Ausschnitt aus "NO PULP IN THE FICTION"                 (Buch; 2020): Kapitel "THE MAN FROM HOLLYWOOD" (Teil 1[von 2]) [EXPLICIT CONTENT]

 

The Man from Hollywood (1995)

(Regie: Quentin Tarantino; Episode aus dem Film Four Rooms)

 

 

Ich könnte mir vorstellen, du denkst, wir wollen mit dir irgendeine strange Sexkiste abziehen […]. Nichts, nichts würde uns ferner liegen

 

(aus: The Man from Hollywood; „Chester Rush“ Quentin Tarantino zu „Ted, dem Pagen“ Tim Roth, kurz bevor diesem dann die bizarre „Peter Lorre-/Steve McQueen-Gedenk-Wette“ erklärt wird, die die Beteiligung des Pagen „erfordert“ und die im Zentrum der Tarantino-Episode steht; im Original: „I was thinking you might be thinking that we want you to do some like weird sex thing […]. Nothing, nothing could be further from the truth.“)

 

 

 

CHESTER RUSH

Wenn ich an Pagen denke, denke ich immer an „Hallo, Page!“ mit Jerry Lewis. Schon mal gesehen, Ted? […] Ist einer von Jerry’s besseren Filmen. Er sagt kein Wort...in dem ganzen Film. Er zieht `ne komplett stumme Nummer ab. Welcher Schauspieler kann das? So einer wird nur in Frankreich respektiert. Das sagt alles über Amerika aus. Einfach alles. Sobald Jerry Lewis stirbt, wird jeder schreiben, er war ein Genie.

 

(aus: The Man from Hollywood; der Filmregisseur „Chester Rush“ Quentin Tarantino zu „Ted, dem Pagen“ Tim Roth, kurz nachdem dieser das Penthouse des Hotels, in dem Rush und seine Freunde Silvester feiern, betreten hat; Anmerkung: QT bezieht sich auf den Film The Bellboy, deutscher Titel eben: Hallo, Page!, aus 1960, bei dem Starkomiker & Filmlegende Jerry Lewis (1926-2017) auch für Drehbuch und Regie zuständig war und der von Lewis als eine Art Verbeugung vor einem anderen Komiker, nämlich Stan Laurel, gedacht war)

 

 

 

CHESTER RUSH

Tja, Ted, wie schon mein Großpapa immer zu sagen pflegte: `Je weniger einer meint, sich äußern zu müssen, desto seltener wird er im Nachhinein als Idiot betrachtet`.

 

(aus: The Man from Hollywood; „Chester Rush“ zu „Ted, dem Pagen“, nachdem diesem die Peter Lorre-/Steve McQueen-Wette aus einer 1960 gesendeten Episode der Fernsehreihe „Alfred Hitchcock Presents“ (dt. Titel: „Alfred Hitchcock präsentiert“) von „Leo“ Bruce Willis erklärt wurde und „Ted“ zunächst etwas sprachlos ist - in Anbetracht dessen, was Rush & Co da vorhaben; in der Originalfassung sagt Quentin Tarantino: „Now, Ted, like my old granddaddy used to always say: `The less a man makes declarative statements, the less apt he is to look foolish in retrospect`.“)

 

  

Nach Pulp Fiction war klar: Seit Orson Welles (mit seinem Regie-Debüt Citizen Kane von 1941) hatte es niemand so schnell wie Quentin Tarantino geschafft, aus „relativer Unbekanntheit“ heraus gleichsam „the art of moviemaking“ nachhaltig zu verändern. 

Pulp Fiction, den der US-Kulturkritiker und Filmhistoriker Peter Biskind, aufgrund des enormen finanziellen Erfolges, einmal „the Star Wars of independents“ nannte, denn Tarantino’s zweiter Film galt gleichsam auch als Beweis dafür, was ein Independent-Film „at the box office“ erreichen konnte, hatte der Filmwelt nicht nur einige der „Greatest Movie Moments“ und „Greatest Movie Speeches“ überhaupt beschert, so wie etwa den „adrenalin shot to Mia Wallace’s heart“ oder eben die „Ezekiel 25:17“-Passage, sondern auch eine ganze Reihe von „Tarantino- & Pulp Fiction-Klone“.

Plötzlich war nämlich so eine Art „Guys with Guns-Black Comedy-Neo Film Noir“-Genre entstanden, in dem haufenweise „violent shoot-outs“ zu verzeichnen waren und das mit 60er- & 70er-Jahre-Pop-Hits unterlegt war, denn: Auch der phantastische Soundtrack von Pulp Fiction, der ja keinerlei für den Film eigens komponierte Musik beinhaltete, sondern eben All-Time-Klassiker wie Chuck Berry’s You Never Can Tell“ (1964), Dusty Springfield’s „Son of a Preacher Man“ (1969) oder Al Green’s „Let’s Stay Together“ (1972), fand seine „Nachahmer“.

Zu den ersten „Pulp Fiction imitators“ zählten Mitte der 90er folgende Werke, die an den Kinokassen zum Teil erstaunlich erfolglos waren und auch von den Kritikern zumeist wenig wohlwollend aufgenommen wurden: Die Komödie Destiny – Hoher Einsatz in Las Vegas (1995; Destiny Turns on the Radio; Regie: Jack Baran; u. a. mit: Dylan McDermott, James Belushi & Quentin Tarantino) sowie die beiden „crime films“ Das Leben nach dem Tod in Denver (1995; Things to Do in Denver When You’re Dead; Regie: Gary Fleder; u. a. mit: Andy Garcia, Steve Buscemi & Christopher Walken) und 2 Tage in L.A. (1996; 2 Days in the Valley; Regie: John Herzfeld; u. a. mit: Danny Aiello, Teri Hatcher & James Spader).

Sämtlichen dieser Werke, die zum Teil auch ein wenig versuchten -nach dem Vorbild von Pulp Fiction- „disordered cinematic narratives“ zu sein und sich somit im „non-linearen Erzählen“ profilieren wollten, fehlte, neben ein paar anderen essentiellen Dingen, vor allem die „edgy hipness“ von Pulp Fiction, was beim Betrachter umgehend so ein „Just watch a QT-movie instead!“-Gefühl erzeugte.

Hervorzuheben ist natürlich der Umstand, dass in „Destiny Turns on the Radio“ (OT), also dem, wenn man so will, ersten „Pulp Fiction imitator“, gleich Quentin Tarantino persönlich mitspielt, denn der verkörperte darin die Figur des „Johnny Destiny“, eine Art „bizarre & supernatural character“, der der Hauptfigur, dem aus dem Gefängnis geflüchteten und gleichsam in der Wüste nahe Las Vegas gestrandeten Bankräuber „Julian Goddard“ (gespielt von Dylan McDermott), das Leben rettet.

Was damals allerdings das Publikum weltweit mehr interessierte als die Werke von „QT-wannabes“, war, welchen Film Tarantino selbst nach dem „major cultural event & international phenomenonPulp Fiction drehen würde – und die Antwort kam zunächst eben in Form der Episode „The Man from Hollywood“, die Teil der von insgesamt vier Regisseuren (neben QT auch: Allison Anders, Alexandre Rockwell & Robert Rodriguez) auf die Beine gestellten „Anthologie-Komödie“ Four Rooms ist und nicht nur eine -im wahrsten Sinne des Wortes- „interessante Fingerübung“ darstellt, sondern, beabsichtigt oder nicht, auch so etwas wie die „erste Selbstparodie“ von Quentin Tarantino!

 

 

Der Plot von „The Man from Hollywood“ (Episode 4 von Four Rooms): 

Nachdem „Ted, der Page“ an seinem ersten Arbeitstag in der Silvesternacht bereits in drei verschiedenen Zimmern (der „Honeymoon Suite“ sowie „Zimmer 404“ und „Zimmer 309“) drei verschiedene „schräge Situationen & Abenteuer“ erlebt hat [Anmerkung: Diese „Abenteuer“, inszeniert von Allison Anders, Alexandre Rockwell & Robert Rodriguez, sind völlig unabhängig voneinander und stehen somit auch in keinem direkten „dramaturgischen Zusammenhang“], kommt er schließlich in das Penthouse des [fiktionalen] „Mon Signor“-Hotels in Los Angeles.

Dort erwarten ihn der erfolgreiche Filmregisseur Chester Rush sowie dessen Kumpels Leo und Norman [gespielt von Bruce Willis & Paul Calderon] – darüber hinaus trifft er dort auch wieder auf Angela, der er zuvor schon im Zimmer 404 begegnet ist [Anmerkung: „Angela“ wird von Jennifer Beals gespielt, der damaligen Ehefrau von Alexandre Rockwell, der die im Zimmer 404 spielende Episode „The Wrong Man“ inszeniert hat, was „Angela“ auch zur einzigen Figur -neben „Ted the Bellhop“, der in allen „rooms“ vorkommt- macht, die Auftritte in zwei der „Four Rooms“ hat; Jennifer Beals wurde 1983 durch ihre Rolle der Schweißerin/Tänzerin „Alexandra Alex Owens“ in Adrian Lyne’s populärem Musik- & Tanzfilm Flashdance weltbekannt].

Nachdem ihm der betrunkene Chester Rush einen Vortrag über die Genialität des US-Komikers Jerry Lewis gehalten hat und Ted auch Rush‘s -ebenfalls stark betrunkenen- Kumpels vorgestellt wurde, sprechen Rush und der Hotelpage auch kurz über Chester’s Karriere als Filmemacher [TED: „Es tut mir leid, dass ich Ihren Film nicht gesehen habe, aber...“ / CHESTER: „Macht nichts […]. Aber weißt du was? Eine Menge Leute haben ihn gesehen. Eine Menge Arschgeigen haben den Film gesehen. […] `Ne Menge Arschgeigen haben den `Verrückten Detektiv` gesehen“; im Original sagt „Chester Rush“ Quentin Tarantino „Whole lot of motherfuckers saw that movie […]. Lot of motherfuckers saw `The Wacky Detective`“ und meint später auch zu Ted, dass seinem neuen Film „The Dogcatcher“(auch in der dt. Synchro als „Der Hundefänger“ bezeichnet) prophezeit wird, mehr als 100 Millionen-Dollar an den Kinokassen machen zu können].

Danach präsentiert Ted den Penthouse-Bewohnern die Dinge, die er mitgebracht hat und die sie bei ihm zuvor geordert haben - darunter befinden sich auch ein Holzbrett, ein Hackebeil und ein Kübel mit Eis. Schließlich rücken Chester & Co mit ihrem Anliegen heraus und Leo, der zuvor noch einen Streit mit seiner Frau am Telefon beendet, beginnt die bizarre „Peter Lorre-Steve McQueen-Gedenk-Wette“ zu erklären, die Chester und Norman am Laufen haben, da sie gerade die Episode „Der Mann aus Rio“ aus der TV-Serie „Alfred Hitchcock zeigt“ gesehen haben [LEO: „Ted, hast du je die Serie `Alfred Hitchcock zeigt` gesehen? Kennst du die Folge `Der Mann aus Rio` mit Peter Lorre und Steve McQueen? […] Peter Lorre, der wettet mit Steve McQueen, dass Steve McQueen es nicht schafft, sein Feuerzeug zehnmal hintereinander anzuzünden. Also: Wenn Steve McQueen es zehnmal hintereinander schafft, gewinnt er Peter Lorre’s nagelneues Auto. Aber: Sollte er es nicht schaffen, sein Feuerzeug zehnmal hintereinander anzuzünden, dann darf Peter Lorre Steve McQueen den kleinen Finger abhacken“]. Der Wetteinsatz bei Chester und Norman (Rollenverteilung: Chester wäre „Peter Lorre“ und Norman gleichsam „Steve McQueen“) ist Chester’s roter „64er Chevy Chevelle“, mit dem Chester, so wie Norman [NORMAN, bezüglich der Wette – im Original: „I’d do that for the Chevelle“] dem Pagen verdeutlicht, sogar auf Zeitschriften abgebildet ist, auf denen der Regisseur als „Hollywood’s heißester neuer Star“ bezeichnet wird [Anmerkung: Auf der Zeitschrift HOTCAR CLASSICS, die Paul Calderon Tim Roth zeigt, sieht man auf dem Titelbild „Chester Rush“/QT sowie den besagten Wagen – außerdem steht auf dem Titelbild: „Hollywood’s hottest new star next to America’s hottest old car“].

Anschließend macht Chester dem verwirrten Pagen klar, warum Ted‘s „Partizipation“ bei der ganzen Sache unbedingt erforderlich ist [CHESTER - direkt zu TED: „Die Sache ist die: In der Natur dieses Unterfangens stecken einige Hindernisse, man sieht’s nicht auf den ersten Blick. Zum Einen natürlich die Tatsache, dass ich nicht so bin wie Peter Lorre in dieser Fernsehshow: Ich bin nicht irgend so `n krankes Arschloch, das übers Land zieht und Finger sammelt. Alles klar? Wir sind alle Freunde und keiner will, dass Norman einen Finger verliert“; die Originalfassung der „Chester Rush“-Ausführungen: „Thing is, there are some inherent obstacles in this undertaking. Beside from the obvious. First of wich is, being the fact I’m not like Peter Lorre on that TV-show. I’m not some sick fuck travelling the countryside collecting fingers. All right, you know, we’re all buddies here. No one wants Norman to lose his finger“], woraufhin Ted die Flucht ergreifen will, da er sozusagen derjenige sein soll, der -anstelle von Chester- das Beil schwingt, wenn Norman’s Zippo sich nicht zehnmal hintereinander anzünden lässt [TED: „Ich werde Norman nicht den kleinen Finger abhacken!!!“] – der Kübel mit dem Eis soll dafür verwendet werden, den Finger, sollte er abgehackt werden, für die Fahrt ins Krankenhaus zu konservieren. Dann bietet Chester dem Pagen 1000$ an, wenn er sich auf das Ganze einlässt – Ted kann sich dem Angebot plötzlich nicht mehr entziehen und stimmt zu.

Alle bringen sich in Position [CHESTER – im Original: „Perfect. This is one of those moments in time none of us are ever gonna forget“]: Der Page nimmt das Beil, Norman legt den kleinen Finger seiner linken Hand auf das Holzbrett, in der rechten Hand hält er das Zippo. Bereits der erste Versuch, dem Zippo eine Flamme zu entlocken, schlägt fehl und Ted hackt ihm umgehend den Finger an – Norman schreit auf [NORMAN – im Original: „My finger! My fucking finger! Chester, my fucking finger, man! He cut off my fucking finger! Oh, it hurts!“]. Der Page schnappt sich das Geld und „flüchtet“ damit aus dem Penthouse, indem er dieses mit dem Fahrstuhl wieder verlässt.

Während der Abspann beginnt und die Kamera nur den Gang hin zu dem besagten Fahrstuhl zeigt, wird man noch Zeuge der chaotischen Zustände [CHESTER – in der Originalfassung: „I forgot the finger! I gotta get the...It’s the finger! I got the finger! I got it! I got it!“], die den Versuch von Chester & Co begleiten, sich mit Norman’s Finger auf den Weg ins Krankenhaus [ins berühmte „Cedars“, wie es im Film am Ende heißt, also dem Cedars-Sinai Medical Center in L.A.] zu machen.

 

 

(ENDE von TEIL 1 - Neu überarbeitete Fassung; Ur-Fassung: 18.04.2020)