Körpersprache charakterisiert werden muss.

Insofern muss man die Art, wie De Niro die eingeschränkte „body language“, den verlangsamten „thought process“ und das zerstörte „timing“ von Gara greifbar macht, wirklich, auch wenn das in Bezug auf De Niro fast wie eine „Plattitüde“ klingt und ich das Wort bereits im Rahmen der Zusammenfassung des Jackie Brown-Plots bemüht habe, als kongenial bezeichnen.

 

Aus einer wahrlich „legendary & famous“ Filmschauspieler-Familie stammt Bridget Fonda (Vater: Peter Fonda – Tante: Jane Fonda – Großvater: Henry Fonda), die in Jackie Brown das Drogen-geneigte und schließlich von Louis Gara (in einer -für Tarantino’s Verhältnisse- auffällig „unexplizit“ geratenen Szene) erschossene „blonde, California beach bunny“ Melanie Ralston spielt - eine Figur, die im Grunde diejenige in Tarantino’s Film ist, die am meisten „der Hauch der Tragik“ umweht, denn: Ralston hat einen ganz bestimmten Background, den QT auf den ersten Seiten seines Skripts relativ umfangreich beschreibt (aus den QT-Ausführungen bezüglich „Melanie“, die offenbar eine Art „Globetrotterin“ war und sich dabei sozusagen stets von Männern hat „aushalten“ lassen: „In her prime (twenty-two) it was Japanese industrialists, film production guys, and Middle Eastern businessmen who kept Melanie. And it was places like the Bahamas, Acapulco, and the Virgin Islands where they kept her. But now, at thirty-three, she lives in an apartment in Hermosa Beach, California, that Ordell pays for and drops in and out of“).

Fonda (Jahrgang 1964), die einst ihren Durchbruch als Schauspielerin 1992 in dem Psychothriller Weiblich, ledig, jung sucht... (Single White Female; Regie: Barbet Schroeder; Co-Star: Jennifer Jason Leigh) feierte und sich 2003, nach ihrer Eheschließung mit dem Filmkomponisten Danny Elfman (z. B.: 1989: Batman; 1999: Sleepy Hollow; Titelmelodie der TV-Serie Die Simpsons), weitgehend von der Schauspielerei zurückgezogen hat, ist eng mit Tarantino befreundet - und dieser riet ihr im Vorfeld von Jackie Brown, um gleichsam in die „pulp fiction of Elmore Leonard“ einzutauchen, dessen Roman The Switch von 1978 zu lesen, da dies das erste Buch ist, in dem die „small time crooks[Gauner, Ganoven]“ Ordell Robbie & Louis Gara sowie das „globetrotting surfer girl“ Melanie Ralston vorkommen (Anmerkung: In Rum Punch von 1992 kam es dann also zu einer Art „Reunion“ des Trios).

Wichtig war QT, laut Eigenaussage (Quelle: „Jackie Brown – How It Went Down“), vor allem auch der Surfer Girl-Look der sich gleichsam in einem Netz von diversen Abhängigkeiten befindenden „Melanie“ (QT-Skript: „She’s dressed in her Melanie-uniform of stringy Levi’s cutoffs and a stringy bra top“; stringy: hier im Sinne von „knapp“ verwendet).

Das erste Mal so richtig „augenscheinlich“ wird in Jackie Brown aber auch Tarantino’s mittlerweile berüchtigter Fußfetischismus, denn er lässt seinen aus Mexiko stammenden Kameramann Guillermo Navarro (Highlights.: Desperado & From Dusk Till Dawn von Robert Rodriguez; Pans Labyrinth von Guillermo del Toro aus 2006) immer wieder auch Bridget Fonda’s nackte Füße in einer Großaufnahme zeigen - und tut damit also etwas, was er dann 10 Jahre später in der B- & Exploitation-Film-Hommage Death Proof – Todsicher mit dem dortigen Schauspielerinnen-Ensemble rund um Rosario Dawson vielleicht ein wenig „überstrapaziert“ hat.

 

Der vielleicht sympathischste Batman-Darsteller aller Zeiten, nämlich Michael Keaton, der den Comic-Helden im Fledermauskostüm in den beiden Tim Burton-Filmen Batman (1989) & Batman‘s Rückkehr (1992; Batman Returns) verkörperte, spielt in Jackie Brown den ATF [„Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives“]-Agenten „Ray Nicolet/Nicolette“ (Lawrence Bender über „Michael Keaton playing Ray Nicolette“: „Er nahm die kleine Rolle an und machte sie interessant“; Elmore Leonard, zitiert nach QT in „Ein Blick auf Jackie Brown“, über das Casting von Keaton: „Mein Gott, Michael Keaton ist Nicolette? Fantastisches Casting! Das ist toll!“).

Wie „Ordell, Louis & Melanie“, die eben in The Switch und in Rum Punch vorkommen, ist Nicolette ein „character“, den Leonard in mehr als nur in einem seiner Bücher hat auftreten lassen, denn er hat einen „big part“ in Rum Punch und einen „small part“ in Out of Sight (1996). Damit Nicolette auch in der Verfilmung von Out of Sight (1998; Regie: Steven Soderbergh; mit George Clooney & Jennifer Lopez) präsent sein konnte, wo er dann -im Endeffekt- auch tatsächlich als FBI-Agent aufgetaucht ist, hätten Universal Pictures, die zu einem völlig anderen Firmen-Konglomerat als Miramax gehörten, die Rechte an der Nicolette-Figur Miramax Films abkaufen müssen – allerdings war Tarantino dagegen und verlangte ausdrücklich kein Geld für die Verwendung von Nicolette in der Out of Sight-Leinwandadaption.

QT’s „grünes Licht“ in Bezug auf „Ray Nicolette“ ermöglichte ein filmgeschichtliches Novum, denn noch nie hatte ein & derselbe Schauspieler für zwei verschiedene Studios ein & dieselbe Figur zweimal gespielt, noch dazu in so kurzer Zeit hintereinander (zwischen den US-Premieren von Jackie Brown & Out of Sight lagen nur rund 6 Monate).

Dabei wollte Keaton (dem 2014, im Alter von 63 Jahren, nach einigen eher „zähen“ Jahren im Filmgeschäft, mit der 4-fach Oscar-prämierten „black comedy“ Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) von Alejandro González Iñárritu eine Art Comeback gelang, für das auch Keaton selbst mit einer Oscar-Nominierung bedacht wurde) die „Ray Nicolette“-Rolle, also die Rolle jenes „young plainclothes cop[s]“ (QT-Skript; plainclothes: in Zivil), der sich gewissermaßen einbildet, ein „Vertrauensverhältnis“ zu der Stewardess & Geldbotin Jackie Brown zu haben, gar nicht spielen, denn laut Tarantino, dessen „Überredungskünste“ also bei Keaton gefragt waren, gab der Schauspieler ihm gegenüber zunächst vor, die Figur und ihre Motivation (MAX zu JACKIE bezüglich RAY NICOLETTE – in der Mall: „Er ist nur einer von den Jungs, die gern Bulle sind. […] Er interessiert sich mehr für Ordell als für das Geld“) nicht wirklich zu verstehen (QT: „Darum versuchte er mich zu überzeugen, er wäre nicht der Richtige dafür“).

 

 

 

 

 

Bang bang, he shot me down

Bang bang, I hit the ground

Bang bang, that awful sound

Bang bang, my baby shot me down

 

(aus dem Song „Bang Bang (My Baby Shot Me Down)“ von Nancy Sinatra aus 1966, mit dem die Titelsequenz von Kill Bill Vol. 1 unterlegt ist)

 

 

Nun, wäre Tarantino’s Pulp Fiction-Nachfolger Jackie Brown ein wenig so wie das actionreiche, spektakuläre und teilweise natürlich weit plakativere zweiteilige Revenge-Movie-Epos Kill Bill geworden, dann hätte QT’s Elmore Leonard-Verfilmung wahrscheinlich das Dreifache von dem eingespielt, was letztendlich am Box Office lukriert wurde, denn Produktionskosten von circa 12 Millionen US-Dollar stehen bei Jackie Brown Einnahmen von über 74 Millionen US-Dollar gegenüber.

Ein Großteil des jüngeren Publikums empfand Jackie Brown, der seine US-Premiere am 25. Dezember 1997 feierte, als „too slow“ und Tarantino spricht in der Interview-Session „Ein Blick auf Jackie Brown“ davon, dass ihm beispielsweise jüngere Afroamerikaner oftmals mitgeteilt hätten, dass ihre Eltern den Film gut fänden, sie selbst jedoch vor allem auch mit der Liebesgeschichte zwischen Pam Grier & Robert Forster, die nun mal einer der zentralen Punkte in Jackie Brown ist, nicht allzu viel hätten anfangen können.

Gelobt von der internationalen Kritik wurde tendenziell die „akribische Charakterzeichnung“ des Werks, wobei jedoch oftmals betont wurde, dass Tarantino dabei ein wenig „die Entwicklung der Handlung“ vernachlässigt hätte.

Auf der 500 Greatest Movies of All Time-Liste des Empire-Magazines von 2008 belegte Jackie Brown Rang 215 (Reservoir Dogs & Pulp Fiction landeten in den Top 100 und auf den Rängen 97 bzw. 9).

Kontroversiell wurde abermals die oftmalige Verwendung des „N-Wortes“ in Jackie Brown diskutiert, denn dieses kommt „throughout the film“ ganze 38 Mal vor, was im Werk von Tarantino bisher nur von den beiden Western Django Unchained und The Hateful Eight übertroffen wurde, wobei Django Unchained mit 110 Verwendungen der problematischen „racial slur“, der rassistischen Beleidigung, vorerst „uneinholbar“ scheint.

Besonders hervorgetan in der „n-word-controversy“ in Bezug auf Jackie Brown hatte sich seinerzeit vor allem Star-Regisseur Spike Lee, unter dessen Regie auch Samuel L. Jackson in New Black Cinema-Meilensteinen wie Do the Right Thing (1989), Mo‘ Better Blues (1990) und Jungle Fever (1991) agiert hatte.

Lee kritisierte Tarantino für den „excessive use“ und gab zu, damit und auch mit der damit einhergehenden „Attitüde“ von QT, sozusagen „der bessere Schwarze“ sein zu wollen, ein Problem zu haben (Spike Lee in Richtung Tarantino: „What does he want to be made – an honorary black man? […] I want Quentin to know that all African-Americans do not think that word is trendy […]“). 

In die Bresche für Tarantino, sowohl damals bei dem „Jackie Brown-n-word-battle“ (so wurde dieser in den 90ern tatsächlich bezeichnet) zwischen Spike Lee und Tarantino als auch später bei ähnlichen Diskussionen im Zusammenhang mit Django Unchained & The Hateful Eight, sprang wiederum Samuel L. Jackson, der meinte, dass es absurd wäre, QT gar einen „Rassisten“ oder dergleichen zu nennen, da die „N-Word“-Verwendung, sei es in Jackie Brown oder in den beiden Western, nun mal einem gewissen „Realismus“ geschuldet wäre (Samuel L. Jackson: „I grew up in the South. I heard `N*****`all my life“).

 

 

 

EPILOG

 

Jackie Brown ist so etwas wie mein persönlicher „2nd-favorite“ Tarantino-Film und hat auf dem „Podium“ Gesellschaft von meinem absoluten persönlichen Favoriten Pulp Fiction, aber auch von Reservoir Dogs – Wilde Hunde.

Der Jackie Brown-Soundtrack hingegen ist mein „QT-Film-Lieblings-Soundtrack“, denn die darauf versammelten Songs, sei es Bobby Womack’s „Across 110th Street“, Bill Withers‘ „Who Is He (And What Is He To You?)“ oder Randy Crawford’s „Street Life“, bilden einen wahrlich eleganten musikalischen Background für einen äußerst eleganten Film.

Tarantino hat ja in einem Interview gemeint, er wollte in Jackie Brown so etwas wie „große Abhänge-Momente“ schaffen, und das nach dem diesbezüglichen Vorbild von Howard Hawks‘ Edel-Western Rio Bravo (1959).

Nun, ich weiß nicht, ob „Jackie Brown“ Pam Grier, „Ordell Robbie“ Samuel L. Jackson, „Max Cherry“ Robert Forster, „Louis Gara“ Robert De Niro und „Melanie Ralston“ Bridget Fonda wirklich irgendwas mit „Sheriff John T. Chance“ John Wayne, „Dude“ Dean Martin, „Colorado Ryan“ Ricky Nelson, „Feathers“ Angie Dickinson oder „Stumpy“ Walter Brennan zu tun haben, aber Tarantino schafft es auf jeden Fall, einen wirklich perfekten „Western-Moment“ in Jackie Brown zu kreieren, indem er seinem -von Soul-Musik dominierten- Soundtrack einen Song von Country-Musik-Ikone & Musik-Legende Johnny Cash hinzugefügt hat, den sich Ordell Robbie im Auto anhört, als er vor Jackie Brown’s Apartment wartet, um Brown zu töten.

 

 

 

Had some trouble with my sweetheart’s Pa

One of her brothers was a bad outlaw

I wrote a letter to my uncle Spud

And I rode away on the Tennessee stud

The Tennessee stud was long and lean

The color of the sun and his eyes where green

He had the nerve and he had the blood

There never was a horse like Tennessee stud 

 

(aus „Tennessee Stud“ von Johnny Cash)

 

 

 

 

(ENDE von TEIL 3.2 & 4 - Neu überarbeitete Fassung; Ur-Fassung: 24.05.2020)