Was ist die beste Eröffnungssequenz der Filmgeschichte?
Abgesehen davon, dass sich vielleicht nur wenige überhaupt so eine Frage stellen :-), lautet die Antwort für mich darauf auf jeden Fall: Die Eingangssequenz von Francis Ford Coppolas Filmklassiker Apocalypse Now aus dem Jahr 1979!
Sie erinnern sich?
Genau!
Aufblende: Dschungel, dann gelber Nebel, dann Napalm, das den Dschungel entflammt, dann Hubschrauber, die durchs Bild fliegen, und schließlich in der Überblendung Martin Sheen, der in seinem Hotelzimmer in Saigon schon anfangs ziemlich durch den Wind scheint. Aber das Wichtigste dabei: Natürlich die Musik von den Doors („This ist the end/My only friend the end...“), die dem ganzen Film gleich von Beginn an diese hypnotisierende, fieberhafte, leicht psychedelische Note verleiht, die ihn von sogenannten anderen prominenten Anti-Kriegsfilmen und Vietnam-Filmen, wie etwa Oliver Stones Platoon (1986) oder Stanley Kubricks Full Metal Jacket (1987) oder gar Michael Ciminos The Deer Hunter (1978; Die durch die Hölle gehen), abhebt.
Coppola sei, so hieß es damals in den Medien, wie „Colonel Kurtz“ ja schließlich bereits bei seinem eigentlichen Schöpfer Joseph Conrad, der mit Heart of Darkness (dt. Titel: Herz der Finsternis) 1899 die literarische Vorlage zu Apocalypse Now geliefert hatte (wenn man es ganz genau nimmt, basiert der Film im Grunde nur auf Motiven aus Conrads großartiger Erzählung), auf den Philippinen, wo die Dreharbeiten stattfanden, größenwahnsinnig geworden und habe sich in einem monströsen Projekt verloren, ähnlich wie ein paar Jahre vorher und wiederum ein paar Jahre später der deutsche Regisseur Werner Herzog bei Aguirre – Der Zorn Gottes (1972) und bei Fitzcarraldo (1981).
Nun, was genau damals bei den Dreharbeiten, die bereits 1976 begonnen hatten, alles passiert ist, werden wir nie erfahren, auch wenn es da zahlreiche Schilderungen und sogar eine berühmte Dokumentation von Coppolas Frau Eleanor (Hearts of Darkness: A Filmmaker's Apocalypse/dt. Titel: Reise ins Herz der Finsternis; 1991) darüber gibt. Aber Coppolas Aussage „Mein Film handelt nicht von Vietnam, er ist Vietnam“ spiegelt wohl auch ein wenig die Entstehungsgeschichte wider. Sowie wahrscheinlich auch Brandos/Kurtzs berühmte Schluss- und Sterbensworte: „The horror. The horror.“
Fest steht jedenfalls: Bis Marlon Brando auftaucht, und das war innerhalb des Films schon immer ganz furchtbar spät und ist bei der von Coppola überarbeiteten und um 49 Minuten erweiterten Fassung des Films (Apocalypse Now Redux; 2001) dementsprechend noch viel später, ist der Film selbst der Star.
Dann wird, wie üblich möchte man sagen, alles von der Legende Brando und seiner, ebenfalls monströsen und daher mehr als gut in den Film passenden, physischen Präsenz förmlich absorbiert. In einem Film, in dem alle Figuren verrückt sind, bildet Kurtz sozusagen die Speerspitze dessen, was Krieg in den Köpfen von Menschen anrichten kann. Brandos vergleichsweise kurzer Auftritt steht dabei sicherlich ganz in der Tradition seiner überbezahlten Leinwand-Kurzauftritte in den späten Siebzigern, wie etwa in Richard Donners Superman (1978), bei denen die Filmemacher sozusagen von Brandos Legendenstatus profitieren konnten. Allerdings bleibt sein Auftritt als „psychopathischer Koloss“ mit kahlem Haupt in Apocalypse Now, der zweiten Zusammenarbeit zwischen Coppola und Brando, nach dem legendären The Godfather (1972; Der Pate) natürlich, für mich und für viele andere unvergessen. Wobei Brando ja nicht einmal viel Text hat, aber was er sagt, hat, dank seiner Präsenz und seiner (Original-) Stimme, eine bemerkenswerte und beklemmende Wucht.
Beispiel gefällig?
KURTZ
Es ist unmöglich mit Worten zu beschreiben, was notwendig wäre für jene, die nicht wissen, was das Grauen bedeutet.
Das Grauen hat ein Gesicht.
Und man muss sich das Grauen zum Freund machen.
Das Grauen und der moralische Terror sind deine Freunde.
Falls es nicht so ist, sind sie deine gefürchteten Feinde.
Sie sind deine wirklichen Feinde.
(It's impossible for words to describe what's necessary to those who do not know what horror means.
Horror.
Horror has a face.
And you must made a friend of horror.
Horror and moral terror are your friends.
If they are not, then they are enemies to be feared.
They are truly enemies.)
Nun noch ein paar Worte zum eigentlichen Film, der tatsächlich, vor allem in der Langfassung von 194(!) Minuten, die ja nun als Standardfassung gilt, ein wahres Film-Monstrum ist, das man nicht so einfach verdaut und das mich beim letzten Betrachten gleich drei Abende gekostet hat :-).
Das wirklich Innovative an Apocalypse Now ist meines Erachtens, dass Coppola nicht nur „verrückte Dinge“ zeigt, die im Krieg passieren können, sondern einen ganzen Haufen „durch den Krieg verrückt gewordene Menschen, die im Krieg verrückte Dinge tun“. Der Wahnsinn ist überall im Film greifbar, egal, ob man mit einem Befehlshaber konfrontiert wird, dessen einziges Interesse nur mehr darin zu bestehen scheint, Angriffe auf vietnamesische Dörfer dafür zu nutzen, selbst am Rande des Geschehens surfen zu gehen, und der seine Hubschrauber-Flotte dazu nötigt, bei diesen Angriffen laut Richard Wagner zu spielen, oder ob man auf französische Plantagenbesitzer trifft, in denen die ganze Indochina-Geschichte merklich tiefe psychische Spuren hinterlassen hat.
Martin Sheen, der Mann, der, gemäß seinem Auftrag, als „Captain Willard“ mit seinen Soldaten sozusagen den Fluss entlang und bis nach Kambodscha fährt um Kurtz zu finden, macht seine Sache sicherlich ebenfalls gut, wirkt aber, im Vergleich zu Brando, etwas austauschbar und tatsächlich etwas wie die zweite Wahl, die er ja schließlich auch war, denn ursprünglich hätte angeblich Harvey Keitel diesen Willard spielen sollen.
Ach ja, übrigens noch ein bemerkenswertes Detail am Rande: Harrison Ford, ja – der Harrison Ford (beim Erscheinen des Films längst als Han Solo aus George Lucas‘ Star Wars/dt. Titel: Krieg der Sterne weltberühmt), spielt zu Beginn des Films eine kleine Rolle als Colonel, in der er Martin Sheen dessen Auftrag näherbringt und erklärt. So können sich die Bedeutungen von Mitwirkenden verändern, wenn man sich beim Drehen ewig Zeit lässt :-).
Aber wie auch immer: Apocalypse Now besteht, in der ursprünglichen sowie in der längeren Fassung, aus einer Aneinanderreihung unvergesslicher Einzelszenen, die, aus heutiger Sicht, weit weniger „surreal und seltsam“ wirken, als man es dem Palme D' Or-Gewinner von 1979 ursprünglich zugeschrieben hat.
(überarbeitete Fassung vom: 07.07.2018; Originalfassung: 22.09.2017)