NO PULP IN THE FICTION: "2"                                          Kapitel "INGLOURIOUS BASTERDS" (TEILE 3.2 & 4 & ENDE)

 

Er stirbt, ohne zu wissen, wer Sie sind. Die Tochter eines Attentäters. Die Einzige, die ihn hätte verstehen können. Ein Jammer

 

(Aussage von „Ernst Stavro Blofeld“ Christoph Waltz in dem James Bond-Film Spectre – getätigt während der Folterszene, in welcher der SPECTRE-Chef Blofeld „James Bond“ Daniel Craig mit der Hilfe eines Minibohrers einen „spot in the gyrus fusiform“ anbohren will (was bei 007 zu einem „Verlust der Gesichtserkennung“ führen soll), und sozusagen gerichtet an seinen früheren Inglourious Basterds-Co-Star Léa Seydoux, die als „007’s spätere Freundin Madeleine Swann“ dem Ganzen beiwohnt; - dank Quentin Tarantino und der „HANS LANDA“-Rolle in INGLOURIOUS BASTERDS gelang Waltz bekanntlich der Sprung aus dem „europäischen Film-Nirvana“ nach Hollywood)

 

 

 

The key to Col. Landa’s power and/or charm, depending on the side one’s on, lies in his ability to convince you he’s privy to your secrets

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Ich bin Detektiv, ein verdammt guter Detektiv. Leute finden ist meine Spezialität und was lag da näher, als für die Nazis Leute zu finden. Ja, darunter waren auch einige Juden, aber `Juden-Jäger` is‘ nur ein Name, der anhaftet. […] Haben Sie Einfluss auf die Spitznamen, die der Feind Ihnen gibt?

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Es ist eine fantastische Rolle, aber nur ein fantastischer Schauspieler konnte sie mit allen Facetten spielen

 

(Zitat 1: Drehbuch-Passage, die sich auf Landa’s „Verhörqualitäten“ bezieht und im Skript Teil der „Verhörszene im Maxim‘s“ zwischen „Col. Landa“ & „Shosanna Dreyfus / Emmanuelle Mimieux“ ist; to convince: überzeugen; privy: eingeweiht; // Zitat 2: „COL. LANDA“ Christoph Waltz zu „LT. ALDO“ Brad Pitt über sein „Selbstverständnis“ als „Detektiv“ und über den mangelnden Einfluss auf „die Vergabe von Spitznamen“; // Zitat 3: „Brad Pitt on Christoph Waltz“ in „Diskussion am Runden Tisch mit Quentin Tarantino, Brad Pitt und Elvis Mitchell“; - Waltz erhielt für den Part des SS-Colonels, unter anderem, bei den Filmfestspielen in Cannes den „Best Actor Award“ sowie dann in der Folge den Golden Globe und den Oscar in der Kategorie „Best Supporting Actor“; das Kunststück, sowohl einen Golden Globe als auch einen Oscar als bester Nebendarsteller zu gewinnen, gelang Waltz bekannterweise dann sogar noch einmal, nämlich mit seiner Rolle des Zahnarztes, Kopfgeldjägers & Sklavenbefreiers „DR. KING SCHULTZ“ in DJANGO UNCHAINED von 2012)

 

 

 

Er zog zum ersten Mal eine Nazi-Uniform an, weil er wusste, er würde Nazis töten

 

(QT über den „HUGO STIGLITZ“-Darsteller Til Schweiger, der in gewisser Weise innerhalb der deutschsprachigen Besetzung von INGLOURIOUS BASTERDS eine Ausnahme darstellte, weil er, eben im Gegensatz zu seinen Kollegen, die daran quasi durch diverse deutsche Filmprojekte gewöhnt waren, zuvor noch nie eine Nazi-Uniform in einem „German Nazi film“ getragen hatte; Quelle: „Diskussion am Runden Tisch mit Quentin Tarantino, Brad Pitt und Elvis Mitchell“)

 

 

 

In Stanley Kubrick’s „angriffslustiger“ 1964er-Kalter Krieg-Satire Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb) sagt, gegen Ende des Films, der von Peter Sellers so kongenial gespielte „deutsche Wissenschaftler im Rollstuhl mit eindeutiger Tendenz, den rechten Arm immer wieder zum Hitlergruß zu heben“ sowie Berater der US-Regierung „Dr. Seltsam“, als er einem illustren Kreis rund um den (wiederum von Sellers selbst gespielten) US-Präsidenten eine Art „Zuchtprogramm mit polygynen Lebensgemeinschaften“ vorschlägt, die Sätze „Das wäre nicht schwierig, mein Führer […], Verzeihung, Mr. President“ und schließlich eben, nachdem er sich auch noch „wundersam“ aus seinem Rollstuhl erhoben hat, „Mein Führer, ich kann wieder gehen!“.

Nun, „LT. ALDO“ und „PRIVATE UTIVICH“ verhindern am Ende von INGLOURIOUS BASTERDS, dass „Oberst Hans Landa“, der von den beiden zu einem „SWASTIKA FOREHEAD“ (Ausdruck im QT-Skript für die von den „Basterds“ mit einem Hakenkreuz „markierten“ deutschen Soldaten) gemacht wurde, sozusagen als „Neo-US-Bürger & Congressional Medal of Honor-Träger“ in seiner „Wahlheimat“ USA gleichsam „neu durchstarten“ kann oder womöglich, wie Kubrick’s ominöser „Dr. Strangelove“, sogar irgendwann im Dunstkreis der US-Politik als „Berater“ auftaucht.

Glaubt man Diane Kruger, so hat Tarantino im Zusammenhang mit Christoph Waltz gemeint, dem innerhalb der „multilingualen Besetzung“ des Films klarerweise eine zentrale Rolle zukam (Diane Kruger: „Ich weiß, dass Quentin authentische Darsteller wollte, Deutsche und Franzosen. Er war monatelang in Deutschland, um die richtigen Darsteller zu finden. Vor allem für die Figur, die Christoph Waltz spielt“), dass, wenn er „Christoph“ nicht getroffen hätte, er INGLOURIOUS BASTERDS gar nicht hätte drehen können.

Waltz & Tarantino sind das erste Mal „in einem üblichen Kontext“ aufeinandergetroffen, nämlich bei einem Inglourious Basterds-Casting in Deutschland (Christoph Waltz – auf die Frage hin, wo QT & er sich kennengelernt haben: „Das war in einem sehr üblichen Kontext. Man nennt es Casting, niemand mag es. Es waren Quentin und Lawrence [Lawrence Bender - Produzent des Films], ich und ein Stapel Papier auf dem Tisch. Das war sein Drehbuch und wir sind es durchgegangen. Ich habe meine Rolle gelesen und Quentin alle anderen Rollen. Als ich ging, sagte ich dem Casting-Leiter in Berlin: `Also, was auch immer passiert, wie es auch ausgehen mag, dafür hat es sich gelohnt`“; Quelle: Doku „Tarantino – The Bloody Genius“), und die Chemie zwischen Regisseur & Darsteller stimmte offenbar von Anfang an (Diane Kruger: „Er und Quentin hatten eine Verbindung, die immer stärker wurde“).

Ein Meisterstück Tarantinos und, wenn man so will, auch „Waltz’s schauspielerisches Meisterstück“ innerhalb von INGLOURIOUS BASTERDS bleibt, wie schon ganz zu Beginn des Kapitels angedeutet, zweifellos die Verhörszene auf der LaPadite-Farm, in der der „ruthless SS officer & `Jew Hunter`“ „Hans Landa“ den von Denis Ménochet gespielten Farmer „Perrier LaPadite“, der Shosanna & ihre Familie bei sich versteckt hält, nach und nach in die Verzweiflung treibt und in der Folge „zum Gestehen“ bringt.

Die gesamte Szene, die tatsächlich auch ein wahrer „milestone“ des Autors Quentin Tarantino bleibt, hat eine fast unerträgliche Spannung, die sich langsam aufbaut, die aber gleichsam eine vor allem „intellektuelle“ Spannung bleibt, soll heißen: nicht eine Spannung von jener Sorte darstellt, die erzeugt wird, wenn beispielsweise in einem Horror-Film eine Katze aufschreit oder plötzlich eine Eule im Wald „ertönt“.

Wie auch für Rod Taylor, der an Tarantino vor allem schätzt, dass dieser „auf spektakuläre Weise gegen alle Regeln verstößt und Dinge [somit] aufregend und interessant macht“, war auch für Waltz QT’s spezieller „Ich verdrehe alles, was in einem Kriegsfilm passiert“- und „Ihr denkt, ihr kennt Weltkrieg II-Filme, da habt ihr euch getäuscht!“-Ansatz in INGLOURIOUS BASTERDS interessant, was Christoph Waltz, glaubt man Brad Pitt’s & Quentin Tarantino’s Worten in der bereits mehrfach zitierten „Runden Tisch“-Diskussion mit dem Filmjournalisten Elvis Mitchell aus 2009, zu folgender Aussage bewogen haben soll: „Quentin has killed the German Nazi film for all time“.

 

 

 

 

 

Deutsche sind es gewohnt, bei Filmen über den Zweiten Weltkrieg zusammenzuzucken. Das ist ihr natürlicher Zustand. Sie sind es gewohnt, diese Filme voller Schuld anzuschauen. So ist es immer. Aber im Film kommt dieser Moment, an dem sie anfangen zu lachen. Und dann lachen sie weiter. Und plötzlich dachte sich das deutsche Publikum: `Moment mal, ich sehe einen Film über den Zweiten Weltkrieg, den ich genießen darf, ich darf darüber lachen. […] Ich sehe ihn nicht voller Schuldgefühle an, ich finde die Story spannend

 

(QT über die Reaktionen des deutschen Publikums bei Kinovorführungen von INGLOURIOUS BASTERDS; aus: „Diskussion am Runden Tisch mit Quentin Tarantino, Brad Pitt und Elvis Mitchell“)

 

 

An den Namen Tarantino sind stets viele Erwartungen gebunden, vor allem auch, dass Tarantino, egal, ob er einen „crime film“, einen Western oder eben eine „war story“ verfilmt, sozusagen „his own thing“ daraus macht.

Und QT’s „kontrafaktischer Kriegsfilm“, der seine Uraufführung bei den Cannes-Filmfestspielen und seine reguläre Kino-Premiere dann am 20. August 2009 in Berlin erlebte, erwies sich an den Kinokassen, und das klarerweise nicht nur in Deutschland, als voller Erfolg und wurde seinerzeit sogar, mit einem weltweiten Einspielergebnis von 321, 5 Millionen US-Dollar, zum „highest-grossing Tarantino film“ – aber das nur bis zur Veröffentlichung von DJANGO UNCHAINED drei Jahre später, 2012, der weltweit dann sogar über 425 Millionen US-Dollar lukrierte (Anmerkung: Die „Box Office-Hierarchie“, was QT-Filme betrifft, ist mittlerweile die folgende: 10. Reservoir Dogs – Wilde Hunde / 9. Death Proof – Todsicher / 8. Jackie Brown / 7. Kill Bill - Volume 2 / 6. The Hateful Eight [155,8 Millionen USD] / 5. Kill Bill – Volume 1 / 4. Pulp Fiction / 3. Inglourious Basterds / 2. Once Upon a Time...in Hollywood [374, 3 Millionen USD] / 1. Django Unchained).

Natürlich schieden sich „die Geister der Kritik“ auch bei „The 6th Film from Quentin Tarantino“ und zahlreiche deutschsprachige Filmkritiker*innen bescheinigten dem Werk, unterm Strich, die „Subtilität einer Dampfwalze“ – was im Übrigen auch mehr oder weniger jenen „Tarantino ist in eine regressive Phase geschlittert“-Eindruck wiedergibt, den ich, wie bereits erwähnt, persönlich 2009 beim erstmaligen Betrachten des Films hatte.

Außerdem wurde vor allem Tarantino’s „Unverschämtheit, die Geschichte und geschichtliche Fakten zu ignorieren“ kritisiert – und in der Tat ist der „Once Upon a Time…“-Aspekt des Films mit dem „gelungenen Attentat auf HITLER“, diverse „Storytelling- & `Was wäre wenn…`-Freiheiten“ hin oder her, angesichts der „World War II-Faktenlage“ sicherlich ein „gewöhnungsbedürftiger“, aber das gilt in jedem Fall auch für das (wie ich finde letztendlich sehr berührende) Ende von ONCE UPON A TIME…IN HOLLYWOOD, wo plötzlich gewisse Faktenlagen bezüglich der Ermordung Sharon Tates durch Charles Manson-Anhänger*innen „verdreht“ werden.

In den USA hielten sich die „Pros & Cons“ in etwa die Waage. So wurde von einigen critics INGLOURIOUS BASTERDS als „Tarantino’s best movie since PULP FICTION“ gefeiert und Christoph Waltz‘s Leistung als „COL. LANDA“ brachte ihm dort schnell den Ruf ein, „a good actor“ und „interessant für das amerikanische Publikum“ zu sein.

Andere Stimmen kritisierten die mangelnde „moral depth“ des Kriegsfilms und bezeichneten das Werk als „too silly“. US-Filmkritiker jüdischer Herkunft fanden zum Teil auch wenig Gefallen an dem „Jews who take scalps“-Motiv sowie an dem „Rache“-Motiv, da, so der nicht unbeträchtliche Vorwurf, Tarantino Juden damit lediglich zu „carbon copies“ (Copyright: Artikel „Tarantino Rewrites the Holocaust“ von Daniel Mendelsohn; carbon copies: Durchschläge, Kopien) von Nazis macht.

Einen wahrlich „denkwürdigen“ Beitrag zur Rezeption von INGLOURIOUS BASTERDS lieferte der britische Journalist Christopher Hitchens in einem Interview ab, denn dieser meinte, dass, sinngemäß wiedergegeben, die Erfahrung, den Film zu betrachten, gleichzusetzen wäre mit „im Dunkeln zu sitzen und einen `great pot of warm piss` langsam über den Kopf geleert zu bekommen“.

 

 

 

EPILOG

 

Well“, wie ich eingangs erwähnt habe: Ein „George Michael-`Freedom! `90`-Effekt“ hat sich im Zusammenhang mit Tarantino`s eigentümlichem „war film“ bei mir zwar nie eingestellt, aber ich empfinde das Werk heutzutage wenigstens nicht mehr als „blutigen Scherz“ oder als so „silly“ wie damals, denn: jenseits des Aspekts des „Ignorierens historischer Fakten“ geht der Film durchaus als „würdiges Porträt“ einer „world at war“ durch.

Christoph Waltz’s schauspielerische Leistung in INGLOURIOUS BASTERDS steht wohl außer Frage – ich persönlich jedoch mag darin vor allem auch Brad Pitt in der Rolle des „LT. ALDO“.

Aber: Pitt hat seinen großen Auftritt innerhalb der „QT-movies“ dann bekanntlich 2019 in ONCE UPON A TIME…IN HOLLYWOOD, einem Film, der schon deshalb bemerkenswert ist, weil darin ausgerechnet Leonardo DiCaprio & eben Brad Pitt zwei „Hollywood-Loser“ spielen.

Ein Highlight des 2019er-Werks, das Pitt völlig zurecht einen Nebenrollen-Oscar eingebracht hat, bleibt der Streit zwischen „BRUCE LEE“ Mike Moh und dem von Pitt verkörperten Stuntman „CLIFF BOOTH“, aus dem ich bereits ein Zitat präsentiert habe. Auslöser des Streits sind „BRUCE LEE’s“ abwertende Bemerkungen auf einem Filmset, in Anwesenheit zahlreicher Filmleute & Stuntmänner, über die -damals, 1969, ja noch aktive- Boxlegende Cassius Clay (aka Muhammad Ali), was das Fass bei BOOTH zum Überlaufen bringt und einen meiner persönlichen Lieblingsdialoge innerhalb von Tarantino‘s Werk entfacht:

 

 

 

CLIFF BOOTH

Ich denke, du bist n‘ kleiner Mann mit `ner großen Klappe und `nem großen Komplex. Und ich denke, es müsste dir peinlich sein, zu behaupten, du wärst mehr als ein Fleck im Schritt von Cassius Clay’s Hose.

 

 

BRUCE LEE

Bruder, du bist der mit der großen Klappe. Und ich stopfe sie dir auch sehr gerne, besonders vor allen meinen Freunden. Meine Hände sind registrierte Waffen. Das bedeutet, kämpfen wir gegeneinander und ich töte dich aus Versehen, geh ich in den Knast.

 

 

CLIFF BOOTH

Jeder, der aus Versehen jemanden tötet, geht in den Knast. Das nennt man Totschlag.

 

 

(aus: ONCE UPON A TIME…IN HOLLYWOOD)

 

 

 

 

(NEU ÜBERARBEITETE FASSUNG; Ur-Fassung vom 10.03.2021)