Harrison Ford in "Frantic" (1988; Regie: Roman Polanski) oder: Warum Ford einer der sympathischsten Schauspieler der Filmgeschichte ist... (Teil 3 - HAUPTTEIL)

 

IV

 

Was bitteschön soll ich tun, wenn einer meiner bevorzugten Film-Regisseure, der, by the way,  vorsichtig ausgedrückt, eine reichlich umstrittene Figur ist, nämlich Roman Polanski, mit einem meiner bevorzugten Film-Stars, nämlich Harrison Ford, der im Übrigen alles andere als eine umstrittene Figur ist, einen Film dreht, der unterm Strich auch noch ziemlich gelungen ist?

 

Über den besagten Film, über Frantic also aus 1988, schreiben, würde ich sagen! Da hat man ja fast keine andere Wahl :-)…

 

Roman Polanski’s Lebensgeschichte, die ihn, überspitzt formuliert, vom Krakauer Ghetto bis nach Hollywood und gezwungenermaßen wieder zurück nach Europa geführt hat, ist wahrlich geprägt von einigen „sehr hohen Höhen“ und einigen „sehr tiefen Tiefen“, wobei beide, die Höhen und die Tiefen, zweifellos sozusagen durch die Presse und um die Welt gegangen sind.

Bis 1979, bis einschließlich Tess also, der Geschichte eines südenglischen Bauernmädchens (gespielt von Nastassja Kinski), das an der Ausbeutung und Heuchelei der viktorianischen Gesellschaft zerbricht, ja förmlich von dieser ausgelöscht wird, ist Polanski’s Filmografie fast als makellos zu bezeichnen. Der Umstand, dass zu Beginn von Tess die Widmung „to Sharon“ erscheint, ist der Tatsache geschuldet, dass Tate ihrem Ehemann Polanski kurz vor ihrer tragischen Ermordung durch Anhänger der „Manson Family“ am 9. August 1969, ein Ereignis, das zweifellos zu den zentralen und natürlich grausigsten Momenten der 60er-Jahre gehört,  ihren Lieblingsroman, nämlich Tess of the d’Urbervilles: A Pure Woman Faithfully Presented (1891; dt. Titel: Tess von den d‘ Urbervilles: Eine reine Frau)  von Thomas Hardy, geschenkt hatte, mit dem Hinweis, dass dieses Buch einen hervorragenden Film ergeben würde. Sharon Tate, die damals, 1969, kurz vor ihrem brutalen Tod, bekanntlich auch noch hochschwanger war, sollte, posthum, tatsächlich Recht behalten, denn Polanski variiert in dem „3-Stünder“ Tess gekonnt zwei seiner Lieblingsthemen, nämlich die Schutzlosigkeit der Unschuld in einer verdorbenen Welt und die Untersuchung von gesellschaftlichen Abhängigkeiten und der gegenseitigen Abhängigkeit in Beziehungen.

Diese Motive verfolgen Polanski, geboren 1933 als Raymond Thierry Liebling in Paris, sicherlich schon seit den Kindheitstagen im Krakauer Ghetto (seine Eltern waren 1937 nach Polen zurückgekehrt), aus dem er 1943 fliehen konnte. Polanski konnte danach der Judenverfolgung aber nur, und das oft gegen Bezahlung, in diversen Verstecken entkommen, seine Mutter kam 1942 in Auschwitz ums Leben, sein Vater überlebte die Haft in Mauthausen. Betrachtet man diese biografischen Eckpfeiler, dann werden einem die Quellen von Polanski’s künstlerischen Hauptmotiven, die natürlich dann in seinem dreifach Oscar-prämierten Weltkrieg II-Drama The Pianist (2002; Der Pianist; Oscars für beste Regie, für bestes adaptiertes Drehbuch und für den besten Hauptdarsteller – Adrien Brody), das zum Teil im Warschauer Ghetto spielt, noch einmal gänzlich unverhüllt zum Ausdruck gebracht werden, nur allzu klar.

 

Genau genommen war aber bereits Polanski’s 1962 noch in Polen entstandenes Kinodebüt, der Psycho-Thriller Das Messer im Wasser (Noz w wodzie), in dem der Segelausflug eines Paares durch das Auftauchen eines jungen Herumtreibers zu einer echten Zerreißprobe für die Beziehung wird, ein veritables Meisterwerk, das dem Regisseur sogar auf Anhieb eine verdiente Oscar-Nominierung (für „Bester fremdsprachiger Film“) einbrachte.

Da Das Messer im Wasser von höchsten Kreisen der damals natürlich in Polen alleinig den Ton angebenden kommunistischen Partei (der so genannten PVAP) kritisiert und als Film bezeichnet wurde, der, einerseits, „gesellschaftlichen Zündstoff“ biete und, andererseits, so gar nicht „relevant“ oder „typisch“ für „Polen als Ganzes“ sei, ging Polanski nach Großbritannien und realisierte dort 1965 einen weiteren Psycho-Thriller, der zu den All-Time-Classics dieses Genres gehört, nämlich Repulsion (Ekel), mit der jungen Catherine Deneuve in der Hauptrolle. Das eindrucksvolle sowie wirklich düster pessimistische Werk bildet den Auftakt zu Polanski’s Mieter-Trilogie, zu der auch das Horror-Meisterwerk Rosemary’s Baby (1968; Rosemaries Baby; literarische Vorlage: Ira Levin) sowie der 1976 in Frankreich entstandene „psychological horror film“ Der Mieter (Le locataire; literarische Vorlage: Roland Topor) gehören und in der Polanski Wohnungen zum Schauplatz eindringlicher Horrorgeschichten gemacht hat.  

Die steigende Isolation und die immer stärker werdenden Wahnvorstellungen der Hauptfigur „Carol Ledoux“ (gespielt von Deneuve), eine Stimmung der ständigen Angst und Bedrückung, das alles sind zentrale Elemente von Repulsion, eines Films, der in seinen besten Momenten vielleicht jene unangenehm-irritierende Wirkung auf den Zuschauer erreicht, jene schockierende Intensität, die einst auch Luis Buñuel’s bahnbrechenden „16-Minüter“ Ein andalusischer Hund (1929; Un chien andalou; Co-Autor: Salvador Dali) ausgezeichnet hat, das Meisterwerk des surrealistischen Films schlechthin (und vor allem durch die legendäre Szene, in der ein Mann einer vor ihm sitzenden Frau mit einem Rasiermesser durch den Augapfel schneidet, ohnehin ein Pflichtwerk der (Kunst-)Filmgeschichte!).

Ledoux’s Wahnvorstellungen, so wie zum Beispiel von unheimlichen Männergestalten, die durch die dunklen Räume ihrer Wohnung geistern, von Händen, die aus Wänden heraus nach ihr greifen, von monströsen Rissen im Mauerwerk, haben eine gruselige Intensität, nach der man in anderen Filmen dieser Art lange suchen muss und die die Bezeichnung „Psycho-Thriller“ im Zusammenhang mit Repulsion zu mehr als nur einer leichtfertig verwendeten „Genre-Spezifizierung“ macht.

Die Londoner Wohnung der „20-jährigen Belgierin“ Carol Ledoux, einer introvertierten jungen Frau, die in einem Schönheitssalon arbeitet und eben gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Helen (gespielt von Yvonne Furneaux) in dieser Wohnung lebt, wird also endgültig zum Zentrum von Ledoux’s Psychose und Phobien, als die Schwester, ihre einzige Bezugsperson, mit ihrem Geliebten Michael (gespielt von Ian Hendry) für zwei Wochen nach Italien fährt. Finaler Ausdruck ihres Wahns sind dann letztendlich die zwei Morde, die Ledoux begeht, nämlich an ihrem Verehrer Colin (gespielt von John Fraser), dessen Annäherungsversuche sie sozusagen stets angewidert haben, und an ihrem Vermieter (gespielt von Patrick Wymark), der versucht, sie zu vergewaltigen. Wobei der Mord an Colin auch gleichzeitig der Magic Moment dieses, zugegebenermaßen :-), nicht so ganz einfach zu konsumierenden Films ist. Dieser geschieht in Carol's Wohnung mit einem Kerzenständer, mit dem die junge Frau, plötzlich und völlig unvermittelt, auf ihn einschlägt, nämlich aber erst dann, als sie die Eingangstür ihrer Wohnung, die in der Szene einige Zeit lang offen bleibt, sozusagen endlich wieder hinter ihm schließen kann, erst dann, als sie Colin's energisch (und eben bei geöffneter Eingangstür) vorgetragenen Beteuerungen, dass er sich um sie Sorgen machen würde etc., sozusagen endlich überstanden hat.

Zweifellos gehört Repulsion zu Polanski’s allerbesten Werken und Catherine Deneuve’s schauspielerische Leistung darin zu den besten ihrer Karriere, was bei so einer Filmografie, wie sie die Deneuve hat, die schließlich mit allen Großen speziell des französischen Films, wie Franois Truffaut, wie Luis Buñuel, wie Louis Malle oder Claude Chabrol, um wirklich nur einige wenige zu nennen, zusammengearbeitet hat, etwas heißen mag!

 

Der „psychological comic thriller“ Wenn Katelbach kommt... aus 1966, der im Original Cul-de-sac ("Sackgasse") betitelt ist, ist vielleicht der Polanski-Film, der es am wenigsten geschafft hat, in das Bewusstsein einer breiteren Masse vorzudringen, wenngleich das Werk, das wiederum in Großbritannien entstanden ist und das in der Tat so gut wie nie im deutschsprachigen TV gezeigt wird, von Kritikern und Filmhistorikern stets gelobt wird. Ich selbst mag Wenn Katelbach kommt..., den ich vor circa sieben/acht Jahren, auf einem recht umständlichen Weg :-), von einem holländischen DVD-Händler erworben habe, nicht besonders, ich habe ihn immer als „einen etwas anstrengenden Film“ empfunden, obwohl er eigentlich viel „leichter“ daherkommt als der geniale und verstörende Repulsion. Die Besetzung von Wenn Katelbach kommt… wirkt auf den ersten Blick spektakulär, aber so wirklich begeistern kann, mich persönlich jedenfalls, in dem Ensemble nur die jung verstorbene Schwester von Catherine Deneuve, Franoise Dorleac (1942-1967), die die Rolle der Ex-Prostituierten Teresa, die mit dem Ex-Unternehmer George (gespielt von Donald Pleasence) auf einer Burg an der englischen Küste lebt, ganz hervorragend spielt. Pleasence hingegen geht einem in seiner Rolle des am Ende, nach seinen tödlichen Schüssen auf den Gangster Richard, in den Wahnsinn abgleitenden George aber gleich auf die Nerven wie Lionel Stander (wurde weltweit bekannt durch seine Rolle als Butler, Koch und Chauffeur „Max“ in der Krimiserie Hart to Hart/dt.: Hart aber herzlich mit Robert Wagner und Stefanie Powers, die von 1979-1984 produziert wurde) in der Rolle des besagten Gangsters, der das Paar Teresa und George, gemeinsam mit seinem Partner Albert, gespielt von Jack MacGowran, dem späteren „Professor Abronsius“ aus Polanski’s berühmter Horror-Komödie The Fearless Vampire Killers (1967; Tanz der Vampire), in ihrer Burg heimsucht, und das deshalb, weil er und sein Partner verletzt sind und ein krummes Ding schiefgelaufen ist, das sie für ihren Chef „Katelbach“ hätten drehen sollen. Natürlich punktet der Film Wenn Katelbach kommt... ein wenig mit den „Samuel Beckett-Qualitäten“ der ganzen absurden Geschichte, wie der Tatsache, dass Stander und MacGowran, Zweiterer erliegt allerdings bald seinen schwerwiegenden Verletzungen, in der Burg auf ihren Chef Katelbach warten, der allerdings nie auftaucht, so wie eben Godot in Beckett’s Theaterstück Warten auf Godot (1952; En attendant Godot). Aber irgendwie wird das, trotz mehrmaliger Betrachtung des Werks, trotzdem nichts zwischen mir und „Polanski’s Wild Swing“, wie den Film seinerzeit die New York Times begeistert nannte :-).

Wann immer ich The Fearless Vampire Killers, der zusammen mit Rosemary’s Baby und dem phantastischen Thriller Chinatown (1974) zu den drei populärsten und besten Polanski-Filmen gehört, in den 80ern im österreichischen Fernsehen gesehen habe, dann musste ich schon damals beim Anblick Sharon Tate’s, die in dem Film Sarah, die bildhübsche Tochter des Dorfwirten spielt, die schließlich von dem Ober-Vampir „Graf von Krolock“ (gespielt von Ferdy Mayne) in sein Schloss entführt wird, daran denken, dass es sich bei Tate, im wahren Leben, um eine wahrlich tragische Figur gehandelt hat, dass sie eigentlich Teil einer sehr traurigen Geschichte ist, die gleichzeitig einen der spektakulärsten und Aufsehen erregendsten Kriminalfälle der US-Geschichte darstellt, einen Kriminalfall, der vor allem natürlich auch einen Mann leider zu einer weltweit bekannten Figur gemacht hat, den Sektenführer Charles Manson (1934-2017), der seine „Manson Family“ in den August-Tagen des Jahres 1969 losgeschickt hatte, um zu morden. Neben Tate und ihrem ungeborenen Kind kamen in der von den Manson-Anhängern überfallenen Polanski-Tate-Villa am Cielo Drive in Los Angeles noch vier weitere Personen in der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 ums Leben (Polanski selbst war damals bei Dreharbeiten in Europa).

Nun, seit den 80ern hat sich nichts geändert, denn noch immer schwebt für mich über dem Film, der eigentlich eine der besten Gruselfilmparodien oder Horrorfilmpersiflagen der Filmgeschichte ist, die ganze Polanski-Tate-Manson-Geschichte wie eine dunkle Wolke, die ich irgendwie nicht ausblenden kann, vor allem wohl auch deshalb, weil Tate und Polanski hier auch vor der Kamera gemeinsam agieren, denn Polanski selbst spielt ja schließlich „Alfred“, den treuen Gehilfen des schrulligen Vampirjägers „Professor Abronsius“ Jack MacGowran, der in den Südkarpaten ein „erhöhtes Vampiraufkommen“ vermutet. Der Film ist makaber und lustig zugleich und bietet einen Haufen unvergesslicher Szenen, so wie den berühmten tatsächlichen „Tanz der Vampire“ im Ballsaal des Krolock-Schlosses, bei dem schließlich nur der Professor, Alfred sowie die vermeintlich von den beiden gerettete Sarah in einem Spiegel zu sehen sind, denn: Vampire werfen bekanntlich kein Spiegelbild :-).

Allerdings verwehrt uns Polanski auch in diesem Film, in diesem „satirical horror drama“, wie in so vielen seiner Werke, ein Happy End, denn als Professor Abronsius am Ende den Schlitten steuert, mit dem die Flucht vom Schloss gelungen ist, gräbt darin die plötzlich endgültig verwandelte Sarah ihre Vampirzähne in den in sie verliebten Alfred, was letztendlich eben bedeutet, dass das Böse nicht besiegt wurde, sondern, im Gegenteil, in die Welt getragen wird.

 

Im Sommer 1992, also mit 15 Jahren, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, vielleicht doch auch mal, sozusagen zur Abwechslung, ein Buch zu lesen und nicht nur ständig meine Film- und Musik-Sammlungen neu zu sortieren :-). Das Buch, das ich mir, basierend auf diesem kühnen Einfall :-), dann gekauft habe, war, inspiriert von einer großartigen Fotografie, die ich irgendwo aufgeschnappt hatte und die Roman Polanski und Mia Farrow bei den Dreharbeiten zu Rosemary’s Baby zeigte, Ira Levin’s Romanvorlage zu diesem berühmten Horrorfilm, der zweifellos zu den besten Horrorfilmen überhaupt zählt. Man könnte also sagen, dass ich Ira Levin’s Grusel-Bestseller Rosemary’s Baby zumindest verdanke, dass ich damals nicht ausschließlich als „Film-Nerd“ weitergelebt habe :-).  

Es steht außer Frage, dass Polanski die Arbeitsbedingungen in den USA ungeheuer entsprochen haben, denn seine beiden US-Filme, eben Rosemary’s Baby und Chinatown, sind schlichtweg phantastisch, ja einmalig. Über Chinatown, einem meiner persönlichen All-Time-Favorites, mit Jack Nicholson und Faye Dunaway, habe ich mich allerdings schon mal in einem anderen Artikel geäußert, deshalb lasse ich ihn an dieser Stelle natürlich weg.

Farrow’s perfomance is outstandig“, schrieb das Variety-Magazin einst über Mia Farrow’s Leistung als „Rosemary Woodhouse“, jene junge Frau, die mit ihrem Ehemann Guy (gespielt von John Cassavetes) in eine Mietwohnung im siebten Stock innerhalb des so genannten Bramford Houses im Zentrum von New York zieht und schließlich vom Teufel persönlich geschwängert wird (es ist Polanski’s Regie-Kunst zu verdanken, dass die potentiell albernen Aspekte der Geschichte, wie eben die Tatsache, dass Farrow das Kind des Teufels erwartet, in keiner Sekunde des Films tatsächlich albern oder gar banal rüberkommen!; selbst in der Musikdramaturgie verwehrt sich Rosemary’s Baby jeglicher „Horrorfilm-Filmmusik-Klischees“!). Das eigentliche „schauspielerische Epizentrum“ des Werks, dessen Farbdramaturgie (Kamera: William Fraker) im Übrigen eine wirkliche Augenweide ist, ist aber nicht Farrow (mit ihrem berühmten Kurzhaarschnitt!), sondern zweifellos Ruth Gordon, die als wahrlich dubiose Nachbarin der Woodhouses glänzt, als „Minnie Castevet“. In ihrer Oscar-gekrönten Nebenrolle als vermeintlich hilfsbereite, auf jeden Fall aber aufdringliche und manipulative alte Dame, die in Wahrheit aber eine der Hauptprotagonisten der ganzen „Teufelsverschwörung“ ist, der Farrow da zum Opfer fällt, ist sie so etwas wie das eigentliche Gruselelement in diesem Film, der eigentliche personifizierte Horror!

Interessant für einen Filmliebhaber im Zusammenhang mit Rosemary’s Baby ist natürlich auch der Aspekt, dass der bedeutende amerikanische Filmregisseur John Cassavetes (1929-1989) hier die Rolle des Ehemannes von Farrow spielt, den zunächst erfolglosen Schauspieler Guy Woodhouse, der aber mit dem Ehepaar Castevet und natürlich mit dem Teufel, des Erfolges als Schauspieler willen, einen faulen Deal macht und seine Frau dem Teufel zwecks der „Zeugung von Nachwuchs“ überlässt. Der Polanski-Film hat mich in den 90ern auch dazu gebracht, mich ein wenig mit Cassavetes‘ Werken auseinanderzusetzen. Und obwohl Cassavetes wahrlich einer der Wegbereiter des amerikanischen Independent-Films ist, der für Klassiker wie Shadows (1959; Schatten), Faces (1968; Gesichter), Husbands (1970; Ehemänner), A Women Under the Influence (1974; Eine Frau unter Einfluss) oder The Killing of a Chinese Bookie (1976; Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers) verantwortlich ist, würde ich seine Filme als „interessant und sehr anspruchsvoll, aber trotzdem irgendwie leicht seltsam“ :-) einordnen, ganz gemäß seines eigenen Credos „Ich mache gern schwierige Filme, bei denen die Leute schreiend rauslaufen. Ich bin schließlich nicht in der Unterhaltungsbranche“.

 

Es ist wahrlich ein bisschen ironisch, dass ausgerechnet Polanski, der 1977 in den USA bekanntlich wegen „Vergewaltigung unter der Verwendung betäubender Mittel“ der damals 13-jährigen Samantha Geimer angeklagt wurde und schließlich, um einer Inhaftierung zu entgehen, nach Europa geflüchtet ist (was natürlich die Konsequenz hatte, dass Polanski keinen Fuß mehr auf amerikanischen Boden setzen kann, ohne verhaftet zu werden), einen der besten Filme zum Thema „die Frau als sexuelles Freiwild“ gedreht hat.

Nach seiner grandiosen Shakespeare-Verfilmung Macbeth (1971), die zweifellos eine der besten Shakespeare-Verfilmungen ist (und die beste Macbeth-Verfilmung sowieso!), denn Polanski’s Version ist radikal, brutal, abgründig, dunkel und einfach nur großartig (man könnte auch sagen: Polanski hat Shakespeare’s Vorlage ernst genommen und kein reines „Bildungs-Kino fürs Bürgertum“ daraus gemacht :-)), und vor Chinatown, entstand 1972 in Italien nämlich die erotische Farce Was? (Che?) mit Sydne Rome und Marcello Mastroianni, ein Film, bei dem ich mir nach dem Ansehen nie ganz sicher bin, ob ich ihn einfach nur gut finden soll oder nicht doch in den Kreis meiner absoluten Lieblingsfilme aufnehmen (bis jetzt konnte ich mich nicht wirklich entscheiden :-)). Was?, im Kern eine Parodie auf die Sexfilme der 70er-Jahre, gleichzeitig aber eine bittere Gesellschaftssatire, ist ein amüsantes, aber dennoch tiefgründiges, ja provokativ-bösartiges Meisterwerk, in dem die Amerikanerin Nancy, gespielt von Sydne Rome, sich nach dem Vergewaltigungsversuch durch drei Italiener in eine exklusive Villa am Meer flüchtet, deren Bewohner aber irgendwie auch nur äußerst „sexversessen“ wirken. In der Folge wird Rome dann eben auch in der Villa lediglich zum Sex-Objekt diverser Freaks, allen voran Mastroianni, der einen Ex-Zuhälter namens Alex spielt. Polanski’s Hauptthema der Schutzlosigkeit der Unschuld in einer verdorbenen Welt bringt der Film, dessen Grundaussage ich persönlich immer als so gar nicht komisch, eher als traurig, empfunden habe, denn „Nancy“ Sydne Rome wird in Was?, obwohl sie eigentlich Hilfe und Schutz brauchen würde, praktisch nur das Opfer einer ganzen Reihe sexueller Belästigungen, trotz der Maske einer „Komödie“, auf eindringliche Weise zum Ausdruck.

 

 

 V

 

 DR. RICHARD WALKER (Harrison Ford)

 Du hast ihnen heute Morgen den falschen Koffer gegeben. Dede ist schon länger tot als einen Tag.

 

 MICHELLE (Emmanuelle Seigner)

 Wer sagt das?

 

 DR. RICHARD WALKER

 Ich.

 

 MICHELLE

 Wie kannst du das? Bist du ein Arzt?

 

 DR. RICHARD WALKER

 Keine Leiche stinkt so fürchterlich nach nur 12 Stunden. Nicht einmal Dede.

Da geb ich dir mein Wort drauf. Ja, ich bin Arzt.

 

 [aus: Roman Polanski’s Frantic; 1988]

 

 

In Frantic hat Roman Polanski die Chance genützt, nach all den Donald Pleasences, Mia Farrows, Faye Dunaways, Isabelle Adjanis (in Der Mieter), Nastassja Kinskis und Walter Matthaus, zur Abwechslung einmal einen Film mit einem wirklich sympathischen Schauspieler in der Hauptrolle zu drehen :-), mit einem wirklichen Sympathieträger, wie es Harrison Ford nun zweifellos einmal ist. Der Thriller Frantic kommt allerdings aus einer Phase in Polanski’s Schaffen, die nicht gerade zu seinen besten gezählt wird. So geriet der Film, der zwei Jahre vor Frantic entstanden ist, nämlich die „adventure comedy“ Pirates (1986; Piraten), mit Walter Matthau, zu einem Riesen-Flop.

Bitter Moon hingegen, ein „erotic romantic thriller“ aus dem Jahr 1992, also das Werk, das nach Frantic entstanden ist, könnte man auch als „amüsante Erotik-Gurke“ bezeichnen, die trotzdem immer wieder herrlich anzusehen ist, vor allem deshalb, weil sie, trotz erstaunlich schlechter schauspielerischer Leistungen, so zum Beispiel von Polanski’s Ehefrau Emmanuelle Seigner (seit 1989 mit dem Regisseur verheiratet), von dem damals noch relativ unbekannten Hugh Grant oder von Peter Coyote (der unglaublich schwülstige Voice-over-Texte in dem Film sprechen muss :-)), auch einige Wahrheiten über Sadismus und Masochismus in zwischenmenschlichen Beziehungen zu bieten hat.

 

Nun, in Frantic, der, wenn man’s genau nimmt, vielleicht sogar, was die Bildebene betrifft, hin und wieder eine leichte „80er-Jahre-TV-Ästhetik“ (die aber nicht weiter stört!) aufweist, spielt Harrison Ford den Arzt Dr. Richard Walker, der gemeinsam mit seiner Frau Sondra (gespielt von Betty Buckley) nach Paris reist, um an einem medizinischen Kongress teilzunehmen. Im Hotel kommen die Walkers drauf, dass sie in Besitz eines falschen Koffers sind. Kurz darauf verschwindet Walker’s Frau zunächst spurlos, eine Reihe von Indizien weisen dann auch darauf hin, dass sie tatsächlich aus dem Hotel entführt worden ist.

Großartig ist vor allem, mit welcher Liebe zum Detail hier Polanski die Blicke (die zumeist ungläubige Blicke sind), die Gesten und Reaktionen des Hotelpersonals und der Pariser Polizei angesichts von Walker’s verzweifelter Situation inszeniert hat. Wobei Ford, wie ich in Teil 1 meines Artikels bereits angemerkt habe, auch durchaus einen glaubwürdigen Arzt abgibt. Und wenn er in dem Film zwischendurch gestresst seine Lesebrille benutzt, dann entfernt er sich ganz weit von seinem Han Solo- oder Indiana Jones-Image – wirklich sehenswert! Überhaupt wirkt Ford in Paris als „ein amerikanischer Fremdkörper, der mit der Sprache kämpft“, sozusagen als „ein verlorener Amerikaner in Paris“, sehr überzeugend und die ganzen Abläufe in Frantic erinnern einen daran, wie fremd man sich tatsächlich in Paris (und generell in Frankreich) als Tourist manchmal fühlt :-).

 

Es war schon eine verdammt große Aufgabe, aus Emmanuelle Seigner eine richtige Schauspielerin zu machen! :-)

Das ist zumindest der Gedanke, der mir immer durch den Kopf geht, wenn ich mir Polanski-Filme mit Seigner (geboren 1966) ansehe, so wie eben Frantic, Bitter Moon oder den eher durchwachsenen Mystery-Thriller The Ninth Gate (1999; Die neun Pforten) mit Johnny Depp. Und doch: Letztendlich zeugen Seigner’s Auftritte in den beiden letzten Filmen ihres Ehemannes, nämlich Venus im Pelz (2013; La Venus a la fourrure), einem Kammerspiel nach Leopold von Sacher-Masoch, und dem Drama Nach einer wahren Geschichte (2017; D’apres une histoire vraie), davon, dass die Aufgabe letztendlich irgendwann gelungen ist :-).

In Frantic, der ja die erste Zusammenarbeit zwischen Polanski und Seigner markierte, spielt Seigner die Schmugglerin Michelle, die, angeheuert für einen Schmuggelauftrag von einem gewissen Dede (den Ford, wie aus dem obigen Zitat hervorgeht, im Laufe des Films und im Laufe der Suche nach seiner Frau aber nur mehr tot auffindet), zufällig ihren Koffer mit dem gleichaussehenden der Walkers auf dem Flughafen vertauscht hat. Es stellt sich heraus, dass sich in Michelle’s Koffer, und das witzigerweise versteckt in einem Miniatur-Modell der New Yorker Freiheitsstatue, letztendlich der Grund für die Entführung von Dr. Walker’s Frau befindet, ein so genanntes „Krytron“, ein elektronisches Schaltkreiselement zur Zündung von nuklearen Sprengköpfen (die 80er-Jahre lassen in Frantic also nicht nur ästhetisch, sondern auch inhaltlich grüßen :-)). Ford und Seigner bilden in der Folge notgedrungen eine Interessensgemeinschaft, denn Ford will seine von arabischen Agenten entführte Frau zurück, die dann auch im Laufe der Handlung mit Walker Kontakt aufnehmen, und Michelle möchte letztendlich doch noch zu ihrem Geld kommen, das ihr Dede einst für den Auftrag versprochen hat.

Natürlich gibt es auch in Frantic kein wirkliches Happy End, denn das wäre, wie schon angedeutet, wahrlich Polanski-untypisch. Ford, oder eben „Dr. Walker“, gelingt es am Ende zwar, seine Frau von den Entführern zurückzubekommen, muss aber zusehen, wie seine junge Begleiterin Michelle, die bei der Übergabe plötzlich wieder ihre noch immer ausstehende Bezahlung ins Spiel bringt, von einer Kugel getroffen zusammenbricht. Vor ihrem Tod steckt sie ihm noch das Bauteil zu, das Walker dann vor den Augen aller Anwesenden in die Seine wirft. 

 

Polanski’s Thriller, den das Magazin Der Spiegel im Erscheinungsjahr „die Fortsetzung Hitchcocks mit Polanskis Mitteln“ nannte, hat meines Erachtens zwei große Magic Moments, die diesen Polanski-Film zu dem besten seiner angeblich schlechteren machen :-).

Magic Moment Nummer 1 könnte man mit „Harrison Ford über den Dächern von Paris“ bezeichnen, gemeint ist jene Szene, in der Ford mühevoll mit dem Koffer, in dem sich die kleine Freiheitsstatue (und somit das „Krytron“) befindet, über ein sehr hoch liegendes Dach klettert, um in Michelle’s Dachgeschoss-Wohnung zu gelangen (in der Michelle gerade von zwei Agenten, die das Schaltkreiselement ebenfalls haben wollen, traktiert wird). Diese wunderbar stille, wenig hysterisch inszenierte Szene, in der der Koffer sozusagen andauernd „Schwierigkeiten“ macht, zunächst aufspringt, dann sogar vom Dach hinunterfällt, ist eine würdige Hommage von einem Regie-Meister an den anderen, von Roman Polanski an Alfred Hitchcock.

Magic Moment Nummer 2 ist ohne Zweifel die Tanz-Szene zwischen Ford und Seigner in einem Nachtclub. Der gemeinsame Tanz, der vor den Augen der Entführer stattfindet, hat etwas von wahrer Verzweiflung an sich, Ford und Seigner wirken dabei gleichzeitig dissonant und in ihrem momentanen Elend vereint – das muss man erst mal so vor der Kamera rüberbringen können! Noch dazu tanzen die beiden dabei zu den Klängen von Grace Jones‘ Song I’ve Seen That Face Before (Libertango) aus 1981, der reichlich melancholische Stimmung verbreitet und im gesamten Film immer wieder auftaucht, gleichsam als „schwermütiger Soundtrack“ zu dem wenig glamourösen Antlitz, das Polanski’s Paris in Frantic hat.

 

 

(ENDE von TEIL 3 des Artikels - HAUPTTEIL; Fassung vom 11.09.2018)