Roman Polanskis "Chinatown" (1974) - Der angeblich "best film of all time"

 

Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob es den perfekten Film gibt?

 

Nun, schenkt man einem Voting des Guardian aus 2010 Glauben, so ist Polanskis Krimi-Klassiker Chinatown von 1974, mit Jack Nicholson, Faye Dunaway und John Huston, ein Film, der zumindest in den Bereich „near perfection“ kommt.

Ich muss zugeben, dass mich dieser Film einmal Mitte der Neunziger fast in eine Form von „Film-Liebhaber-Verzweiflung“ getrieben hat, denn er schien damals einfach ums Verrecken nicht im Fernsehen zu laufen! Damals hatte nämlich eine Kritik in der Zeitschrift TV-Movie, die den Film als „ein Meisterwerk“ und als einen „Jahrhundertfilm“ bezeichnete, meinen cineastischen Jagdinstinkt geweckt und ich wollte das Werk unbedingt sehen. Aber es hatte den trüben Anschein, dass er außer in jener Woche eben, wo TV-Movie ihn damals eben auch rezensiert hat, so gut wie nie im Fernsehen gezeigt wurde. Und auf Video schien er, in der Zeit vor dem Online-Handel, den DVDs und dem Streaming oder dergleichen, mehr als schwer zu bekommen zu sein.

Mit dem permanenten Gefühl im Hinterkopf, dass es sich bei Chinatown um ein wahres, also zeitloses, Filmjuwel handeln würde, das man unbedingt gesehen haben musste, noch dazu war ich in den Neunzigern, so wie eigentlich auch heute noch, ein großer Fan der Filme von Roman Polanski, blieb mir nur noch eine Kindheitserinnerung.

 

Warum Kindheitserinnerung?

Tja, irgendwann in den Achtzigern hatte ich nämlich Chinatown einmal im Fernsehen gesehen. Natürlich konnte ich mich nicht mehr wirklich an Einzelheiten erinnern, aber an Jack Nicholson und sein Nasenpflaster, Nicholson rennt ja als Privatdetektiv J. J. Gittes mit aufgeschlitzter Nase durch weite Teile des Films, konnte ich mich sogar relativ genau erinnern. Das Werk musste also schon damals einen recht starken Eindruck in mir hinterlassen haben.

Eines Tages war es dann doch so weit und ich konnte diesen „Meilenstein der Filmgeschichte“, dieses „faszinierende Meisterwerk“, wie es kino.de nannte, betrachten. Und ganz ehrlich, vor lauter Voreingenommenheit war ich gar nicht mehr in der Lage mir den Film objektiv anzusehen und war lediglich froh, dass ich den Makel, ausgerechnet diesen Polanski-Film nicht zu kennen, von meiner Liste streichen konnte.

Heute aber, da ich das Werk, das im Übrigen auf so ziemlich allen Genre übergreifenden Bestenlisten vorkommt, die es im Bereich des Films so gibt, mit einer gewissen „Reife“ beurteilen kann, muss man sagen: Ja, das gesamte Werk ist tatsächlich eine Glanzleistung, so wie es der berühmte US-Filmkritiker Roger Ebert in seinem Buch Roger Ebert’s Movie Home Companion (1985) einmal ausgedrückt hat.

Chinatown besitzt in der Tat eine Eleganz, was die Machart betrifft, die aus meiner Sicht kaum zu überbieten ist oder die ich so bei fast keinem anderen Film kenne.

Neben Polanskis sicherlich virtuosen Inszenierung des Geschehens sticht vor allem John A. Alonzos Kameraarbeit hervor, der für diese damals zweifellos einen Oscar verdient hätte. Überhaupt sind das Licht und der Bildaufbau bemerkenswert und erzeugen eine einzigartige Atmosphäre, die das Los Angeles der Dreißigerjahre wiederauferstehen lässt, ohne dabei aber altbacken oder „retro“ zu wirken.

Robert Townes Oscar-prämiertes Drehbuch ist sagenumwoben und gilt ja irgendwie als Musterbeispiel dafür, wie man einen gelungen Neo-Film Noir-Plot konstruiert, nur muss ich sagen, dass die Geschichte hier nicht unbedingt das ist, was den Film ausmacht, denn glücklicherweise ist  die Erzählweise von Chinatown so einnehmend, dass man diese ganze „Los Angeles Wasser-Geschichte“, die den Hintergrund bildet, eigentlich schnell vergisst, aber natürlich nicht den eigentlichen spektakulären Punkt der Geschichte, nämlich, dass Evelyn Mulwray (Faye Dunaway) in der Tat eine gemeinsame Tochter mit ihrem Vater, gespielt von John Huston, hat! Die „Sie ist meine Schwester! Sie ist meine Tochter! Sie ist meine Schwester und meine Tochter!“-Szene ist natürlich das Highlight des gesamten Films.

Zu den Schauspielern: Jack Nicholson war 1974 noch nicht so ein großer Star wie etwa 1975 (nach Milos Formans One Flew Over the Cuckoo's Nest/dt.: Einer flog über das Kuckucksnest)  oder gar später und seine Perfomance ist in der Tat angenehm zurückhaltend, soll heißen, er präsentiert uns nicht inflationär seine später üblichen „Filmstar-Manierismen“, für die er ja schließlich in der Folge hoch bezahlt wurde, die aber mit der Zeit sicherlich vorhersehbar wurden.

Faye Dunaway spielt die atemberaubend schöne, aber letztendlich durch den schweren Inzest-Fall natürlich psychisch zerstörte Dame aus bester Gesellschaft ganz hervorragend. Man hat die Dunaway nie besser gesehen. Ihre Auseinandersetzungen mit Polanski am Set, der Dunaway später oft die „Meschuggene“ nannte, scheinen der Schauspielerei nicht geschadet zu haben, ganz im Gegenteil.

Das Herzstück der Besetzung ist aber Film-Regie-Legende John Huston, der Faye Dunaways Vater Noah Cross spielt und der in seiner doch recht geringen Leinwand-Zeit aber eine derart unangenehme Aura zu verbreiten imstande ist, dass es einen gruselt. Überhaupt hat man das Gefühl, dass Huston hier nicht als Schauspieler zugegen ist, sondern dass er seine ganze Macht und Präsenz als legendärer Filmregisseur in die Rolle gelegt hat. Man muss beim Betrachten ständig daran denken, mir geht es jedenfalls so, dass  es sich hier um den Mann handelt, der das  Hollywood-Kino mit erfunden und der Humphrey Bogart einst mit dem „Malteser Falken“ (The Maltese Falcon; 1941) zu Starruhm verholfen hat oder der Filmklassiker wie den „Schatz der Sierra Madre“ (The Treasure of the Sierra Madre; 1947) oder African Queen (1951) oder The Misfits (1961; Misfits), Marylin Monroes letzten vollendeten Film, gedreht hat.

 

Wie auch immer, Chinatown sollte leider Polanskis letzter US-Film bleiben. Die Gründe dafür verfolgen den Polen bis heute, denn eine „äußerst folgenschwere Nummer im Swimmingpool von Jack Nicholson“ mit einer Minderjährigen, so hat es jedenfalls einmal ein Journalist ausgedrückt, trieb Polanski dazu, aus den Staaten zu flüchten und sich in Frankreich niederzulassen, wo er von da an weiterarbeitete.

Einen so guten Film wie Chinatown hat er meiner Meinung nach nie mehr gedreht.

 

 

(überarbeitet Fassung vom 07.07.2018; Originalfassung: 27.08.2017)